(Gegenwind 234, März 2008)

Diskussion: Türkisch-Unterricht an Schleswig-Holsteins Schulen? - Teil 3

"... dass man es als Migrantin in der deutschen Gesellschaft schaffen kann"

Ayfer Sengül-Loof

Türkisch als normales Unterrichtsfach? Im Gegenwind 233 und 234 (Februar und März 2008) haben wir rund zwei Dutzend Stellungnahmen dazu von Politikerinnen und Politikern, Vereinen und hier lebenden türkisch-stämmigen Schleswig-HolsteinerInnen abgedruckt. Um die Frage nicht nur theoretisch zu diskutieren, trafen wir in Hamburg Ayfer Sengül-Loof, die am Gymnasium Hamm u.a. als Türkisch-Lehrerin arbeitet. Dort belegen Schülerinnen und Schüler Türkisch als herkunftssprachlichen Unterricht. Parallel dazu bietet das Gymnasium Hamm Türkisch auch als Fremdsprachenunterricht für Nicht-Muttersprachler an. Die Muttersprachler können Türkisch als drittes schriftliches bzw. mündliches Abitur-Prüfungsfach einbringen.

Gegenwind:

Welchen Bildungsweg sind Sie gegangen, um Lehrerin zu werden?

Ayfer Sengül-Loof:

Nachdem ich Ende 1975 mit vier Jahren aus einem ostanatolischen Dorf der Türkei nach Flensburg kam, wurde ich zunächst in einer rein türkischen Grundschulklasse eingeschult. Über die Mittlere Reife habe ich auf dem zweiten Bildungsweg am technischen Gymnasium meine allgemeine Hochschulreife erlangt. An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel absolvierte ich das gymnasiale Lehramtsstudium. Das Referendariat absolvierte ich an einem südhessischen Gymnasium und bewarb mich im Anschluss für den hamburgischen Schuldienst.

Gegenwind:

Wo studiert man denn, um Türkisch-Lehrerin zu werden?

Ayfer Sengül-Loof:

Der Studiengang Türkisch wird bislang nur an wenigen Universitäten in Deutschland angeboten.

Gegenwind:

Sie sind ja in Flensburg nicht sofort auf das Gymnasium gegangen. Ist das typisch für eine türkische Schülerin, dass bis zum Abitur mehrere Schritte nötig sind?

Ayfer Sengül-Loof:

Ich denke nicht, dass dies der übliche Weg sein muss. Jedoch war zu meiner Zeit das Verständnis der türkischen Eltern in Bezug auf Empfehlungen der Grundschulen anders. Man fügte sich dem Rat der Lehrkräfte ohne Widerspruch. Der zweite Bildungsweg ist sicherlich aufwendiger und bedarf auch einer besonderen Unterstützung seitens des Elternhauses.

Gegenwind:

Hat es darüber Auseinandersetzungen mit den Eltern gegeben?

Ayfer Sengül-Loof:

Auseinandersetzungen darüber gab es keine. Meine Eltern haben uns stets vorgelebt, dass Bildung ein hohes Gut darstellt. Vor allem hier in Deutschland.

Gegenwind:

Was ist das Gymnasium Hamm denn für eine Schule? Warum bietet es Türkisch an?

Ayfer Sengül-Loof:

Das Gymnasium Hamm bietet in Hamburg als einziges Gymnasium den Türkischunterricht für alle Hamburger Gymnasiasten an - als herkunftssprachlichen - Türkisch-Unterricht, oder Türkisch als dritte Fremdsprache. Die Schülerinnen und Schüler haben somit die Möglichkeit, Türkisch als Abiturprüfungsfach zu wählen, bzw. in speziellen Fällen nach einer Sprachfeststellungsprüfung mit dem Fach Türkisch eine andere Fremdsprache zu ersetzen. Unter den Schülerinnen und Schülern, die Türkisch belegen finden sich u.a. arabische, persische, afghanische und deutsche.

Gegenwind:

Was haben die für Motive, Türkisch zu lernen?

Ayfer Sengül-Loof:

Ganz unterschiedliche. Sie haben einen großen türkischen Freundeskreis und interessieren sich daher sehr für die türkische Sprache oder stammen aus binationalen Ehen. Darüber hinaus wird es sicherlich eine noch komplexere und intensivere deutsch-türkische Beziehung geben, so dass zukünftige Generationen zunehmend davon profitieren können.

Gegenwind:

Gibt es auch Eltern, die ihre Kinder absichtlich an diesem Gymnasium anmelden, auch wenn sie weiter entfernt wohnen, weil es hier Türkisch-Unterricht gibt?

Ayfer Sengül-Loof:

Natürlich gibt es auch solche. Viele Eltern verkünden bereits bei der Einschulung ihrer Kinder am Gymnasium Hamm aus den bereits genannten Gründen ihr Interesse am Türkischunterricht.

Gegenwind:

Was ist denn der Unterschied zum Konsulats-Unterricht?

Ayfer Sengül-Loof:

Die Sozialisation innerhalb der Schule und der Gesellschaft stellt für mich das Hauptproblem dar. Erziehungsziele wie Selbständigkeit oder Mündigkeit haben im türkischen Bildungssystem einen anderen Stellenwert. Konsulatslehrer, die bei ihrer Lehrtätigkeit auf Disziplin und Lernen setzen werden in den hiesigen Schulen mit Schülern konfrontiert, die dieses Verständnis nicht teilen. Besonders die methodische Herangehensweise der Konsulatslehrer ist eher ein lehrerzentriertes Unterrichten. Hinzu kommt, dass das Kultur- und Moralverständnis der in Deutschland lebenden türkischen Schülerinnen und Schüler die Konsulatslehrer oftmals überfordern.

Gegenwind:

Hat es einen Einfluss auf das Selbstbewusstsein türkischer Schülerinnen und Schüler, wenn Türkisch den gleichen Status hat wie Englisch und Französisch?

Ayfer Sengül-Loof:

Da kann ich nur spekulieren. Ich denke aber, dass die "Anerkennung" ihrer Muttersprache ihnen Vorteile bringt. Das stärkt sicherlich ihr Selbstbewusstsein.

Gegenwind:

Sind im Abiturjahrgang nur Muttersprachler?

Ayfer Sengül-Loof:

Wir bieten nur Türkisch als herkunftssprachlichen Unterricht als schriftliches oder mündliches Prüfungsfach im Abitur an.

Gegenwind:

Ein Problem ist ja, dass türkischstämmige Schüler zu oft gar keinen Abschluss haben, und wenige als im Durchschnitt aller Schülerinnen und Schüler Abitur machen. Ändert sich mit dem Türkisch-Angebot auch da etwas?

Ayfer Sengül-Loof:

In gewisser Weise kann es türkischstämmige Schüler motivieren. Allerdings besteht die Abiturnote nicht nur aus der Note des Türkischunterrichts. Um mehr türkischstämmige Schüler zum Abitur zu bringen müssen zunächst auch die Elternhäuser ihrer Verantwortung bewusst werden. Finden Schülerinnen und Schüler die Unterstützung und Förderung seitens ihrer Eltern, so können sie sich sicherlich besser auf ihre Leistungen und ihren Bildungsweg konzentrieren. Eltern müssen ihren Kindern die wichtige Rolle der Bildung in der Gesellschaft nahebringen.

Gegenwind:

Reden Sie auch mit Eltern, deren Kinder noch in die Grundschule gehen?

Ayfer Sengül-Loof:

Bei Veranstaltungen am Gymnasium Hamm, zu dem Grundschulschüler eingeladen werden ergeben sich meist gute Gelegenheiten, solche Grundgedanken an türkische Eltern weiterzugeben.

Gegenwind:

Ist denn für türkischstämmige Schülerinnen und Schüler die Lehrerin, die auch aus der Türkei stammt, ein besonderes Vorbild?

Ayfer Sengül-Loof:

Ja, das möchte ich gerne sein. Meine Intention ist es, ihnen zu zeigen, dass man es als Migrantin in der deutschen Gesellschaft schaffen kann. Sie sollen erkennen, dass sie über Bildung viel erreichen können. Ich fordere sie auch auf, ihre Chancen in Deutschland zu erkennen und bei kleinen Rückschlägen nicht aufzugeben. Ich versuche auch zwischen Eltern und Schülern zu mitteln. Sie müssen lernen miteinander zu kommunizieren, um die Sicht des anderen zu tolerieren. Ist dann auch das Vertrauen untereinander gestärkt, steht einem Leben ohne Verbote und Streit nichts mehr im Weg.

Gegenwind:

Entstehen so nicht auch Konflikte? Sagen Ihre Schülerinnen nicht zu Hause, meine Lehrerin hat gesagt ich darf das, und sie ist auch Türkin?

Ayfer Sengül-Loof:

Nein. Ich sage ja nicht, ich durfte einen deutschen Mann heiraten, ich durfte in die Disco gehen, und jetzt geht nach Hause und versucht das auch. Das versuche ich natürlich nicht. Stehen sie aber vor einem Konflikt mit ihren Eltern, so sollten sie auch die Ängste und Befürchtungen der Eltern respektieren. Mit angebrachten Argumenten und Rücksicht stößt man auf viel mehr Verständnis bei den Eltern. Ebenso erlebe ich oft, dass ich auf Grund meines eigenen Lebenslaufes für die Schülerinnen und Schüler eine wichtige Vertrauensperson bin.

Gegenwind:

Würden Sie auch gerne Türkisch in Flensburg unterrichten?

Ayfer Sengül-Loof:

Warum nicht. Es ist eine wunderschöne Stadt und ich habe schöne Erinnerungen an Flensburg. Wer weiß!

Weitere Beiträge zur Diskussion (auch von Teil 1 und 2 aus dem Gegenwind (Nr. 233, Februar 2008))

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