(Gegenwind 234, März 2008)

Diskussion: Türkisch-Unterricht an Schleswig-Holsteins Schulen? - Teil 3

"Das Interesse ist groß"

Hatice Yildirim

Hatice Yildirim ist Referendarin an diesem Gymnasium Hamm (Hamburg), sie unterrichtet Türkisch. Wir fragten sie nach ihren Erfahrungen.

Gegenwind:

Wie sind Sie Türkisch-Lehrerin geworden?

Hatice Yildirim:

Ich bin ja noch nicht ganz Lehrerin, ich bin zurzeit im Referendariat. Damit bin ich Ende Oktober fertig. An der Universität Hamburg habe ich Türkisch und Spanisch studiert und unterrichte diese Fächer am Gymnasium Hamm. Ich bin hier aufgewachsen, als meine Eltern nach Deutschland kamen, war ich eineinhalb Jahre alt. Ich bin hier zur Schule gegangen, habe hier Abitur gemacht und studiert, alles in Hamburg.

Gegenwind:

Warum wollten Sie Lehrerin werden?

Hatice Yildirim:

Ich hatte verschiedene Berufswünsche, Lehrerin wollte ich aus zwei Gründen werden: Ich gebe gerne mein Wissen weiter, und ich möchte gerne Vorbild für die Generation der Kinder sein, die in Deutschland lebt, aber eine andere Herkunft hat. Schon als ich zur Schule ging, habe ich Migranten bewundert, die studiert haben und in der Welt gereist sind.

Gegenwind:

Sind Sie gleich auf das Gymnasium gekommen?

Hatice Yildirim:

Ja. Gleich nach der Grundschule war ich auf dem Gymnasium, so war die Empfehlung. In der Grundschule war ich in einer nationalen Übergangsklasse, wo bilingual unterrichtet wurde, also auf Türkisch und Deutsch, in der Schule Friedrichstraße, das ist heute die Ganztagsschule St. Pauli. Und nach dem Abitur habe ich nach einer kaufmännischen Ausbildung in Hamburg studiert, von Anfang an auf Lehramt.

Gegenwind:

War damals denn schon klar, dass in Hamburg Türkisch-Unterricht eingeführt wird?

Hatice Yildirim:

Als ich angefangen habe zu studieren, war das schon klar, aber es war relativ neu. Ich hatte aber nicht von Anfang an Türkisch studiert, sondern mit Spanisch und Französisch angefangen. Dann merkte ich aber, dass zwei Fremdsprachen finanziell schwer zu tragen sind, und habe dann zu Türkisch gewechselt.

Gegenwind:

War denn klar, dass Sie auch als Türkisch-Lehrerin unterkommen können?

Hatice Yildirim:

Ja, ich hoffe es zumindest.

Gegenwind:

Was ist das für eine Schule, an der Sie jetzt als Referendarin sind?

Hatice Yildirim:

Unsere Schule, das Gymnasium Hamm, ist eine Europa-Schule. Es werden verschiedene Sprachen angeboten, dazu gehört auch Türkisch. Und damit sind wir das einzige Gymnasium in ganz Hamburg, das Türkisch anbietet. Und wir bieten nicht nur Türkisch für Herkunftssprachler an, sondern Türkisch auch als Fremdsprache, und zwar für alle Schülerinnen und Schüler aus ganz Hamburg. Der Unterricht ist extra auf den Nachmittag gelegt, damit alle Schülerinnen und Schüler von ihren Schulen aus anreisen können. Sie müssen dafür nicht die Schule wechseln.

Gegenwind:

Wie groß ist das Interesse?

Hatice Yildirim:

Das Interesse ist groß. Die Eltern sind sich manchmal unsicher, wenn die Kinder nicht gute Leistungen erbringen, ob sie dann Türkisch dazu wählen sollen oder nicht. Aber das Interesse und die Motivation sind da. Und auch das Interesse an Türkisch als Fremdsprache ist sehr groß. Die Schülerinnen und Schüler kommen aus verschiedenen Herkunftsländern, manchmal aus binationalen Ehen, ich habe auch deutsche Schüler. Sie haben von Anfang an eine hohe Motivation mitgebracht, und die haben sie noch immer. Im Moment sind es 11 Schülerinnen und Schüler in dieser Klasse. Es gibt seit der Einführung von Jahr zu Jahr mehr Anfragen, das Problem ist manchmal, dass die Tage, an denen der Türkischunterricht stattfindet, nicht immer mit den Stundenplänen der Schüler übereinstimmen. Sie haben an ihren Schulen auch zum Teil nachmittags Unterricht.

Gegenwind:

Macht es Sinn, den Unterricht für Muttersprachler und Fremdsprachler zu trennen?

Hatice Yildirim:

Ja, das macht Sinn. Die Schülerinnen und Schüler fangen ja mit unterschiedlichen Kenntnissen an. Das heißt die einen müssen zunächst die Basisgrammatik und -wortschatz lernen, während die anderen ihre Sprachkenntnisse ausbauen. Das heißt nicht, dass es eine klare Trennung zwischen Mutter- und Fremdsprachlern gibt. Deswegen ist die Entscheidung, in welche der beiden Gruppen die jeweiligen Schüler kommen, nicht immer ganz einfach. Beide Gruppen sind heterogen.

Gegenwind:

Wie weit fahren die Schülerinnen und Schüler?

Hatice Yildirim:

Sie kommen zum Teil von der anderen Seite Hamburgs, aus Schnelsen oder anderen Stadtteilen, das sind eine bis eineinhalb Stunden Fahrt. Die Muttersprachler in meinem Kurs, das sind die jüngeren Schüler, sind eher aus unserer eigenen Schule. Im Fremdsprachenkurs sind es eher SchülerInnen von außerhalb.

Gegenwind:

Gibt es türkische Eltern, die die Kinder extra beim Gymnasium Hamm anmelden, weil es dort Türkisch-Unterricht gibt?

Hatice Yildirim:

Nein, kaum. Es ist ja problemlos möglich, sich an einem anderen Gymnasium anzumelden, dort bei den Freunden und in der gewohnten Umgebung zu bleiben, und für den Türkisch-Unterricht zu uns rüberzufahren. Es gibt aber viele Schülerinnen und Schüler, die zu uns aus anderen Gründen wechseln. Das können bestimmte Fächer sein, die bei uns angeboten werden, oder das Schulprogramm, das den Schülerinnen und Schülern gefällt, oder einfach die interkulturelle Vielfalt, die am Gymnasium Hamm vorhanden ist und z.B. in Europaprojekten genutzt wird. Die Schülerinnen und Schüler können am Gymnasium Hamm das Europazertifikat erlangen. Auch das kann ein Grund für einen Wechsel der Schule sein.

Gegenwind:

Was bedeutet der Unterricht für das Selbstbewusstsein der türkisch-stämmigen Schülerinnen und Schüler? Oder gehen sie dahin, weil sie Vorkenntnisse haben und es in diesem Fach leichter haben?

Hatice Yildirim:

Ja, einige Schülerinnen und Schüler haben mir erzählt, sie wurden von anderen angesprochen, sie gingen nur in den Kurs, weil sie schon Türkisch können. Sie verteidigen sich aber gut, denn das ist nicht wahr, sie müssen in diesem Unterricht auch arbeiten. Natürlich stärkt es auch das Selbstbewusstsein, wenn die Herkunftssprache normales Fach ist. Sie sind aber dann auch stolz, dass sie immer was Neues dazulernen und bald mehr wissen als ihre Gleichaltrigen oder sogar ihre Eltern. Zu Beginn holen sie sich Hilfe von ihren Eltern, aber nach einiger Zeit geht das nicht mehr, sie können dann schon bald mit ihren Eltern konkurrieren oder wissen in einigen Bereichen sogar mehr als sie.

Gegenwind:

Wie sind überhaupt die Türkisch-Kenntnisse der Kinder, die Türkisch als Muttersprache angeben?

Hatice Yildirim:

Das ist sehr unterschiedlich. Sie bringen ganz unterschiedliche Kenntnisse mit. Wir sind im Gymnasium Hamm darauf vorbereitet, dass die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Kenntnisse haben. Deshalb gibt es hier eine Binnendifferenzierung, es wird innerhalb des Unterrichts viel differenziert. Wir machen Angebote für die, die mehr Grammatik brauchen oder mehr Textarbeit. Das gilt auch für die anderen Fächer.

Gegenwind:

Kennen Sie persönlich den Konsulatsunterricht?

Hatice Yildirim:

Ja, ich kenne ihn aus eigener Erfahrung, ich kann aber nichts dazu sagen, wie er jetzt ist. Ich habe gute Erfahrungen gemacht, bin gerne hingegangen und hatte Spaß daran. Die Note, die ich dort bekommen habe, fand auch Eingang in mein Zeugnis. Und das war super! Das einzige war, dass es nicht immer einfach war, dem Lehrer zu folgen.

Gegenwind:

Was sind denn die Unterschiede zwischen Türkisch im Konsulatsunterricht und Türkisch im normalen Unterricht am Gymnasium?

Hatice Yildirim:

Ein wesentlicher Unterschied ist die Erfahrung der Lehrkräfte. Die Lehrkräfte mit Migrationshintergrund, die hier ihre Ausbildung gemacht haben und eine andere Lebenserfahrung mitbringen, können sich besser in die Schüler hineinversetzen und den Unterricht dementsprechend gestalten. Da der Konsulatsunterricht diese Erfahrung nicht hat, kennen sie folglich nicht die Lebensbedingungen, unter denen die Schüler hier leben. Deshalb gehen die Lehrer von den gleichen Lebensbedingungen wie in der Türkei aus. Wir haben einfach die Erfahrung, in diesem Land zweisprachig aufgewachsen zu sein und können diese den Schülern nutzbar machen. Wir kennen die Schwierigkeiten und die Vorteile.

Gegenwind:

Das Motiv zur Einführung des Konsulatsunterrichts war ja die Idee, die Gastarbeiten sollten sowieso zurück kehren, und die Kinder sollten sich dann leichter in die türkische Schule integrieren. Hat der Konsulatsunterricht nicht seinen Sinn verloren?

Hatice Yildirim:

Diesen Sinn hat er verloren. Ich sehe den Konsulatsunterricht als ein zusätzliches Angebot, das eine Verbindung zwischen den hier lebenden Migranten und der Türkei darstellt. Denn viele Schülerinnen und Schüler denken daran, in der Welt zu reisen, auch in der Türkei, dort vielleicht eine Weile zu bleiben. Deshalb sehe ich den Unterricht positiv. Nicht zur Vorbereitung auf eine Rückkehr, sondern zur Vorbereitung auf die Globalisierung.

Gegenwind:

Wie sieht denn die Konkurrenz aus zwischen Türkisch, Spanisch, Italienisch? Was rät die Lehrerin, wenn das Kind nicht weiß, welche Sprache es wählen soll? Was spricht für den Türkisch-Unterricht?

Hatice Yildirim:

Diese Frage kam natürlich auch für mich persönlich. Ich bin ein Sprachen-Fan, ich sehe Sprachen wie alle Linguisten als gleichwertig an. Für mich ist die Frage bei Ratschlägen, was willst du später damit und wie sind deine Stärken. Was kannst du schon, was kannst du noch nicht, wohin willst du. Und dementsprechend berate ich die Schüler. Wenn sie endlich mit den eigenen Eltern auch auf einer höheren Stufe diskutieren wollen, auf Türkisch, ihre Kenntnisse einfach ausbauen oder für ein Weilchen in der Türkei leben wollen, dann rate ich ihnen natürlich dazu. Wenn sie eine andere Fremdsprache lernen möchten, dann muss man ihnen auch sagen, welche Sprache was erfordert. Türkisch können sie direkt in der Familie, bei Verwandten benutzen, das können sie mit anderen Sprachen häufig nicht. Es hängt also davon ab, was sie wollen, wohin sie wollen.

Gegenwind:

Ist es denn in Hamburg allgemein bekannt, dass es Türkisch als Wahlfach gibt?

Hatice Yildirim:

Im Großen und Ganzen ist es bekannt, es gibt natürlich immer wieder Fälle, wo die Eltern nicht im Bilde sind. Das Gymnasium Hamm verschickt jedes Jahr die Information an alle anderen Schulen mit den entsprechenden Terminen und der Information, dass Türkisch als Prüfungsfach gewählt werden kann.

Gegenwind:

In Schleswig-Holstein gibt es keinen Türkisch-Unterricht. Wäre es sinnvoll, das auch hier einzuführen?

Hatice Yildirim:

Ja, aus meiner Sicht. Aus linguistischer Sicht ist jede Sprache gleichwertig und ein Mittel zur Kommunikation. Interessant dabei ist, dass Türkisch zu einer anderen Sprachfamilie gehört als z.B. Deutsch, Englisch oder Französisch. Das erfordert zusätzliche Lernstrategien. Türkisch bietet einen anderen Zugang zum Sprachenlernen. Wenn die Nachfrage da ist, sollte der Unterricht auch angeboten werden. Und vor allem sollte es ein normales Unterrichtsfach sein. Grundsätzlich bin ich dafür, auch weil ich gute Erfahrungen mit diesem Fach mache - sowohl in Türkisch als Herkunftssprache als auch als Fremdsprache. Meines Erachtens gibt es nichts was gegen Türkisch als Unterrichtsfach in den Schulen spricht.

Weitere Beiträge zur Diskussion (auch von Teil 1 und 2 aus dem Gegenwind (Nr. 233, Februar 2008))

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