(Gegenwind 247, April 2009)

Elena Kipnis

Dolmetscher-Treffen

"Sie haben ein Ziel"

Elena Kipnis ist Architektin, Künstlerin, Lehrerin und Dolmetscherin. So lag es nahe, sie zum Interview über das Dolmetschen in ihrem aktuellen Kunst-Kurs in der Volkshochschule Elmshorn zu besuchen.

Gegenwind:

Woher kommst Du? Wie bist Du nach Deutschland gekommen?

Elena Kipnis:

Ich komme aus Russland, aus Ekaterinburg, das liegt im Ural. Das ist die viertgrößte Stadt in Russland, eineinhalb Millionen Einwohner, mit vielen Hochschulen, Theatern und Museen. Dort habe ich Architektur studiert, und acht Jahre habe ich dort auch gearbeitet. Vor 15 Jahren kam ich dann nach Deutschland. Ich hatte in Russland eine gute Position, gute Arbeit, meine Familie lebte dort. Es war nicht meine Idee herzukommen, aber ich habe mich eingelebt. Ich mache hier das, was ich machen möchte. Ich wollte immer unterrichten, am liebsten an der Kunsthochschule oder Architekturhochschule. Hier mache ich jetzt verschiedene Projekte.

Gegenwind:

Wie ist dein jetziges Projekt entstanden?

Elena Kipnis:

Ich male selbst, mache auch Ausstellungen. Ich unterrichte viel an der Volkshochschule und privat. Und da habe ich bemerkt, dass die Kinder, die zum Unterricht kommen, häufig nur von den Eltern gebracht werden, aber nicht unbedingt selbst zeichnen und malen lernen wollen. Für mich war es wichtig, die Kinder zu finden, die etwas lernen wollen und das Malen zum Leben brauchen.

Zuerst habe ich finanzielle Unterstützung gesucht. Ich bin zu unserer Bürgermeisterin, Frau Dr. Fronzek gegangen. Sie hat gesagt, dass sie meine Idee gut findet und das Konzept schriftlich bekommen will. Das habe ich gemacht,und Frau Dr. Fronzek hat für das Projekt die Schirmherrschaft übernommen. Von der Stadt habe ich den Raum in der Volkshochschule bekommen. Dann habe ich Sponsoren gesucht. Material habe ich vom Kinderschutzbund finanziert bekommen, und es gibt noch sieben Sponsoren , die die Kosten des Kurses übernommen haben. Das sind die Firmen Volksbank, Famila, Kunst und Kreativ, Farbenhaus am Markt, Baas Fliesengeschäft, Autohaus Elmshorn, Gastätte Sibirien.

Jetzt war die Frage, wie ich die Kinder finde. Es gab Firmen, die ich nach der finanzielle Unterstützung gefragt hatte, die meinten, es kämen sowieso nur Kinder aus besser gestellten Familien, weil dort das Malen mehr unterstützt wird. Ich hatte eine andere Meinung, und ich behielt Recht. In meinem Kurs sind jetzt Kinder aus Hauptschulen, aus Realschulen, aus Förderzentren und auch aus Gymnasien. Es kommen auch Kinder aus einer Privatschule. Sie kommen also von allen Seiten.

Ich habe einen Malwettbewerb organisiert. Daran konnten sich die Kinder aus allen Schulen der Stadt Elmshorn von 10 bis 16 Jahren beteiligen. Es gab auch einzelne Kinder aus Grundschulen, die bereits 10 Jahre alt waren, die haben sich auch am Malwettbewerb beteiligt. Ich fand es spannend, dass das Interesse sehr hoch war. Das war ganz unabhängig von der Art der Schule.

im Kunstkurs in der Volkshochschule Elmshorn

Gegenwind:

Wie viele Kinder haben am Wettbewerb teilgenommen?

Elena Kipnis:

Es sind 380 Beiträge geschickt worden. Da waren auch einzelne Kinder dabei, die nicht in Elmshorn zur Schule gehen und es waren auch einige neunjährige Kinder, die eigentlich auch nicht teilnehmen konnten. Die Neunjährige haben alle einen Trostpreis bekommen.

Gegenwind:

Wie wurden die Kinder für den Kurs dann ausgewählt?

Elena Kipnis:

Wir haben eine Ausstellung gemacht, dafür hat mir der Kunstverein Elmshorn die Räume zur Verfügung gestellt. Wir haben gute Jury-Mitglieder eingeladen, die im Kunstbereich arbeiten. Ich habe die Bilder auch nach dem Alter sortiert und aufgehängt. Und dann haben wir in jeder Altersstufe die besten Bilder ausgesucht. Jedes Jurymitglied musste die ausgewählten Bilder mit Karten markieren, und die Bilder mit den meisten Punkten haben gewonnen. Es gab 14 Kinder, die dadurch einen Platz im Kurs bekamen. Aber für 60 weitere Kinder gab es auch Preise. Außerdem wurde die Ausstellung dann für die Öffentlichkeit geöffnet, und zur Eröffnung der Ausstellung kam auch die Bürgermeisterin, die Vorsitzende vom Kinderschutzbund Elmshorn Frau Lutz und die Vorsitzende des Kunstverein Frau Storm. Die Kinder waren auch da, alle haben den Kinder gratuliert, es gab Geschenke, es gab Kekse und Apfelsinen für jeden Gast, es war ein richtiges Fest. Und nach der Preisverleihung habe ich die Gespräche mit den Gewinnern und deren Eltern geführt, damit sie den Kurs ernst nehmen.

Gegenwind:

Wie lange dauert der Kurs?

Elena Kipnis:

Der Kurs findet sechzehn Mal statt, und zwar jeden zweiten Samstag. Das dritte Treffen ist gerade vorbei. Die Kinder haben sich mit den Proportionen des menschlichen Körpers vertraut gemacht und Menschen gemalt. Die Kinder waren sehr interessiert, sehr kompetent und sehr ernsthaft dabei. Ich hoffe, dass alle Kinder auch bis zum Schluss mitmachen, denn das wäre für ihre Karriere wichtig. Und: die Kinder bekommen am Ende des Kurses alle Materialien mit.

im Kunstkurs in der Volkshochschule Elmshorn

Gegenwind:

Was soll das Ergebnis sein?

Elena Kipnis:

Am Ende des Kurses werden wir noch einmal eine große Ausstellung machen. Da wir als Sponsor auch die Volksbank haben, kommt der Gedanke, dass dort könnten für die Kinder Konten eröffnet werden, auf die Spenden eingezahlt werden können. Wenn man an den Bildern sieht, dass ein Kind begabt ist, dass es Perspektiven hat, gibt es vielleicht Menschen, die in die Zukunft dieser Kinder investieren wollen. Vielleicht bekommt das eine oder andere Kind Unterstützung, dass es später Kunst studieren kann. Aber das werden wir sehen, ob man diese Idee verwirklichen kann. Ein Ziel ist auch, dass das Interesse der Eltern geweckt wird, auf diese Begabung zu achten und sie zu fördern. Ich will ja auch darauf aufmerksam machen, dass die Kinder jetzt schon dort, wo sie besonders begabt sind, mehr lernen können, Kurse besuchen können, in Ausstellungen gehen.

Wir werden auch mit der Gruppe die Hamburger Kunsthalle besuchen und uns moderne Kunst ansehen und das hinterher besprechen. Ich verhandele gerade mit verschiedenen Künstlern und Designern, dass einzelne Kinder sie für einen halben Tag im Atelier oder Büro besuchen können. Dort können sie dann sehen, wozu es gut ist, richtig malen und zeichnen zu können. Dann werden die Kinder auch ihre Perspektiven sehen, in welchen Bereichen sie mit ihren Fähigkeiten arbeiten können, was sie dafür brauchen und ob das ihrem Interesse entspricht. Das soll den Kindern bei der Orientierung helfen und sie unterstützen.

Mir ist auch sehr wichtig, dass es ein soziales Projekt ist. Die Kinder kommen aus verschiedenen Schulen und aus verschiedenen Familien. Ich habe Kinder aus ausländischen und deutschen Familien. Sie haben gleiche Interessen und sie haben ein Ziel. Mir ist es wichtig, dass die Kinder aus verschiedenen Schichten in einer Gruppe kommunizieren und zusammen etwas entwickeln. Und wenn das eine oder andere Kind in einem bestimmten Bereich etwas Besonderes zeigt, unterstützen das andere Kinder. Die Kinder haben die gleichen Materialien, die gleichen Voraussetzungen am Anfang des Kurses. Kein Kind malt besser, weil es bessere Stifte oder bessere Farben hat. Ich habe die gute Materialien ausgesucht und eingekauft, und das ist sehr wichtig für die kleinen Künstler.

im Kunstkurs in der Volkshochschule Elmshorn

Gegenwind:

Entdeckst du durch diesen Kurs Talente, die sonst nicht entdeckt worden wären?

Elena Kipnis:

Das auf jeden Fall. Das Projekt heißt: "Elmshorn unterstützt künstlerisch begabte Kinder und Jugendliche". Und dabei ist wichtig, dass nicht alle Eltern sehen können, ob ihr Kind talentiert ist oder nicht. Eine Mutter sagte mir "Mein Kind sitzt immer alleine und malt, das macht mir Sorgen." Ich habe dann dem Kind gesagt: "Du bist doch nicht alleine, du bist mit deinem Werk zusammen!" Das Kind hat mich verstanden, und es hat sich gefreut, dass ich es verstehe.

Gegenwind:

Du bist ja nicht nur Architektin und Künstlerin, sondern auch Dolmetscherin. Wie bist Du dazu gekommen? Konntest du in Russland schon Deutsch?

Elena Kipnis:

5 Jahre in der Gesamtschule und 5 Jahre in der Hochschule habe ich Deutsch gelernt. Ich weiß nicht, ob ich damals besonders gut Deutsch konnte. Aber als ich hier in Elmshorn an der Volkshochschule Deutsch unterrichtet habe, habe ich in jeder Gruppe gesagt: Wenn Sie etwas nicht lieben, können Sie auch nichts damit anfangen. Man muss die Sprachmelodie finden, dann kann man sich damit anfreunden und die Sprache erfolgreich lernen. Das war mein Weg, und das wollte ich weitergeben.

Gegenwind:

Was ist dein Beruf? Bist du Künstlerin, Architektin oder Dolmetscherin?

Elena Kipnis:

Architektur habe ich studiert und 9 Jahre im Beruf gearbeitet, Kunst und Dolmetschern habe ich später zum Beruf gemacht. Ich habe vor ungefähr zehn Jahren angefangen zu dolmetschen. Ich gab damals Russisch-Unterricht an der Schule, später unterrichtete ich Deutsch. In dieser Zeit habe ich immer mehr gedolmetscht. Es fing an wie bei vielen Dolmetschern, dass ich erst mal für Verwandte und Bekannte gedolmetscht habe. Dann habe ich herausgefunden, dass ich simultan dolmetschen kann, zu meiner eigenen Überraschung. Ich habe erst später festgestellt, dass das nicht jeder kann, das war eine große Hilfe. So macht das Dolmetschen auch mehr Spaß, weil das Gespräch schneller läuft.

Ich habe Deutsch eineinhalb Jahre in einer Hamburger Privatschule für Ingenieure gelernt. Und dann noch privat ein Jahr bei einer Lehrerin in Pinneberg. Später habe ich ein Praktikum in einem Architekturbüro gemacht. Aber der Durchbruch kam, als ich als Architektin im Bauamt Altona angefangen hatte zu arbeiten. Da musste ich Aufgaben vollständig verstehen und meine Ideen erklären. Ich hatte ständig mein Notizbuch dabei und habe alle unbekannten Wörter aufgeschrieben. Aber dann bin ich schwanger geworden und konnte mein Beruf nicht weiter so intensiv ausüben. Dann kam ein Angebot, Russisch in der Volkshochschule zu unterrichten. Ich habe mich stundenlang auf den Unterricht vorbereitet. Ich ging bei dem Dolmetschern im Gericht und bei der Polizei genauso vor: Ich habe mir die unbekannten Wörter notiert und dann übersetzt und gelernt. Und da meine Schwester in Russland Jura studiert hat, habe ich ihr viele juristische Fragen zum Dolmetschen gestellt. Vor ein paar Jahren bin ich dann vereidigte Dolmetscherin geworden. Und ich mache gelegentlich weiterbildende Kurse.

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