(Gegenwind 236, Mai 2008)

Brunsbüttel?

Fünf Kohle- und ein Müllkraftwerk

Das Foto zeigt junge Menschen auf der Demonstration gegen die geplanten Kohlekraftwerke und Müllverbrennung sowie HCB-Giftmüll aus Australien, der in der bereits existierenden Sondermüllverbrennungsanlage vernichtet werden soll, am 15. März in Brunsbüttel.
Demonstration gegen die geplanten Kohlekraftwerke und Müllverbrennung sowie HCB-Giftmüll aus Australien, der in der bereits existierenden Sondermüllverbrennungsanlage vernichtet werden soll, am 15. März in Brunsbüttel.

Mitte Dezember 2007 gründete sich die Bürgerinitiative Gesundheit und Umweltschutz Unterelbe, um die Planungen für vier Steinkohlekraftwerksblöcke und eine riesige Müllverbrennungsanlage zu verhindern bzw. deren Folgen abzumildern. Außerdem regte es die Gründungsmitglieder auf, dass von interessierter Seite in ganz Deutschland verbreitet wurde, in der Wilstermarsch würde sich ja sowieso kein Widerstand regen, weshalb die Investitionen sicher angelegt seien.

1. Industrieheizkraftwerk (= Müllverbrennungsanlage)

Zwischen dem 15. Dezember und Anfang Januar 2008 wurden in Brunsbüttel und der Wilstermarsch, trotz Weihnachtszeit, weit mehr als 3000 Unterschriften gegen die Pläne, auf dem Gelände dar Fa. Bayer ein sog. Industrieheizkraftwerk (IHKW) zu errichten, gesammelt (in Brunsbüttel und der Wilstermarsch leben je ca. 14000 Menschen). In dieser Müllverbrennungsanlage sollen 370.000 Tonnen aufbereiteter Müll aus ganz Europa verfeuert werden.

Der Erörterungstermin für das IHKW fand vom 5. bis 7. Februar im Elbeforum in Brunsbüttel statt. Die EinwenderInnen waren fachlich gut vorbereitet und wurden anwaltlich vertreten. Die Anwältin, Frau Dr. Roda Verheyen aus Hamburg, konnte durch Spenden über je 250 Euro von den Bürgermeistern von 11 Gemeinden der Wilstermarsch finanziert werden. Der AKW-Standort Brokdorf, der gerade seine 7 Mio. Euro teure, neue Eissporthalle einweihte, und die Gemeinde Büttel, die Eigeninteressen verfolgt (s. u.) haben nicht gespendet.

Auf dem Erörterungstermin wurden eine Reihe von Fehlern in den Antragsunterlagen und fehlende Unterlagen offensichtlich. Die Verhandlungsleiterin, die Chefin des Staatlichen Umweltamts Itzehoe, sah sich genötigt, weiteren Sachvortrag auch nach dem Erörterungstermin zuzulassen, um einem drohenden Befangenheitsantrag abzuwenden.

2. Steinkohlekraftwerksdoppelblockanlage der Fa. SüdWestStrom aus Tübingen

Vom 15. Februar bis zum 15. März lagen im Bauamt der Stadt Brunsbüttel die Bebauungsplan-Unterlagen für den Bau eines 1800 MWel-Kraftwerks aus. Die beiden Kesselhäuser werden gut 120 m hoch, der Schornstein 145 m. Das Kraftwerk verfeuert ca. 4 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr, wird ca. 9 Millionen Tonnen CO2 im Jahr an die Umwelt abgeben und so viel Strom produzieren wie die Atomkraftwerke Brokdorf und Brunsbüttel zusammen. Die Abwärme wird ungenutzt mit dem Kühlwasser in die Elbe geleitet.

Es wurden fast 1400 Unterschriften (davon 1100 von der Partei "Die Linke") gegen dieses Projekt gesammelt und fristgerecht abgegeben. Die Stadt Brunsbüttel steht voll hinter dem planenden Betreiber, die SüdWestStrom AG, die bisher ca. 30 Stadtwerke aus Süddeutschland als beteiligte Investoren geködert hat. Das entwaffnende Argument lautet: Die Reinluft an der Elbe macht nur geringe Umweltauflagen erforderlich, so dass der Profit entsprechend gesteigert werden kann.

CO2-Emissionen spielen im deutschen Genehmigungsrecht übrigens keinerlei Rolle.

Der sog. Treibhausgas-Zertifikatehandel soll angeblich für den Schutz des Klimas sorgen; denn CO2 zu emittieren soll nach Vorstellungen der EU teuer werden - nur: wenn ca. 25 neue Kohlekraftwerke in Deutschland geplant bzw. im Bau sind: wieso wissen die Konzernchefs das nicht? Wir vermuten, dass es Absprachen zwischen Bundesregierung und Kraftwerksplanern gibt, die das von Kanzlerin Merkel verkündete CO2-Minderungsziel von 40 % bis zum Jahr 2020 (gegenüber dem Jahr 1990) unterlaufen. Bundesumweltminister Gabriel scheint mit unter der Decke zu stecken; denn er forderte uns auf einer Wahlveranstaltung des SPD in Meldorf auf, unseren Widerstand gegen die Kohlekraftwerke aufzugeben (wörtlich: es werden doch nur 9 Kraftwerke gebaut). Wer das glaubt, wird selig.

Das Kraftwerk der SüdWestStrom (SWS) wird von Wirtschaftsminister Austermann besonders begünstigt: er verkaufte im Dezember 2006 das im Landesbesitz befindliche, erforderliche Grundstück für ca. 7 Mio. Euro an die SWS. Dem Optionsvertrag musste der Landtag zustimmen. Er tat es mit den Stimmen der großen Koalition; übrigens: die Landtagsabgeordneten durften den Vertragstext nicht einsehen: Das nennt sich Demokratie. Die BI versucht, Einblick nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu erhalten.

Alle PolitikerInnen sind für Klimaschutz. Doch eins ist klar: wenn es ernst wird mit dem Klimaschutz, geht der Landeshaushalt doch vor. Dabei plant die Firma geo (Gesellschaft für Energie und Ökologie) in Brunsbüttel ein Gaskraftwerk im Verbund mit Wasser- und Windkraftanlagen, wird aber offensichtlich von der Politik ausgebremst, die nach Gutsherrenart eben partout Kohlekraftwerke will. Das Grünbuch von Minister Austermann weist für das Jahr 2020 einen Anstieg der Strom bedingten CO2-Emissionen gegenüber heute um das Vierfache aus. Es ist nicht klar, ob diese Klima schädlichen Vorgaben aus dem Ministerium kamen, oder ob der Minister einfach nur den Wünschen der Antragsteller gefolgt ist. Gegen die anstehenden Kohlekraftwerksplanungen lassen wir uns von Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Mecklenburg beraten.

3. Kohlekraftwerk des belgischen Electrabel

Am 3.3. 2008 hat der Belgische Stromkonzern Electrabel einen Genehmigungsantrag für ein weiteres Kohlekraftwerk beim Staatlichen Umweltamt gestellt. Es soll eine elektrische Leistung von ca. 900 MW haben (also größer als das AKW Brunsbüttel sein), eine Nutzung der Abwärme ist nicht vorgesehen. Der Antragsteller verpflichtet sich, die gesetzlichen Emissions-Grenzwerte um gut 50 % zu unterschreiten. Immerhin. Der Stadt Brunsbüttel und ihrem Bürgermeister Hansen scheint die Schadstoffbelastung der BürgerInnen durch den Betrieb gleichgültig zu sein. Sie verhandeln noch nicht einmal um bessere Rückhaltetechniken. Minister Austermann und der CDU-Landtagsabgeordnete Arp haben ihren Hilfeangeboten leider keine greifbaren Ergebnisse folgen lassen. Die SPD lässt diesbezüglich überhaupt nichts von sich hören.

4. Kohlekraftwerk von Getec aus Hannover

Weil es ermüdend wirken könnte, nur kurz noch folgendes: die Firma Getec aus Hannover hat - nachdem sie lange Zeit Geheimverhandlungen mit Bürgermeister Schmidt aus Büttel geführt hat - ihre Planungen für ein weiteres Kohlekraftwerk bekannt gegeben. Die Einwohner von Büttel werden mit der Drohung konfrontiert, dass sie nach Brunsbüttel eingemeindet würden, falls sie sich gegen diese Pläne aussprechen sollten.

5. Vattenfall wandert von Moorburg nach Brunsbüttel

Und das fünfte Kraftwerk? Es gibt Gerüchte, dass Vattenfall nach Brunsbüttel ausweicht, wenn das Kraftwerk in Moorburg den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen in Hamburg zum Opfer fällt. Welch grandioser Erfolg für das Klima!

Stromlücke?

Das Umweltbundesamt hat in einer viel beachteten Pressekonferenz Studien präsentiert, wonach es keine Stromlücke geben wird, selbst, wenn am Ausstieg aus der Atomstromnutzung festgehalten wird und alte Kohlekraftwerke vom Netz gehen, wenn (ja, wenn): der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien voran getrieben wird, der Wirkungsgrad bei der Stromerzeugung erhöht wird und Einsparpotentiale genutzt werden und. Daran sollte sich jede/jeder beteiligen.

Das Argument "Die Lichter gehen aus" wurde schon in den 1970er Jahren benutzt, um die AKWs politisch durchzusetzen. Jetzt dient es den Konzernen dazu, mit Kohlekraftwerken Profit zu machen. Wenn wir BürgerInnen das nicht verhindern, Politiker und Richter tun es bestimmt nicht.

Es ist klar, dass die Bürgerinitiative noch viel mehr Mitstreiter benötigt und auch Geld. Erfreulich ist, dass sich viele Menschen an der Unterelbe über Partei- und Umweltverbandsgrenzen hinweg für ihre Umwelt engagieren. Das macht Mut, diesen Kampf zu führen.

Die BI ist zu erreichen über ihre Homepage www.bi-unterelbe.net. Ansprechperson ist Ralf Schmidt: Tel: 04858/188780. Spenden auf das Konto 5000 74 99 bei der Bordesholmer Sparkasse St. Margarethen, BLZ 210 512 75, Verwendungszweck BI Unterelbe, sind steuerlich absetzbar.

Karsten Hinrichsen
Brokdorf

Dokumentation

Rede von Stephan Klose auf der Demonstration am 15. März in Brunsbüttel

Liebe Freunde und Freundinnen,

mein Name ist Stephan Klose und ich spreche hier für die Bürgerinitiative Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe. Aber eigentlich spreche ich für alle, die hier stehen, egal welche Fahne sie hier gerade schwenken.

Die Menschheit benimmt sich wie eine Gesellschaft, die auf einem großen vollbesetzten Floß einen Fluss hinab segelt. Das Wetter ist nicht so gut, die meisten Leute frieren. In der Mitte ist eine ofenbeheizte warme Kajüte, in der eine ausgesuchte kleine Gesellschaft Party macht. Wenn sie neues Brennholz brauchen, dann sägen die Frierenden hinten Stücke aus dem Floß raus und bringen sie zum Feuern in die Kajüte. Auf einmal ruft der Ausguck, dass weiter voraus eine Stromschnelle nach unten geht oder gar ein steiler Wasserfall droht - er kann es nicht erkennen.

An dieser Stelle befinden wir uns vielleicht gerade. Wissenschaftler sagen uns, dass das Klima die Menschen in eine schlimme Lage bringen könnte, und dass ziemlich sicher das CO2 aus der Kajüte der Wohlstandsländer mit daran schuld ist. Und dass es für eine Kursänderung höchste Zeit ist, weil das Klima mit sehr großer Zeitverzögerung reagiert - genauso wie das große Floß.

Nun sagen einige: Immer schon hat sich das Klima der Erde verändert, das ist eben so. Also raten sie zum Bau von Kohlekraftwerken, damit der Schornstein wenigstens raucht und das Licht nicht ausgeht.

Die anderen sagen, lasst uns doch vorsichtshalber mal kein CO2 emittieren, bis wir sicher sind, was uns erwartet. Das Licht geht auch so nicht aus, wir haben da enorm viele gute Ideen!

Sigmar Gabriel sagt: "Wenn wir dem Rest der Welt nicht sein legitimes Recht auf Entwicklung und relativen Wohlstand versagen wollen, brauchen wir entweder mehrere Planeten, oder wir müssen viel effizienter und nachhaltiger mit unseren Ressourcen umgehen."

Sieht es wie eine richtig gute Planung aus, wenn einerseits die riesigen Mengen Abwärme mehrerer geplanter KoKawes völlig ungenutzt in die Elbe gekippt werden sollen, statt daraus Dampf für Bayer abzuleiten, andererseits extra eins der größten Müllheizkraftwerke von Deutschland gebaut wird um Dampf zu erzeugen, aber keinen Strom? Ist das Planung? Ist das Nachhaltigkeit? Würdet ihr euch zwei teure und umweltverschmutzende Geräte in den Keller stellen, wo eines reicht?

Wir sind doch nicht dagegen, dass Bayer Dampf bekommt. Aber weder für das Müll-, noch für die Kohlekraftwerke werden die besten möglichen Filteranlagen eingeplant, weil sie den Betreibern zu teuer sind. Sie machen vielleicht 10 Prozent der Bausumme aus. Aber das sind wir, die Bevölkerung, denen offenbar nicht wert. Aber Moment! Zwei Politiker haben uns ihr Wort gegeben: Herr Arp und Herr Austermann haben vor vielen Zeugen, im Beisein der Presse, versprochen, dass wir diese besten Filteranlagen bekommen sollen. Auf dem eingereichten Bauplan für das Kohlekraftwerk der SWS sind sie bisher allerdings nicht vorgesehen.

Ein Kohlekraftwerksblock kostet ca. 1 Milliarde Euro. 26 davon in Deutschland über 30 Milliarden. Was wäre, wenn man diesen Riesenhaufen Geld in Alternativen investierte? Für Brunsbüttel ein Gas- und Dampfkraftwerk zum Beispiel, für das es bereits fortschrittliche Pläne gibt? In Offshore-Windparks? In Kompressionsspeicher, in denen Luft durch Windgeneratoren komprimiert wird, die in Flautezeiten dann Turbinen antreibt, bis wieder Wind da ist. In kleine Blockheizkraftwerke, die Strom und Wärme punktgenau für einzelne Stadtviertel oder kleine Städte erzeugen? In Stromkabel, die uns so mit Europa vernetzen; damit wir immer den Wasser- und Windstrom dahin schicken können, wo er grade gebraucht wird? In Netze, die keinem der jetzigen Betreiber gehören, damit nicht wieder so etwas passiert wie hier, wo e.on den Windstrom nicht durchgeleitet hat und die Betreiber 200.000 Euro Schaden erlitten? Ist das noch normal? Wir schmeißen den guten Strom weg, damit wir schlechten weiterleiten können, nur weil das Netz dem Betreiber gehört bzw. nicht richtig ausgelegt ist?

Müssen wir es wirklich dulden, dass wenige Energiegesellschaften Riesenprofite machen und im Gegenzug unsere Gesundheit mit dem Ausstoß von Arsen, Blei, Cadmium, Thallium, Nickel, Quecksilber, Benzoapyren, Schwefeldioxid, Stickoxiden und vielem anderen beeinträchtigen, dass sie unsere Grundstücke, unsere landwirtschaftlichen Flächen verschmutzen und entwerten? Alle die Stoffe, die wir seit Jahren peinlich vermeiden, jede Minibatterie, jeden Farbrest zum Schadstoffmobil bringen, die dürfen LEGAL über die Landschaft gestreut werden! Wenn die Kraftwerke doch so sauber sind und unterhalb der Relevanzschwelle liegen, warum rechnet dann das Umweltbundesamt selbst für die hier zu erwartenden 1300 Tonnen Feinstaub - pro Jahr, wohlgemerkt - 15 Millionen Euro Gesundheitsfolgekosten? Das ist doch nicht für Tempotaschentücher gedacht!? Und wer bezahlt sie, diese Folgekosten? Wir, liebe Mitmenschen - in Form von Steuern und Krankenkassenbeiträgen! Nicht die Betreiber!

Ein letztes Argument noch, und dann will ich schließen: Es wird viel von dieser geheimnisvollen CCS-Technologie gesprochen, die in Brunsbüttel jährlich 17 Millionen Tonnen CO2 aus dem Rauchgas abscheiden soll. Dann nimmt man das CO2 und pumpt es entweder ganz unten ins Meer, oder in große leere Erdölhöhlen oder in Salzwasser führende Schichten, wo es dann bleiben soll. Damit sind dann alle Probleme gelöst... Nordfriesland und Ostholstein werden gerade als Endlager erforscht. Wer von uns will eigentlich eine Garantie dafür übernehmen, dass das Zeug dann artig da bleibt? Erdbebensicher, für tausende Jahre - das Endlagerproblem kennen wir doch schon. CO2 ist schwerer als Luft, tritt es konzentriert aus, bleibt es am Boden und tötet dort alles Leben. Sollen wir Menschen wirklich mit solchen komischen Lösungen herumspielen? Ich fühle mich da an Goethes Zauberlehrling: die Geister, die ich rief, werd ich nun nicht los! erinnert. Abgesehen davon verringert CCS die Effizienz der Kraftwerke noch weiter und es wird unheimlich teuer, so teuer, dass Norwegen und die USA schon CCS-Projekte gestoppt haben, die Milliarden verschlungen haben. Man rechnet mit 6 bis 10 Cent pro KWh.

Wie wär's, wenn wir CO2 einfach bei Neuanlagen gleich ganz vermeiden oder zumindest nur ganz wenig in Kauf nehmen würden? Politiker müssen endlich umdenken - 8 Jahre hatten sie Zeit! Kohlekraftwerke sind kein Zeichen für Umdenken, sondern für geistige Trägheit und Abhängigkeit von Lobbyisten! Investoren, Stadtwerke aus der ganzen Republik, stehen in den Startlöchern, um sich an sauberen Alternativen zu beteiligen!

Politiker fragen immer: was kostet es, wenn wir das machen? Wir fragen: Was wird es alles mal kosten, wenn wir es nicht machen? Vielleicht überlegen die vielen Kapitäne in der Kajüte unseres Floßes ja doch noch, einfach mal ans Ufer zu fahren und nachzudenken!

Das wünsch ich uns - und darauf sollten wir alle drängen! Macht mit!

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