(Gegenwind 234, März 2008)

Diskussion: Türkisch-Unterricht an Schleswig-Holsteins Schulen? - Teil 2

Türkisch, ein normales Unterrichtsfach?

Dr. Özkan Nissen

Die Frage allein suggeriert eine negative Haltung. Weshalb sollte man eigentlich in dieser so schwierig empfundenen Sprache denn einen normalen Unterricht anbieten? Außerdem wem sollte dies denn dienen? Schließlich ist noch die Frage nach den Kosten. Natürlich hört man leider noch oft - insbesondere bei vorgehaltener Hand - mit Vorurteilen geprägte Meinungen, die darauf abzielen diese abwertend beurteilte Sprache könne solche Überlegungen nicht wert sein.

Mit dieser Frage wurde ich zu drei verschiedenen Zeiten unter völlig unterschiedlichen Aspekten konfrontiert.

Zunächst war ich - mit deutscher Herkunft - in der Türkei geboren und aufgewachsen. Ich durfte die deutsche Schule in der Türkei aus rechtlichen Gründen nicht besuchen und hatte auf einer in der Türkei befindlichen französischen Schule das Baccalaureat (Abitur) im Jahre 1979 gemacht. Das Abkommen mit Frankreich bezog sich nur auf Abschlüsse im jeweiligen Land und damit war ein französisches Abitur im Drittstaat Türkei ausgeschlossen. Ich hatte auch das türkische Abitur und sollte nun auch noch das deutsche Abitur machen, weil ich als Deutscher, im Gegensatz zu Türken in meiner Lage, nicht über das Ausländerkontingent mit einem türkischen Abitur studieren durfte. Da die Termine in allen Bundesländern außer Hessen bereits vorbei waren und ich nicht warten durfte, habe ich mich nach Hessen an das Goethegymnasium in Frankfurt begeben. Wir waren fünf Deutsche, die im Ausland geboren und / oder aufgewachsen waren und nun die sog. "Ergänzungsprüfungen" in Deutschland machen mussten. Deutsch, als Muttersprache, war uns fremd. Viele von uns hatten nie Deutsch als Unterrichtsfach erlebt. Dafür aber durften wir unsere "Muttersprache", also jene Sprache in der wir aufgewachsen waren, wählen... so wurde es uns zu mindestens erzählt. In Deutsch versuchte man diesen Tatsachen "Rechnung zu tragen" und dafür in der Fremdsprache das Niveau eines Muttersprachlers zu unterstellen. Der eine kam aus Südafrika, der zweite Kandidat aus Kanada und der dritte aus den USA. Englisch war ihre faktische "Muttersprache" der vierte Kandidat schließlich war aus Guatemala und wählte Spanisch. Doch mich hatte man so selbstverständlich, natürlich ohne mich zu fragen, in Englisch platziert, was ich damals nur als 4. (wohlgemerkt !!) Fremdsprache gelernt hatte. Als ich es als sehr ungerecht empfand, dass alle vier anderen Kandidaten in ihrer Muttersprache geprüft werden, wogegen ich in der 4. Fremdprache (wer hat in Deutschland schon 4 Fremdsprachen in der Schule?) auf gleichem Niveau geprüft werden soll und nicht in Türkisch was gerecht wäre. Der Direktor, schaute mich an und meinte nur lakonisch: "sie können ja wieder in die Türkei gehen wenn es Ihnen in Deutschland nicht passt!"

Eine sachliche Begründung, weshalb ich nicht in meiner Muttersprache wie die anderen Prüflinge geprüft werden konnte, vermochte man mir nicht geben. Eine eher als arrogant und überheblich empfundene pikierte Haltung über diese als inferior empfundene Sprache war die Reaktion deren die - meiner Meinung nach - als Pädagogen eine sachlichere Haltung einnehmen müssten.

Es sind bald 30 Jahre vergangen. Heute mit bald 48 Jahren meine ich, dass eine sachlichere, weniger oberflächliche Haltung an der Zeit wäre.

Nun der viel zitierte Unterricht des türkischen Staates in Deutschland. Warum soll der denn nicht gut genug sein?

Erstens weil er nicht wie ein normales Fach behandelt wird, nicht als anerkannte Fremdsprache gelehrt wird und in das deutsche Schulsystem nicht integriert ist. Darüber hinaus wird dieser Unterricht zu sehr "politisiert".

Ich lernte einen dieser Türkischlehrer kennen. Er war für fünf Jahre entsandt worden. Seine Familie durfte nicht nach Deutschland kommen und er musste nach fünf Jahren zurück. Deutschland war und blieb für ihn ein fremdes Land, das ihn zudem gezwungen hatte fünf Jahre von seiner Familie getrennt leben zu müssen, was er als feindlich empfand. Er kam in Schulen an, in denen die Kopftücher, die in der Türkei verboten waren, allgegenwärtig waren. Er stellte rasch fest, dass viele Schüler von einer türkischen Gemeinde kamen, deren religiöse Einstellung der weltstaatlichen und somit laizistischen Einstellung zuwiderliefen. So ging er beispielsweise eines Tages in der Ramadanzeit in die Moschee. Der Imam, der nicht wusste, dass er sich unter den Gläubigern befand, fing mit Hasspredigten an. Alles was religiöse Toleranz, Glaubensfreiheit und deutsche Werte anbelangte wurde summa summarum zum Teufelswerk erklärt und der laizistische türkische Staat, und dessen Lehrer zu Vasallen der "Gottlosen" degradiert. Die Gemeinde machte Zeichen um dem Imam zu sagen, dass der Lehrer doch unter ihnen sei. Doch der so überzeugte Prediger bemerkte nichts. Er predigte der Gemeinde die Kinder nicht in die gottlosen Hände der vom türkischen Staat gesendeten Lehrer zu legen. Nach einer langem Predigt war dem Lehrer klar, dass die Kinder zerrissen sind zwischen den Eltern, die diesem Predigern folgen, und dem Lehrer der die Werte des laizistischen türkischen Staates lehrte. Damit waren die Kinder gleich drei Kräften ausgeliefert. Auf der einen Seite der deutsche Staat mit seiner Werten, auf der zweiten Seite der von türkischen Staat bezahlte Lehrer und auf der dritten Seite der Imam und sein Bild des Islam... Und bei so viel Spannung, so fragte ich den Lehrer, was lernen denn die Kinder noch im Unterricht ? Er wurde stumm und flüsterte mir nur zu: "gar nichts!" Erst da bemerkte ich, dass er leise weinte.

Meine dritte Erfahrung geht auf ein völlig anderes Erlebnis zurück. Mich rief ein Bekannter an und sagte, er sei Dozent an der Volkshochschule in Kaltenkirchen und seine Zeit würde es nicht mehr gestatten. Nun wolle er mich fragen ob ich denn den Unterricht übernehmen könne zudem er sich schon verpflichtet hätte. Weil ich in meinem Büro oft allein bin, war es für mich eine Abwechslung. Es folgten einige Jahre Tätigkeit an der Volkshochschule als Dozent für Türkisch.

Im Laufe dieser Zeit, hatte ich viele Schüler deren Motive so unterschiedlich waren wie sie selbst. Da war ein Kriminalbeamter der Türkisch für berufliche Zwecke benötigte. Ein anderer war Zöllner und hatte viel mit türkischen Mitbürgern und Reisenden zu tun. Eine weitere Schülerin war Lehrerin einer Klasse mit großen Ausländeranteil, wieder eine andere hatte einen Ehemann, der Bundesanwalt mit engen türkischen Verbindungen war und sie begleitete ihn oft. Noch ein anderer hatte in der Türkei ein Haus gekauft, wieder ein anderer war Heilpraktiker und hatte festgestellt, dass es in der Türkei viele Deutsche Rentner gibt und wollte sich dort ansässig machen. Vor wenigen Wochen las ich in einer Zeitschrift, dass die Türkei unter den ersten 15 Ländern ist, die deutsche Auswanderer als ihr Auswanderungsziel im Jahre 2007 gewählt hatten. Es gibt viele Gründe warum man Türkisch lernt. Der Urlaub oder die Liebe sind nur zwei mögliche Gründe, der Unterricht hat es mir gezeigt, dass es viele weitere Gründe gibt weshalb Deutsche Türkisch lernen.

Ich selbst hatte viel in Asien und den Turkvölkern zu tun. Mit Türkisch konnte ich in den Turkstaaten bis zum autonomen Gebiet Ostturkistan in China die Menschen zu bis 80 % verstehen. Ohne Türkisch hätte ich alle diesen Reisen und menschliche Kontakte nie haben können. Als ich auf der Expo in Hannover war, konnte ich von Pavillon zu Pavillon ziehen und sehen ob ich mich denn auch in diesen Ländern mit Türkisch verständigen könnte... Ich war überwältigt.

Dr. Özkan Nissen
Türkisch-Dolmetscher in Neumünster

Weitere Beiträge zur Diskussion (auch von Teil 1 aus Gegenwind (Nr. 233, Februar 2008))

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