(Gegenwind 227, August 2007)

Rechtsanwälte und Dolmetscher

"Es ist auch eine Frage von Diplomatie"

Thomas Jung

Über die Erwartungen eines Anwalts an Dolmetscherinnen und Dolmetscher sprachen wir mit Thomas Jung, Rechtsanwalt und Notar in Kiel.

Gegenwind:

Wie lange hast du schon mit Dolmetscherinnen und Dolmetscher zu tun?

Thomas Jung:

Das kann ich genau sagen: Seit ich Anwalt bin, also seit 1984.

Gegenwind:

In welchen Arten von Gerichtsverfahren bist du bisher Dolmetschern begegnet?

Thomas Jung:

Da gibt es zwei Schwerpunktbereiche: Das eine ist das Verwaltungsrecht, also Asyl- und Ausländerrecht, schwerpunktmäßig bei den Verwaltungsgerichten, ich bin in einzelnen Fällen aber auch beim Bundesamt mitgewesen. Der zweite juristische Bereich sind Strafsachen, wenn ausländische Beschuldigte oder ausländische Zeugen beteiligt sind. Und im Alltag gibt es Dolmetscher bei mir im Büro zu allen möglichen Fragen. Und es gibt sie in allen möglichen Qualitäten oder nicht vorhandenen Qualitäten.

Gegenwind:

Was muss ein Dolmetscher oder eine Dolmetscherin können, um mit dir erfolgreich zusammenzuarbeiten?

Thomas Jung:

Das ist eine Frage der Perspektive. Ich habe den Eindruck, aus Sicht der Mandanten ist es enorm wichtig, dass der Dolmetscher mit dem Mandanten bekannt, verwandt oder befreundet ist, und es ist fast egal, ob er selbst katastrophal Deutsch spricht. Aus meiner anwaltlichen Sicht sehe ich das ganz anders. Da sehe ich es gerne, wenn der Dolmetscher beziehungsmäßig und verwandtschaftlich möglichst weit vom Mandanten weg ist, möglichst neutral auf das Thema gucken kann. Er sollte nicht, noch bevor eine Frage zu Ende gestellt ist, sagen, ich weiß schon die Antwort. Es ist sehr oft hier im Büro so, dass Leute, die zum Übersetzen kommen, eigentlich mehr wissen über die Tat als der Beschuldigte selbst. Da kann man nur schlechter arbeiten. Es kommt deshalb auch vor, dass ich Leute wieder rausschmeiße. Also ich mache das diplomatisch, schicke sie weg und frage, ob sie mit einem anderen Dolmetscher wiederkommen können.

Gegenwind:

In welchen Fällen lehnst du als Anwalt oder Strafverteidiger bei Gericht eine Dolmetscherin oder Dolmetscher ab?

Thomas Jung:

Das kommt relativ selten vor, ist aber in den letzten 24 Jahren immer mal wieder vorgekommen. In Verfahren mit politischem Einschlag ist es manchmal so, dass Mandanten das von vornherein gerne möchten, beispielsweise gab es eine Phase bei den Verwaltungsgerichten, als kurdische Asylbewerber mit türkischen Dolmetschern, die nicht selbst Kurden waren, nicht zusammenarbeiten wollten. Sie sagten, sie könnten sich nicht äußern, das wäre ja gewissermaßen ein Agent des Feindes, da hat es eine Reihe von Versuchen gegeben, bestimmte Dolmetscherinnen und Dolmetscher ablösen zu lassen. In Strafverfahren mit politischen Einschlag passiert es, wenn Interessengruppen oder Bevölkerungsgruppen sich gegenüberstehen, verfeindete Gruppen wie PKK gegen die Grauen Wölfe. Da versucht man, Dolmetscher für die Verfahren zu bekommen, die nicht selber mitten in dem Kampfgetümmel stecken.

Gegenwind:

Die meisten Dolmetscherinnen und Dolmetscher haben keine richtige Ausbildung, sondern sie können zwei oder drei Sprachen und bringen sich den Rest selbst bei. Reicht das oder wünscht du eine richtige Ausbildung?

Thomas Jung:

Bei manchen Dolmetschern hat es gereicht. Aber ich wünschte mir doch eine Art von Ausbildung. Ich wünschte sie für mich, aber auch für die Angeklagten und auch für die Justizpersonen. Ich habe oft den Eindruck, dass Richterinnen und Richter auch falsche Vorstellungen von dem haben, was Dolmetscher leisten und leisten können.

Gegenwind:

Wo hakt es am häufigsten?

Thomas Jung:

Zum einen hakt es oft daran, dass Richter selbst keine Ausbildung im Umgang mit Ausländern und im Umgang mit Dolmetschern haben. Oft haben sie auch wenig Ahnung von Fragetechnik. Es gibt in der Vernehmungslehre, einem Unterzweig der Psychologie, Erkenntnisse, wie man aus einem Beschuldigten oder Zeugen die meisten Auskünfte herausbekommt. Das hat sich bis heute zu vielen Richterinnen und Richtern nicht rumgesprochen. Ein Beispiel: Der Richter hat einen Zeugen da sitzen und sagt zu der Dolmetscherin: "Fragen Sie den Zeugen mal, ob..." So wird verhindert, dass ein direkter Gesprächskontakt zwischen dem Richter und der Person zustande kommt. Wenn die Dolmetscherin dann mitspielt und fragt den Zeugen, ob..., und dann in der dritten Person dem Richter und den Verfahrenspersonen berichtet: "Der Zeuge hat gesagt, dass...", dann ist die Chance, dass man eine teilweise unwahre Aussage bekommt, viel größer als wenn der Vernehmende versucht, eine unmittelbare eigene Beziehung aufzubauen. Also den Zeugen, nicht die Dolmetscherin angucken: "Ich frage Sie, ob..." Das ist enorm wichtig, das versuche ich Richtern zu erklären und versuche auch Dolmetschern zu erklären, dass es nicht ihr Job ist, Leute zu fragen, sondern sie sollen etwas übersetzen. Dolmetscher sollten sich wehren, wenn Gerichte so agieren.

Gegenwind:

Wie soll sich ein Dolmetscher verhalten, wenn sprichwörtliche Redewendungen gebraucht werden, die in einer anderen Sprache sind sie nicht so rüberzubringen sind? Wie ist es mit zweideutigen Äußerungen, die eine Beleidigung oder eine Bedrohung sein können? Dürfen sie das erklären.

Thomas Jung:

Wenn in der Muttersprache etwas eine bestimmte Bedeutung hat, die in der wörtlichen Übersetzung nicht rüberkommt, dann erwarte ich, dass der Dolmetscher zunächst den Wortlaut übersetzt und dann in geeigneter Weise kenntlich macht, dass diese Redewendung eine bestimmte Bedeutung haben könnte. Dann wäre es Aufgabe des Gerichtes, mit der Dolmetscherin oder dem Dolmetscher zu klären, ob der Dolmetscher diese Bedeutung erläutern soll. Denn dann ist er nicht mehr Dolmetscher, in dieser Funktion wäre er Sachverständiger. Er müsste entsprechend belehrt werden. Aber nur dann haben die Verfahrensbeteiligten die Chance zu verstehen, was die Verhörsperson überhaupt rüberbringen wollte.

Gegenwind:

Dolmetscherinnen oder Dolmetschern fällt manchmal früher als allen anderen Verfahrensbeteiligten auf, dass in einer Aussage etwas nicht stimmen kann, wenn sie sich mit dem Heimatland auskennen und in der Muttersprache über das Herkunftsland etwas gesagt wird. Dürfen sie darauf hinweisen, dass das nicht sein kann, was da gesagt wurde?

Thomas Jung:

Nein. Sie dürfen eindeutig nicht darauf hinweisen. Dolmetscherinnen und Dolmetscher sind, juristisch ausgedrückt, Gehilfen des Gerichtes, sie helfen, das zu verstehen, was in einer anderen Sprache gesagt wird. Ob das richtig oder falsch ist oder sein kann, hat den Dolmetscher bei seiner Berufsausübung nicht zu interessieren. Die Gefahr ist groß, dass der Dolmetscher wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wird, und ich finde es auch richtig so, dass die Gefahr groß ist. Stellen wir uns vor, das Sprachproblem bestünde nicht, der Zeuge oder Angeklagte würde Deutsch reden. Und dann mischte sich jemand anderes ein und sagte, das ist doch alles Quark. Da sieht man sehr deutlich, dass das prozessrechtlich gar nicht vorgesehen sein kann. Der Dolmetscher hat nur zu übertragen, auch wenn es der größte Unsinn sein sollte.

Gegenwind:

Dolmetscher haben auch manchmal Druck, dass sie gefragt werden. Richter oder Entscheider des Bundesamtes fragen sie außerhalb ihrer Tätigkeit, ob ein Akzent so ist, dass das Herkunftsland stimmt, sieht ein Durchsuchungsbefehl in dem Land so aus - sollen sie die Antwort verweigern?

Thomas Jung:

Das ist natürlich eine Frage, deren Beantwortung auch vom Fingerspitzengefühl des Dolmetschers abhängt. Wenn der Dolmetscher solche Fragen beantwortet, ist er nicht als Dolmetscher tätig, sondern als Sachverständiger. Ich weiß nicht, ob Dolmetscher für ihre Übersetzungstätigkeiten eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben, falls ihnen mal etwas daneben gelingt. Ein Sachverständiger, der ein Gutachten erstattet, sollte immer eine Haftpflichtversicherung für seine berufliche Tätigkeit abgeschlossen haben. Ich würde mich als Anwalt weigern, mich beruflich zu etwas zu äußern, von dem ich weiß, dafür habe ich überhaupt keinen Versicherungsschutz, wenn es nicht richtig sein sollte, was ich sage. Also sollte der Dolmetscher sehr vorsichtig sein bei dem, was er sagt. Natürlich ist es so, wenn man bei seinem Brötchengeber sitzt, und Polizei, Bundesamt oder das Gericht sind nun mal Brötchengeber, will man die nicht verprellen. Es ist auch eine Frage von Diplomatie, ich empfehle sich unverbindlich zu äußern, darauf hinzuweisen, vielleicht gibt es jemanden, der so etwas besser beurteilen kann als ich, es gibt Universitätsinstitute oder Linguisten, die zu solchen Fragen etwas sagen können. Denn wenn es rauskommt, fliegen sie aus dem Verfahren raus, und damit tun sie sich und anderen keinen Gefallen.

Gegenwind:

Einige Dolmetscher befürchten auch, sich unbeliebt zu machen, wenn sie für die Polizei arbeiten, zum Beispiel bei Telefonüberwachungen mit machen. Hast du schön Fälle von Bedrohung erlebt?

Thomas Jung:

Ich habe es schon erlebt, dass Dolmetschern nachgesagt wurde, sie seien für die Polizei tätig, und die sich bei mir beklagt haben, das sei doch gar nicht so. In der Regel kann ich das nicht prüfen, weil in den Akten seit vielen Jahren nicht mehr drinsteht, wer dolmetscht, bei der Telefonüberwachung steht nur noch "Dolmetscher 1" oder "Dolmetscherin 2". Es ist immer wieder ein Thema. In Schleswig-Holstein sind nur noch ganz wenige Vertrauensdolmetscher der Polizei tätig, die später in Gerichtsverfahren nicht mehr eingesetzt werden, weil sie nur noch als Polizeidolmetscher arbeiten. Die sind nicht schlechter als andere, ich habe wenig Beanstandungen gehört, dass man jemand falsch übersetzt hätte. Aber sie werden von Gerichten kaum herangezogen oder bemühen sich nicht darum.

Gegenwind:

Wie sollten sich Dolmetscher vorbereiten, wenn sie eine Ladung zum Gerichtsverfahren kriegen?

Thomas Jung:

Sie sollen ausgeschlafen antreten. Ich würde empfehlen, wenn sie noch nicht so sicher sind, ein Wörterbuch mitzunehmen. Ich finde, das ist eher ein Zeichen von Souveränität zu sagen: Eigentlich kann ich das, aber wer weiß, was in solch einem Verfahren passiert, ob mir jemand eine Vokabel anbietet, die ich nicht übersetzen kann. Und bevor ich falsch übersetze, möchte ich lieber nachschlagen. Dolmetscher sollten nicht versuchen, vorher mit Verfahrensbeteiligten, Richtern oder Staatsanwälten zu reden und zu fragen, worum geht's denn da. Denn da tauchen schnell Fragen auf, dass jemand daraus Rückschlüsse zu ziehen versucht auf eine mögliche Befangenheit. Anders ist es, wenn sie glauben, aus irgend einem Grunde den Fall zu kennen, wenn zum Beispiel der Name so klingt wie der Name eines Verwandten. Dann sollte man sich schlau machen und klären, ob man für das Verfahren vielleicht persönlich ungeeignet ist.

Gegenwind:

Was müssen denn Dolmetscherinnen oder Dolmetscher können, wie müssen sie sich vorbereiten, wenn sie für einen Notar dolmetschen wollen?

Thomas Jung:

Ich bin ja auch Notar, aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die Dolmetscher, die ich hier erlebe, für das Notariat mit wenigen Ausnahmen ungeeignet sind. Wenn es um eine eidesstattliche Versicherung geht, jemand hat seinen Führerschein verloren und kann ihn nicht wiederfinden, dazu braucht man keine besondere Qualifikation. Wenn es darum geht, einen Grundstückskaufvertrag zu beurkunden, und der ausländische Ehemann sagt, ich erkläre das alles meiner Frau, die Frau aber kaum Deutsch spricht - leider eine soziale Realität. Die Termini aus dem Grundstücksvertrag können Dolmetscher normalerweise weder verstehen noch übersetzen. Das versteht ja schon ein Deutscher kaum, wenn von Auflassungsvormerkung, Grundpfandrecht, Grundschuld die Rede ist. Das muss man nicht nur im Wortsinn, sondern auch in der Bedeutung erfassen. Und das ist schwer. Teilweise sind das deutsche Besonderheiten, die in anderen Rechtssystemen nicht vorkommen. Ich bin heilfroh, wenn ich schriftliche Übersetzungen anfertigen lassen kann von Profis, die im Grundstücksrecht und Grundbuchordnung eine Ausbildung genossen haben. Aber die zu finden ist auch für den Notar schwer.

Gegenwind:

Würdest du junge Dolmetscherinnen und Dolmetscher ermutigen, sich beim Gericht zu bewerben? Welche Erfahrungen sollten sie haben, bevor sie sich bewerben?

Thomas Jung:

Das ist keine Altersfrage. Es ist eine Frage des Selbstbewusstseins und vielleicht des Problembewusstseins. Man muss sich und anderen klarmachen, ich bin neu hier, ich bin aber willig und bereit, mich schlau zu machen, wenn ich etwas nicht weiß. Man muss schon wissen, was die Aussetzung des Vollzuges eines Haftbefehls ist und was eine Bewährungsfrist bedeutet. Eine Grundausbildung auf dem Rechtsgebiet sollte schon da sein. Wer das verstanden hat und das übersetzen kann, sollte sich bewerben.
Mein Standard-Rat an Dolmetscherinnen und Dolmetscher ist: Legen Sie in Verhandlungen immer offen, was sie nicht können. Wenn Sie etwas nicht verstanden haben, weil jemand reines Juristendeutsch spricht, sagen Sie: Ich habe das nicht verstanden. Das ist für mich ein Zeichen von Souveränität. Ich werde mich immer dafür einsetzen, dass Dolmetscher geholt werden, die offenlegen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Dann habe ich die Chance, dass dieser Dolmetscher auch in der ausländischen Sprache einem Zeugen sagt: Ich habe Sie nicht verstanden. Wiederholen Sie das bitte, möglichst mit anderen Worten. Dann haben wir die Gewähr, dass wir bestmöglich verstehen, was gesagt wurde. Und das ist das, worauf es ankommt.

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