(Gegenwind 205, Oktober 2005)

G8 in Mecklenburg-Vorpommern

Hoher Besuch für Heiligendamm

Heiligendamm als Zentrum der Weltpolitik. Dieser Traum der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns wird sich 2007 erfüllen. Schon seit geraumer Zeit bewarb sich die Regierung des Bundeslandes darum, den nächsten G8-Gipfel in Deutschland in der weißen Stadt am Meer austragen zu können. Mittlerweile ist es offiziell: Der Traum wird zur Wirklichkeit, denn das Seebad Heiligendamm ist ein geradezu perfekter Ort für so einen Gipfel.

Heiligendamm
Heiligendamm

Das Kempinski Grand Hotel liegt direkt am Meer und ist ein Edel-Luxushotel - angemessen für die mächtigsten Männer der Welt. Die Lage des Ortes Heiligendamm, in dem das Hotel gelegen ist, zeichnet sich durch Abgeschiedenheit aus: Auf einer Seite die Küste und im Hinterland Wiesen und Felder. Dabei ist es jedoch nicht aus der Welt. Rostock, die nächstgelegene Großstadt ist keine 25 Kilometer vom Ort des Gipfels entfernt. Die richtige Entfernung, um alle fern zu halten, die nicht dabei sein sollen, und alle, die in Heiligendamm keinen Platz haben, unterzubringen. Zudem bietet Rostock als Messestadt die nötige Infrastruktur, die benötigt wird, um dem großen Gefolge eines Gipfel die Arbeit zu ermöglichen. Die Lage des Ortes spricht für sich. Der Meinung war man auch in Berlin, als man sich für Heiligendamm entschied. Harald Ringstorff und sein Wirtschaftminister Ebnet scheinen also ihr Ziel erreichen zu können:

Der Nobelkurort wird im Sommer 2007 für einige Tage im Zentrum der Weltpolitik stehen.

Die Gruppe der Acht

Interessant ist nur zu wissen, wer da nach Heiligendamm kommen soll. Die G 8, also die Gruppe der 8, ist nicht leicht zu fassen. Sie ist keine internationale Organisation, allerhöchstens eine Institution, aber ohne feste Struktur.

Im Grunde genommen ist es nur ein jährliches, informelles Treffen von neun mächtigen Menschen, die alle jeweils eine große Wirtschaftsmacht repräsentieren. Schon seit 1975 treffen sich die Giganten der Weltwirtschaft in Form der Staats- und Regierungschefs von mittlerweile acht Ländern1 und des Präsidenten der EU-Kommission. Sie versuchen gemeinsam, in informeller Runde, die großen Probleme der Welt zu lösen. Doch wie die Auswahl der Teilnehmer schon nahe legt, ist für sie das Hauptanliegen zuallererst das Wohlergehen der Weltwirtschaft - der Weltwirtschaft unter ihrer Führung. Mit der Zeit erweiterte sich der Problemkatalog, zu dessen Lösung sie sich berufen fühlen, so dass die Wirtschaft schon seit längerem nicht mehr im medialen Mittelpunkt der Gipfel steht.

Die Strukturen der Gruppe sind durch ihren informellen Charakter geprägt, es gibt also kein zentrales Büro und keine zentrale Behörde, um die Unternehmungen der Gruppe zu koordinieren. Vielmehr wechselt von Jahr zu Jahr die Präsidentschaft und jedes Land übernimmt somit nacheinander die Organisation der Treffen. Die G8 kristallisiert sich besonders deutlich während der Treffen der Staats- und Regierungschefs heraus, welches einmal jährlich im jeweils gastgebenden Land stattfindet. Neben diesem Treffen, gibt es noch Runden für verschiedene Themengebiete und Ressorts, wie für Finanzen, Handel, Umwelt und das Treffen der Außenminister. Allen Treffen ist gemeinsam, dass sie für die Öffentlichkeit geschlossen sind, was genau darin besprochen wird, ist also nicht klar. Das einzige, was man erfährt, ist, was die Übereinkünfte der Gruppe sind. Diese Papiere, Kommuniques genannt, sind schon für sich brisant genug, um eine immer stärker werdende Kritik an der Gruppe entstehen zu lassen.

Dabei beruht die Kritik zumeist nicht nur auf den Kommuniques der Gipfel, sondern sie basiert auch auf einer Kritik der Struktur und der Politik der Gruppe. Jedoch ist eine kritische Auseinandersetzung mit der G8 nicht sehr einfach, da sogar schon eine so banale Frage, wie die der Zusammensetzung, schwierig zu erklären ist.

Problem: Die Zusammensetzung

Sieht man sich die Auswahl der Mitgliedsstaaten der Gruppe an, so erscheint vor den Augen schnell ein großes Fragezeichen. Denn es ist nicht wirklich ersichtlich, nach welchen Kriterien sich die Gruppe in ihrer heutigen Form zusammengefunden hat. Wenn man die einzelnen Auswahlkriterien untersucht, anhand derer sich die Gruppe zusammengesetzt haben könnte, so erscheint immer mindestens ein Mitglied zuviel zu sein.

Hinterfragt man die Mitgliedschaft nach der Wirtschaftskraft, passt Russland nicht in die G8 - im Jahr 2000 war es nur die 19. Wirtschaftsnation (gemessen am Anteil am Welthandel) - oder es fehlen einige europäische Industrieländer, sowie einige Schwellenländer wie China oder die Tigerstaaten die eine stärkere Wirtschaftskraft haben als Russland.

Nimmt man an, dass die Zusammensetzung der Gruppe auf einem gemeinsamen Eintreten für eine kapitalistische Wirtschaftsordnung im demokratischen Rahmen besteht, so ist wieder Russland zuviel, angesichts der demokratischen Defizite in ihrer "gelenkten" Demokratie.

Geht man davon aus, dass das Leitprinzip der Zusammensetzung die wirtschaftliche regionale Führung ist, so ist Kanada zuviel (Führungsmacht in Nordamerika sind die USA), jedoch z.B. Brasilien, Südafrika, Australien und Staaten wie Indien und China zu wenig.

Nimmt man die Militärkraft, die nötig ist, um wirtschaftliche Stärke zu verteidigen, als Auswahlkriterium, so ist Japan zuviel, es fehlen jedoch wieder einige Länder wie China oder Indien.

Es gibt somit kein einzelnes Auswahlkriterium, nachdem sich die Gruppe zusammensetzt. Meiner Ansicht nach gibt es nur einen halbwegs befriedigenden Erklärungsansatz im Bezug auf die Zusammensetzung der G8. Dieser stimmt weitgehend mit dem ersten Kriterium, der Wirtschaftskraft, überein und unterstreicht den ökonomischen Schwerpunkt der Veranstaltung und passt auch historisch am ehesten. Danach wäre die Mitgliedschaft der G7 (also vor der Aufnahme Russlands) wirtschaftlich zu erklären. Die Mitgliedschaft Russlands beruht dann jedoch nicht auf der nicht-existenten wirtschaftlichen Kraft, sondern mehr auf der symbolischen Bedeutung, die dem Land als ehemaliger Hauptgegner des neoliberalen Westens zu Zeiten des Kalten Krieges zukam. Die G8 in der heutigen Form schließt somit die größten Befürworter und die ehemals schärfsten Gegner der neoliberalen globalen Wirtschaftsordnung ein und kann somit als Symbol des derzeitigen Sieges dieser ökonomischen Denkschule angesehen werden.

Kritik: Zusammensetzung

Die Zusammensetzung führt zu starker Kritik. Viele Kritiker der G8 sind der Meinung, dass das Hauptproblem der Gruppe ist, dass sie zu exklusiv ist. Diese Kritik geht also besonders davon aus, dass die G8 unter einem Legitimationsdefizit leidet, dass nur durch eine Vergrößerung und eine stärkere Variation der Mitglieder aufhebbar sei. Es wird als Problem gesehen, dass bisher - außer Russland - nur Industrieländer Mitglieder sind, während der Großteil der Staaten, die entweder in die Kategorie der Entwicklungs- oder Schwellenländer fallen von der Veranstaltung ausgeschlossen sind. Kritiker dieser Linie fordern deshalb die Aufnahme weiterer Länder, um die Gruppe repräsentativer zu machen. Insbesondere wird die Aufnahme von Ländern bisher unterrepräsentierter Erdteile gefordert. Darunter fallen besonders Afrika, Ozeanien und Lateinamerika, die bisher noch gar nicht in der Gruppe vertreten sind, sowie auch Asien, dass im Vergleich zu Nordamerika und Europa stark unterrepräsentiert ist. Klar ist jedoch, dass keine Reform der Gruppe ihre politischen Inhalte grundlegend verändern könnte. Die politischen Inhalte beruhen auf der Annahme, dass einige ausgewählte Länder der Welt vorangehen müssen und im kleinen Rahmen die Probleme der Welt lösen können.

Kritik: Inhalte

Der Hauptangriffspunkt an der G8 macht sich jedoch nicht an ihrer Struktur, sondern an deren Inhalten fest. Diese Linie der Kritik beschäftigt sich mit den politischen und wirtschaftlichen Positionen, die während der G8-Treffen beschlossen und danach in Politiken umgesetzt werden. Hierbei steht im Mittelpunkt, wie die G8 den Neoliberalismus vorantreibt. Die Gruppe der Acht wird verdächtigt die neue Wirtschaftsordnung, wie sie heute besteht, erst möglich gemacht zu haben und noch immer zu stützen. Diese neue Wirtschaftsform, die gemeinhin Neoliberalismus genannt wird, zeichnet sich besonders dadurch aus, dass sie auf einem fast grenzenlosen Vertrauen in die Selbstregulation des Marktes beruht. Als Aufgabe des Staates wird es nur angesehen, einen freien Markt zu ermöglichen und zu erhalten. Politisch zeichnet sich diese Ordnung durch ihre uneingeschränkte Befürwortung des freien Handels von Waren, Dienstleistungen und Kapital aus (ausgenommen sind jedoch Bereiche wie Agrargüter, bei denen die G8-Staaten einen Wettbewerbsnachteil haben). Institutionell manifestiert sich dies auf internationaler Ebene besonders in Form der Weltbank (WB), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Welthandelsorganisation (WTO). Diese drei Institutionen stellen die Hauptinstrumente zur globalen Durchsetzung des Neoliberalismus dar, da sie alle die weitere Öffnung, Liberalisierung und Einbindung weiterer Märkte in die Weltwirtschaft forcieren. Deshalb stehen auch diese drei Institutionen im Zentrum der globalen Kritik, die sich gegen den Neoliberalismus wendet. Gerade weil die neoliberale Wirtschaftsordnung verantwortlich gemacht werden kann für das wachsende Gefälle von Arm und Reich zwischen und innerhalb von Ländern sowie für die Unterordnung einer steigenden Anzahl von Lebensbereichen unter die Gesetze des Marktes.

Der Zusammenhang zwischen der G8 und der Triade WB-IWF-WTO ist leicht ersichtlich, wenn man einen Blick in die Kommuniques der G8 wirft.

Schon seit dem ersten Kommunique von 1975 tritt die G8 für die Öffnung von Märkten für Waren, Dienstleistungen und Kapital ein. So lässt sich in dem Kommunique von 1984 (London) der Satz finden: "Wir müssen das internationale Handelssystem stärken und ausweiten und die Kapitalmärkte liberalisieren."

Dieser Politik folgend traten die Staaten der G8 auch vehement für die Gründung der WTO ein und auch für die Miteinbeziehung der Verträge zum Handel mit Dienstleistungen (GATS) und zum handelsrelevanten geistigen Eigentum (TRIPS)2. Die Vorstellungen der G8 schlagen sich nicht nur in der WTO nieder, sondern noch viel mehr in der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, weil die Macht der G8 hier besonders groß ist. In der Weltbank besitzen die Staaten zusammen 47 % der Stimmen, die restlichen 176 Mitglieder haben zusammen die restlichen 53 %. Im IWF lautet das Stimmverhältnis sogar 48 % zu 52 %. Das Machtverhältnis ermöglicht den G8-Staaten in beiden Organisationen beinahe einen Alleingang. Dementsprechend sah auch lange Zeit die Politik des IWF und der WB aus, bis die G8 durch Proteste auf der Straße zu partiellen Zugeständnissen gezwungen wurde (siehe unten). In der WTO jedoch, in der die Regel "ein Land, eine Stimme" gilt, ist die Macht nicht so groß. Deshalb konnten bisher nur zwei der fünf Ministerkonferenzen der WTO im Sinne der G8 erfolgreich abgeschlossen werden. Von den letzten drei Konferenzen sind zwei gescheitert und die Dritte konnten die Industrieländer nur unter enormen Einsatz von wirtschaftlicher Erpressung und politisch-militärischem Druck zum Erfolg führen.

Somit besteht das Hauptproblem der Forderungen der G8 vor allem darin, dass sie nicht nur die Länder betreffen, welche die Staats- und Regierungschefs der G8 repräsentieren, sondern dass die gesamte Welt davon betroffen ist. Man kann sogar sagen, dass die Gesellschaften außerhalb der G8-Staaten stärker von dem Treiben der G8 betroffen sind, als die G8-Länder selber. Das liegt daran, dass die Mitglieder diejenigen sind, die derzeit noch am meisten von der neuen Wirtschaftsordnung profitieren, während die Außenstehenden unter den Konsequenzen zu leiden haben.

Die Forderungen gehen hierbei jedoch auseinander. Während die einen auf eine Vergrößerung der Gruppe setzen, fordern die anderen die Abschaffung der G8. International gibt es schließlich auch jetzt schon im Rahmen der Vereinten Nationen die Möglichkeiten der Kooperation und des Austauschs von Information.

Reaktionen auf die Kritik

Es ist nicht zu übersehen, dass auf die Kritik reagiert wurde. Jedoch fällt diese Reaktion nicht wirklich im Sinne der Kritiker aus.

Der Kritik an der Legitimierung wird damit begegnet, dass eine neue Gruppe gegründet wurde. Die G20, die eine Erweiterung der Gruppe der Acht darstellt3, umfasst zusammen zwei Drittel der Weltbevölkerung und 90 % des weltweiten Bruttosozialprodukts (BSP). Zwar beschäftigt sich die Gruppe nur mit Fragen der internationalen Finanzmärkte, doch mit einer - wirtschaftpolitisch gesehen - kaum zu kritisierenden Legitimierung.

Als Reaktion auf die inhaltliche Kritik kann der Versuch gewertet werden, sich nunmehr hauptsächlich mit aktuellen Themen der internationalen Diskussion auseinander zu setzen, wie AIDS, Umweltverschmutzung und Verschuldung. Aber die Bereicherung durch neue Themen ist nicht gleichzusetzen mit einer Kehrtwende in der inhaltlichen Ausrichtung. Vielmehr werden die neoliberalen Positionen auch auf diese Felder übertragen. So setzen die Staaten der G8 z.B. auf dem Feld der AIDS-Bekämpfung und Prävention primär auf private Akteure (Großkonzerne aus den G8-Staaten), anstatt die Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft ernsthaft finanziell zu unterstützen. Hinter den neuen Themen werden die alten weiterhin besprochen, jetzt aber jenseits der medialen Aufmerksamkeit.

Eine Reaktion auf die Kritik von der Strasse ist, dass sich seit Genua kein G8-Gipfel mehr in dicht besiedeltes Gebiet, geschweige denn eine Stadt wagen konnte. Die Staats- und Regierungschefs müssen sich nun vor der Bevölkerung verstecken, wenn sie nicht von den Protesten übertönt werden wollen, wie es während des Gipfels 2001 in Genua geschah.

Deshalb werden die Gipfel in entlegenem Gebiet abgehalten. So auch der nächste Gipfel in Deutschland, der wie oben schon gesagt im dünnstbesiedelten Bundesland Deutschlands abgehalten werden wird.

Und gerade, dass der nächste Gipfel im Sommer 2006 in Russland in einer Großstadt, nämlich St. Peterburg, abgehalten wird, stärkt nur die Gewissheit, dass die Flucht aufs Land eine Flucht vor den Kritikern ist. In Staaten mit einer größeren Meinungs- und Demonstrationsfreiheit kann die G8 der Kritik nur durch Flucht begegnen. In Russland jedoch, das in seinem Status einer "gelenkten" Demokratie in vielen Bereichen eher einem totalitärem als einem politisch-liberalen System ähnelt, ist die Repression so groß, dass sich die großen Acht noch in einer Stadt zeigen können, weil mit einer ernsthaften Mobilisierung erst gar nicht gerechnet werden muss. Sei es weil Aktivisten aus dem Westen zu große Angst haben (zu Recht, wenn man sich die Allgegenwart und das Verhalten der Sicherheitskräfte anschaut), sei es weil das Mobilisierungspotenzial vor Ort nicht auf eine so große Anzahl von Demonstranten schließen lässt, sei es, weil eine freie Entfaltung eines Gegengipfels von vornherein unterbunden werden wird. Trotzdem sollte man den russischen Gipfel aber nicht übergehen, um gleich nach Heiligendamm zu stürzen, sondern sich auch und gerade mit diesem nächstjährigen Gipfel beschäftigen, da er in einer Region stattfinden wird, die von der Politik der G8 in einem viel stärkeren Ausmaß betroffen ist, als wir es uns hier in Deutschland vorstellen können. Ohne den Gipfel in Russland auszublenden soll an dieser Stelle schon einmal ein Blick auf die Mobilisierung nach Heiligendamm gewagt werden.

Mobilisierung

Im Blick auf Heiligendamm liegt es nun daran Strukturen im Nordosten aufzubauen, die eine großflächige Mobilisierung und Vorbereitung der Gegenproteste ermöglicht. Bisher gibt es bundesweit von zwei Seiten Mobilisierungsversuche: Anschließend an die Mobilisierung nach Schottland, bereiten Menschen aus radikalen Zusammenhängen, die sich im internationalen Dissent! - Network of Resistance zusammengefunden haben, eine große und lange Mobilisierung vor, deren erster Höhepunkt ein Vernetzungstreffen in Hamburg am zweiten Oktoberwochenende sein wird. Dort soll das weitere Vorgehen geplant werden, gekoppelt mit dem Versuch die Erfahrungen und Verbindungen aus früheren Mobilisierungen auf dem Weg nach Heiligendamm einzubringen. Eine einheitliche Position zu einer Mobilisierung nach Russland zeichnet sich noch nicht ab, aber Diskussionen dazu sind im Gange (siehe nächste Seite).

Als zweites ist in Erfurt auf dem Sozialforum in Deutschland die Interventionistische Linke, ein Zusammenschluss westdeutscher linker Einzelpersonen und Gruppen, mit einem Aufruf und einem Workshop an die Öffentlichkeit getreten. In ihrem Papier rufen sie dabei zu einem frühzeitigen Beginn der Mobilisierung auf und fordern schon in der Vorbereitungsphase auf eine eindeutige Delegitimierung der G8, eine gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Aktions- und Widerstandsformen, einen solidarischen, verlässlichen Umgang miteinander, der verbindliche Absprachen erlaubt und auf eine klare und offensive Abgrenzung gegenüber rechtspopulistischen und rechten Kräften hinzuarbeiten. Diese Gruppe plant die Gründung eines breit angelegten Netzwerkes auf einem Treffen, das nächstes Jahr in Rostock stattfinden soll. Zu den bisherigen Unterzeichnern zählen einige bekannte Persönlichkeiten aus dem Spektrum der radikalen Linken und attac. Eine Öffnung soll besonders in Richtung Gewerkschaften und den Kreisen um Attac betrieben werden.

Dabei scheint aber die Diskussion um den nächstjährigen Gipfel in Russland ganz außen vor gelassen zu werden, da der Fokus allein auf die G8 in Heiligendamm gerichtet ist.

Für Gruppen in Mecklenburg-Vorpommern wird im Zuge dieser Mobilisierung ein Sog entstehen, dem sie nur schwerlich entziehen können. Die Frage ist nur, ob man sich diesem Sog überhaupt entziehen will, da er zwar Nachteile, aber auch Vorteile für die Linke im Land bieten kann.

Positiv wird dabei die konzentrierte Auseinandersetzung mit Kapitalismus und Globalisierung, sowie der Austausch mit Aktivisten aus aller Welt sein.

Jedoch sollte man sich durchaus auch bewusst sein, dass diese Mobilisierung ihre Probleme für die Linke im Land mitbringen wird: der Verbrauch der Kräfte, die Gefahr der Vereinahmung von Außen und vor allem die Repression, die in Mecklenburg-Vorpommern am härtesten sein wird.

Die Mobilisierung wird einen Großteil der Kräfte aufzehren, vor allem angesichts der Tatsache, dass man noch mehr zu tun hat als nur die G8-Vorbereitung. Die schwierigste Phase, darauf kann man sich jetzt schon einmal einstellen, wird die Zeit nach dem Gipfel sein.

Eine sich schon abzeichnende Vereinahmung von Linken aus anderen Teilen der Republik, besonders aus den linken Zentren im Westen muss abgewehrt werden, um nicht nur zu Vollstreckern der Ideen anderer zu verkommen. Eine Zusammenarbeit mit diesen Gruppen kann deshalb nur funktionieren, wenn wir daran als Gleichberechtigte teilnehmen können, d.h. wenn die entsprechenden Pläne nicht in für uns geschlossenen Kreisen der Linken ausgedacht werden, mit der Erwartung an uns, diese Ideen nach dem Gusto anderer umzusetzen.

Die Diskussion, ob ein Sturm des Gipfels nach den Erfahrungen und Repressionen von Gleneagles sinnvoll ist, wird den lokalen Gruppen abgenommen, denn die Mobilisierung wird kommen. Aber um nicht von der Mobilisierung getrieben zu werden, sollten wir uns an die Spitze stellen, da wir über die Orts- und Menschenkenntnisse verfügen, die nötig sind, um einen Gegengipfel mit Erfolg zu krönen.

Das größtes Problem jedoch ist, dass linke Gruppen vor Ort als erste und am härtesten von der Repression, die unweigerlich kommen wird, betroffen sein werden, egal ob sie sich an der Mobilisierung beteiligen oder nicht - das lehrt die Erfahrung aus früheren europäischen Gipfeln. Hierauf müssen sich die Gruppen im Land wohl leider als erstes einstellen.

Jemand von Anti-G8, Greifswald

(Überarbeitete Version eines Artikels, der im Likedeeler 16, Frühjahr 2005 erschienen ist)

1 USA, D, F, GB, J, I, CAN, der EU und nach dem Zusammenbruch der SU auch Russland
2 Diese beiden Verträge GATS (General Agreement on Trade and Services) und TRIPS (Trade-related aspects of intellectual property rights) sorgen derzeit für die größten wirtschaftlichen Umwälzungen. Im Rahmen von GATS werden Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung) privatisiert, während die Politik von TRIPS in der EU z.B. in Form von e-Patenten umgesetzt wird.
3 Außer den Ländern der G8 nehmen noch Vertreter aus Argentinien, Australien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Südkorea, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika und der Türkei teil sowie der Ratspräsident der EU, der Präsident der EZB und Vertreter von WB und IWF.

Internetseiten zur G8:
de.dissent.org.uk: deutsche Mobilisierungs- und Infoseite
www.g7.utoronto.ca: Seite des G8-Informationszentrums der Uni Toronto mit allen bisherigen Kommuniques, den aktuellen Infos und vielen interessanten links.
www.g8-2007.de: Seite der Interventionistischen Linken

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G8-Gipfel 2007 in Deutschland:

Diskussions- und Vorbereitungswochenende vom 7. - 9. Oktober 2005 in Hamburg

Warum dagegen?

Die G8 - das ist die "Gruppe der acht" Regierungschefs der weltweit mächtigsten Industrienationen. In dieser Runde wird vorgegeben, nach Lösungen für die Probleme der Welt zu suchen: Hunger, Krieg und Umweltzerstörung sollen bekämpft werden, während tatsächlich aber das kapitalistische System ausgebaut und stabilisiert wird, welches diese Probleme erst produziert.

G8-Treffen sind wichtige Orte, an denen die Industriestaaten die Möglichkeit haben, ihre Interessen zu koordinieren und die neoliberale Globalisierung noch effizienter und gnadenloser zu planen und durchzusetzen.

In den vergangenen Jahren konnte kaum ein Gipfeltreffen ungestört durchgeführt werden: ob gegen die G8 in Genua und Evian, gegen IWF/Weltbank in Prag und schon 1988 in Berlin, gegen die WTO in Seattle - Widerstand ist die offensichtliche und immer lauter werdende Antwort auf diese herrschende Ordnung. Seit den Protesten in Genua 2001 werden die G8-Treffen nicht mehr in den Metropolen abgehalten und in teils schwer zugängliche (und leichter zu kontrollierende) Landstriche verlegt.

Im Sommer 2007 kommt der jährliche G8-Gipfel nach Deutschland. Das Treffen wird im Kempinski Grand Hotel in Heiligendamm in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden, ein exklusiver Kurort direkt an der Ostsee. Heiligendamm liegt ca. 20 km westlich von Rostock, 200 km von Berlin.

Der G8-Gipfel in Deutschland ist also eine gute Möglichkeit der "Gruppe der acht" zu zeigen für wen sie NICHT spricht. Zudem bietet der Gipfel viele Ansatzpunkte konkreter gesellschaftlicher Intervention. Nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern gibt es viele "Teilbereichsbewegungen", deren Arbeitsfelder auch mit der Politik der G8 zu tun haben: Gentechnik, Atom- und Energiepolitik, Privatisierung, Migrationspolitik, Rassismus, Militarisierung, Patriarchat etc. 2004 gab es eine Anti-Lager-Tour auch durch Mecklenburg-Vorpommern, bei der gegen die verschiedenen rassistischen Repressionsformen wie Lager und Abschiebungen protestiert wurde.

Wer sind wir?

Wir sind bisher ein Netzwerk von Aktiven aus verschiedenen linken Spektren. Inspiriert vom Vernetzungsprozess verschiedener linker Gruppen in Grossbritannien, die unter dem Namen dissent! A network of resistance against the G8 Aktionen in Schottland koordinieren, möchten wir jetzt schon damit beginnen, über einen gebührenden Empfang der G8 auch in Deutschland nachzudenken.

Diese Einladung richtet sich an Gruppen und Einzelpersonen aus sämtlichen "Teilbereichen". Wir wollen unsere täglichen Kämpfe in einen gemeinsamen Zusammenhang gegen die Politik der G8 stellen, und in Bezug auf den Gipfel Aktionen und inhaltliche Auseinandersetzung planen. Die Mobilisierung zum G8-Gipfel ist eine Chance für Vernetzung und intensiven Austausch von Ideen und Praxen.

Sehr wichtig ist uns der Ausbau der internationalen Vernetzung. Zwar mobilisieren wir für dieses erste Vorbereitungswochenende noch nicht international; wir werben zunächst im deutschsprachigen Raum. Insbesondere wollen wir Menschen mit Migrationshintergrund ansprechen. Aufgrund der regionalen Nähe des Gipfels werden wir auch versuchen Gruppen aus Polen einzuladen.

Warum jetzt schon mobilisieren?

Wir haben zwei Jahre Zeit, die wir für die Schaffung von Kommunikations- und Diskussionsstrukturen nutzen wollen, damit die undogmatische Linke gestärkt in die Proteste hinein- und vor allem gestärkt daraus wieder herausgeht.

Diese Proteste zu organisieren ist eine immense Arbeit und braucht viele Menschen. Medien- und Öffentlichkeitsarbeit muss organisiert, Texte geschrieben und die Vernetzung vorangetrieben werden. Regionale und internationale Vorbereitungstreffen müssen auf die Beine gestellt und neue Kontakte gesucht werden. Es braucht Leute, die einen tragfähigen Legal Support aufbauen, und nicht zu spät müssen verschiedene Arbeitsgruppen konstituiert sein: Convergence Center, Demosanität, Kochen, Schlafen + Transport. Und vor dem eigentlichen Gipfel sollen ja auch noch Aktionen, Camps und inhaltliche Auseinandersetzungen stattfinden. Und dann muss auch noch mit NGOs, Gewerkschaften, politischen Splittergruppen und der Lokalregierung gestritten werden (naja, nicht zuletzt ist der nächste G8-Gipfel 2006 zunächst in Russland. Den Widerstand dort wollen wir natürlich auch unterstützen).

Die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel wollen wir nicht allein etablierten NGOs überlassen: der Abbau von hierarchischen Strukturen ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Wir gehen davon aus, dass auch reaktionäre Gruppen, womöglich sogar Nazis etwas gegen den G8-Gipfel haben. Dieser Nebenschauplatz soll von uns nicht außer acht gelassen werden. Uns ist weiterhin wichtig, mit BewohnerInnen der vom G8-Gipfel heimgesuchten Region in Kontakt zu treten.

In einem selbstorganisierten Netzwerk möchten wir gleichberechtigt mit anderen Grass Roots Gruppen und Einzelpersonen zusammenarbeiten. Wir hoffen, auf viele Engagierte auch aus "etablierten Verbänden" zu treffen, die die Stärke einer solchen Herangehensweise erkennen und die mit uns arbeiten möchten. Unterschiedliche Aktionsformen begreifen wir als Ausdruck vielfältiger Herangehensweisen und sehen darin unsere Stärke. Wer bereit ist, eigene Aktionsformen kritisch zu reflektieren, und dabei andere Positionen respektiert, ist willkommen. Die PGA-Eckpunkte (s.u.) bieten hierfür einen guten Orientierungsrahmen.

Wir wollen aus den Erfahrungen von vergangenen Gipfelmobilisierungen lernen, indem wir gemeinsam Diskussionen führen, wie wir Protest und Widerstand am sinnvollsten nach Heiligendamm tragen. Wie wir uns vernetzen, was wir im Vorfeld und während des Gipfels machen - das ist noch offen, und kann am besten mit breiter Beteiligung beantwortet werden.

Worum geht es im Oktober?

Ein erstes Treffen mit etwa 80 Leuten fand bereits im Mai 2005 im Rahmen des Bundeskongress Internationalismus (BUKO) in Hamburg statt. Auch auf dem dissent!-Treffen in Mannheim war die Vorbereitung des G8-Gipfels 2007 auf der Tagesordnung. Auf dem Sozialforum in Erfurt und dem Prekarisierungscamp im Wendland gibt es dazu die ersten Workshops.

Auf dem Wochenende im Oktober wollen wir nun tiefer in die inhaltliche und organisatorische Planung einsteigen. Einen detaillierten Vorschlag zur Tagesordnung veröffentlichen wir im September; bisher haben wir uns folgendes überlegt:

Freitagabend - Block 1: Geschichte und Auswertung Gleneagles. In welcher Tradition steht die Mobilisierung nach Heiligendamm? Ein kurzer Abriß der Gipfelproteste seit 1988. Auswertung der Mobilisierung nach Gleneagles. Welche Aktionen waren erfolgreich? Wie tragfähig sind die Strukturen des dissent!-Netzwerks?

Samstag - Block 2: Inhalt und Ziele. Kritik am Gipfelhopping vs. Chancen für gesellschaftliche Intervention. Was versprechen wir uns von den Protesten in Heiligendamm? Aussichten für die Linke in Deutschland und international, gesellschaftliche Prozesse, internationale Vernetzung. Perspektiven und Aktionen ausloten.

Wer sind wir und was wollen wir? Konstituierung unseres Zusammenhangs. Auf welche Gruppen oder Bündnisse wollen wir nicht verzichten, auf welche schon? Was kritisieren wir an den G8 und am Kapitalismus, was ist unser gemeinsamer Nenner?

Sonntag - Block 3: Praxis. Wie geht es weiter? Organisations- und Entscheidungsstrukturen sowie Kommunikation klären. Dringende Planungsschritte beginnen, Arbeitsgruppen bilden.

Soweit so gut. Auf dem Treffen in Hamburg gab es bereits ein buntes Ideen-feuerwerk für Aktionen und Kampagnen. Mindestens eine Idee hat sich bis heute im Vorbereitungskreis gehalten und müsste bald in konkrete Planung übergehen: Wir wollen schon nächstes Jahr ein internationales Vorbereitungs- und Mobilisierungscamp in Mecklenburg-Vorpommern machen. Das Camp könnte zeitlich rund um den G8 in Russland liegen und konkret die Politik der G8 (und ihre lokalen Auswirkungen) thematisieren.

Es wäre schön wenn ihr euch für das Wochenende anmelden könnt bzw. in etwa sagt mit wie viel Personen ihr anreist. Der Ort wird Hamburg sein. Wo genau, werden wir euch noch wissen lassen. Der Zusammenhang, der sich auf dem BUKO getroffen hat (bzw. die Vorbereitungsgruppe) ist erreichbar unter g8-2007@riseup.net.

Na dann, wir gehen von einem großen und relevanten Treffen aus und freuen uns auf euch!

Die Vorbereitungsgruppe

Die PGA-Eckpunkte, an denen wir uns bisher orientieren:

  1. Eine klare Ablehnung von Kapitalismus, Imperialismus und Feudalismus; und aller Handelsabkommen, Institutionen und Regierungen, die zerstörerische Globalisierung vorantreiben.
  2. Wir lehnen alle Formen und Systeme von Herrschaft und Diskriminierung ab, einschließlich aber nicht beschränkt auf Patriarchat, Rassismus und religiösen Fundamentalismus aller Art. Wir anerkennen die vollständige Würde aller Menschen.
  3. Eine konfrontative Haltung, da wir nicht glauben, dass Lobbyarbeit einen nennenswerten Einfluss haben kann auf undemokratische Organisationen, die maßgeblich vom transnationalen Kapital beeinflusst sind.
  4. Ein Aufruf zu direkter Aktion und zivilem Ungehorsam, Unterstützung für die Kämpfe sozialer Bewegungen, die Respekt für das Leben und die Rechte der unterdrückten Menschen maximieren, wie auch den Aufbau von lokalen Alternativen zum Kapitalismus.
  5. Eine Organisationsphilosophie, die auf Dezentralisierung und Autonomie aufgebaut ist.
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