(Gegenwind 223, April 2007)

Interview mit Maison Sindy

"Das Krankenhaus will, dass die Patienten selbst Dolmetscher mitbringen"

Maison Sindy

Gegenwind:

Wie sind Sie aus dem Irak nach Deutschland gekommen?

Maison Sindy:

Ich selbst hatte keine politischen Gründe, es war wegen meines Mannes. Er hatte zuende studiert, wollte aber nicht zur Armee und in den Krieg. Wir sind geflohen. Dort habe ich auch nicht normal gelebt. Ich war Lehrerin, aber es war immer Krieg. Das war in Saho, direkt an der Grenze zur Türkei. Ende 1995 sind wir nach Deutschland gekommen, es war gerade Weihnachten.

Gegenwind:

Welche Sprachen konnten Sie damals?

Maison Sindy:

Arabisch, Englisch und Kurdisch.

Gegenwind:

Wie lange hat es gedauert, bis Sie deutsch dolmetschen konnten?

Maison Sindy:

Das hat lange gedauert. Am Anfang hatte ich keine Hoffnung, irgendwann gut deutsch zu können. Ich war ein Jahr ganz still, habe versucht, Wörter zu lernen, habe einen Sprachkurs gesucht. Als ich kam, konnte ich kein Wort deutsch. Hier hatte ich überhaupt kein Kontakt, die Deutschen sind auch etwas verschlossen. So blieb ich zu Hause mit meiner kleinen Tochter damals. Im Irak hatte ich meinen Beruf, hatte viele Freunde, hier blieb ich alleine ein Jahr in der Wohnung. Es war schrecklich, wenn ich mit meinem Kind zum Arzt ging, konnte ich nicht verstehen, was er sagte. Ich habe angefangen mit Fernsehen und habe Wörter aufgeschrieben und gelernt. Ich habe dann im Kindergarten kostenlos gearbeitet, über die Beschäftigungsgesellschaft GAB. Das war gut. Ich wollte kein Geld verdienen, sondern Deutsch lernen, und im Irak war ich ja Grundschullehrerin und hatte auch mit Kindern zu tun. Ich habe mit den Kindern zusammen bei der Arbeit Deutsch gelernt. So habe ich Freunde gefunden, Lübeck und Schleswig-Holstein kennen gelernt.

Gegenwind:

Wann haben Sie zum ersten Mal anderen geholfen, gedolmetscht?

Maison Sindy:

Das war ganz am Anfang, für eine andere kurdische Familie. Ich konnte noch kein Deutsch, aber er war Analphabet, ich konnte wenigstens Englisch und ich konnte im Wörterbuch suchen. Ich musste mit ihm zum Arzt, zu den Stadtwerken, zum Sozialamt und solche Sachen. Der Arzt konnte für mich langsamer sprechen, aber die Beamten haben mit mir geredet, als ob wir Deutsche sind. Ob wir verstehen oder nicht, unser Problem. Ich habe immer abends im Wörterbuch gesucht und mir die Vokabeln für den nächsten Tag aufgeschrieben. Ich habe immer vorbereitet, was ich sagen musste, aber die Antworten oft nicht verstanden. Und Englisch wollte niemand mit mir sprechen.

Gegenwind:

Was dolmetschen Sie jetzt?

Maison Sindy:

Ich bin manchmal in der Kaserne, der Landesunterkunft für Flüchtlinge, bei der Beratung der Diakonie. Aber hauptsächlich Kindergarten und Schule, das ist meine Arbeit. Also im pädagogischen Bereich. Und ich gehe oft mit Bekannten zum Arzt.

Gegenwind:

Welche Sprachen dolmetschen Sie hauptsächlich?

Maison Sindy:

Arabisch und Kurdisch, beim Kurdischen Kurmanci und Sorani, beim Arabischen alle Dialekte, für Leute aus Ägypten, Palästina, Jordanien, das ist egal.

Gegenwind:

Dolmetschen Sie kostenlos oder verdienen Sie damit Geld?

Maison Sindy:

Meistens mache ich das ohne Geld. Ein bisschen Geld bekomme ich, wenn ich beim Elternabend vom Kindergarten oder der Schule dolmetsche, das läuft über das Projekt "Lüpike" oder der Kindergarten selbst bezahlt. Das sind meistens 10 Euro die Stunde. Bei der Beratung in der Kaserne bekomme ich 15 Euro pro Stunde.

Gegenwind:

Welche Themen dolmetschen Sie?

Maison Sindy:

Das ist ganz verschieden. Im Kindergarten geht es um Pünktlichkeit oder um gesunde Ernährung oder um Läuse. In der Schule geht es zum Beispiel um ein einzelnes Problemkind. Und bei Kurden ist oft das Problem, dass sie Analphabeten sind und die Informationen nicht lesen können. Ich mache auch Sprachkurse für kurdische Frauen, damit sie mehr verstehen. Ein Problem: Der Kindergarten verschickt Elternbriefe, und die Eltern sehen nur, das ist Deutsch, und schmeißen es gleich weg wie den "Wochenspiegel". Ich habe auch Elternbriefe auf Kurdisch und Arabisch verschickt, das hat gut geholfen bei einigen, die in der Schule gewesen waren und Lesen können. Andere muss man anrufen.

Gegenwind:

Gibt es auch Probleme, dass bestimmte Ausdrücke gar nicht gedolmetscht werden können?

Maison Sindy:

Ja, wie kann man im Kindergarten "Frühförderung" ins Arabische dolmetschen? Das gibt es bei uns nicht, ich muss das erklären, und viele Mütter denken gleich, das ist ja schrecklich, mein Kind ist behindert. Ich kann das Wort nicht dolmetschen, ich muss es erklären.

Gegenwind:

Können Sie beim Arzt alles dolmetschen?

Maison Sindy:

Wenn der Arzt fragt: Was kann ich für Sie tun? Was haben Sie?, dann gibt es Patienten, die alles erzählen wollen. Sie erzählen, was sie die letzten Jahre alles belastet hat, was sie erlebt haben. Es gibt vieles, was für die Behandlung nicht wichtig ist, der Arzt will nur wissen, wo es weh tut und wie der Schmerz angefangen hat. Arabische oder kurdische Ärzte wollen nicht so viel hören, hier fühlen sich die Patienten wohl beim Arzt, sie fühlen sich willkommen, wenn der Arzt sie begrüßt und die Hand gibt, so was gibt es bei uns nicht. Dann freuen sie sich, dass jemand zuhört, aber als Dolmetscherin weiß ich, dass nicht alles interessant ist für den Herrn Doktor. Ich dolmetsche trotzdem alles, dann muss der Arzt sagen, wenn er weniger hören will.

Gegenwind:

Bezahlt jemand das Dolmetschen beim Arzt?

Maison Sindy:

Nein, das sind Bekannte, die anrufen. Im Gegenteil, ich bezahle auch meine Busfahrkarte selbst.

Gegenwind:

Haben Sie sich schon beim Krankenhaus oder beim Gesundheitsamt beworben?

Maison Sindy:

Nein, das habe ich nicht versucht. Ich denke auch, das Krankenhaus will, dass die Patienten selbst Dolmetscher mitbringen, die wollen das nicht bezahlen.

Gegenwind:

Was passiert beim Arzt, wenn Sie nicht mitgehen?

Maison Sindy:

Sie muss weiter suchen. Aber es passiert auch oft, dass niemand mitgehen kann. Mein Mann ist ja Arzt, er kann deutsch, kurdisch und arabisch. Es kommen türkische Patienten zu ihm, die zeigen auf ihren Bauch und sagen "Bauch, Bauch", aber weiter können sie nichts erklären. Das ist ein richtiges Problem.

Oder einmal in der Uni-Klinik: Sie hatten eine Frau, die hat tagelang nichts gegessen. Sie konnten nicht mit ihr reden, sie haben mich angerufen. Aber die Uni-Klinik ist weit weg, ich kann nicht hinfahren. Ich habe telefoniert, es hat sich herausgestellt, dass die Patientin Angst hatte, dass da Schweinefleisch im Essen sind. Sie konnten ihr nicht erklären, dass das kein Schweinefleisch ist. Ich konnte ihr am Telefon erklären, dass sie essen kann. Und dann hat die Frau auch erklärt, dass sie Milch nur warm trinkt, dass sie im Krankenhaus die warm machen müssen. Es wäre schön, wenn das Krankenhaus eine Liste mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern hat, auch wenn die das nur telefonisch erklären können.

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