(Gegenwind 201, Juni 2005)

Nazis mit amtlicher Unterstützung in Heide

Heraus zum rechten 1. Mai?

Die lokale "Dithmarscher Landeszeitung" war erleichtert: "Heide kann aufatmen" hieß es am 2. Mai. Am 1. Mai waren rund 150 Nazis durch die Kleinstadt marschiert. Doch das fand die Redaktion nicht weiter schlimm. Angst hatte sie vor ihrer eigenen Prognose, nämlich befürchteten "Ausschreitungen" von linken "Extremisten".

Ähnlich einseitig hatten vorher auch die Polizei, vertreten durch den Leiter der Polizeiinspektion Wolf-Rüdiger Beitsch, sowie Landrat Jörn Klimant und Bürgermeister Ulf Stecher alle EinwohnerInnen aufgefordert, während des Nazi-Aufmarsches zu Hause zu bleiben und sich neutral zu verhalten. Ein Bündnis von linken Organisationen sowie die Grünen als einzige Partei riefen dagegen dazu auf, sich aktiv für die Demokratie und gegen den Nazi-Aufmarsch einzusetzen.

Die Polizei hatte zur Sicherung des Nazi-Marsches 400 Beamte nach Heide geholt, allerdings wegen anderer Großereignisse an diesem Tag ohne Panzer und Wasserwerfer. Dafür wurden ein halbes Dutzend Hunde eingesetzt, auch direkt auf Gegendemonstranten gehetzt.

Verbotsversuch

Die Stadt hatte sich im Vorfeld dazu entschieden, die Anmeldung des Nazi-Marsches hinzunehmen, ohne den Versuch eines Verbotes zu machen. Diese riefen denn in Flugblättern mit dem Absender "Nazis in Holstein" zum Marsch auf. Anmelderin war Inge Nottelmann, verantwortlich für die Flugblätter zeichnete Tobias Thiessen, beide aus Henstedt-Ulzburg. Ein einzelner Schüler aus Heide klagte vor dem Verwaltungsgericht gegen den geplanten Ausmarsch, der Antrag wurde aber abgelehnt. Er habe schließlich, so die Richter, die Möglichkeit, sich mit politischen Aktionen vor Ort gegen den Naziaufmarsch zu wenden.

Polizei

Genau das versuchte die Polizei zu verhindern. Da die mehreren hundert GegendemonstrantInnen an kaum einer Stelle gemeinsam auftraten, sondern in Gruppen mit 20 bis 70 TeilnehmerInnen agierten, ließ die Polizei das Verwaltungsgericht links liegen und kümmerte sich direkt um den "Schutz" des Nazi-Marsches. Rund 70 DemonstrantInnen wurden am Böttcher-Rondell über Stunden in einem Kessel festgesetzt, weitere erhielten "Platzverweise" für den Raum des Aufmarsches - nicht eben gute Voraussetzungen, um sich mit politischen Aktionen vor Ort für die Demokratie einzusetzen, wie das Verwaltungsgericht in Schleswig dies naiverweise vorgeschlagen hatte.

Sitzblockaden wurden mal sanft zur Seite gedrängt, mal durch anstürmende Polizei in schwerer Schutzkleidung erschreckt, mal mit Knüppeln zerschlagen. Schließlich wurden Hunde losgelassen, mehrere Demonstranten verletzt, einer wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht.

Nazis

Die Nazis wendeten sich mit Transparenten und Reden bei kurzen Zwischenkundgebungen gegen die Arbeitslosigkeit und den Sozialabbau. Die Schuldigen suchten und fanden sie im "System" und den vielen Ausländern. Die Globalisierung und die Visaerteilung waren ihre Gegner, dazu wurde Musik abgespielt, unter anderem von "Ton, Steine, Scherben", der linken Politcombo der siebziger Jahre.

Die anfangs recht kleine Versammlung musste, wie anderenorts auch, erst auf den Zug aus Hamburg warten, um die Zahl von 50 TeilnehmerInnen zu überschreiten. Die TeilnehmerInnen kamen im übrigen entgegen den Internet-Aufrufen kaum aus ganz Norddeutschland, sondern fast ausschließlich aus Schleswig-Holstein und Hamburg.

Die ursprünglich geplante Route musste um ein paar hundert Meter abgekürzt werden. Diese betrafen aber den wichtigsten Teil der Route, die eigentliche Innenstadt Heide mit dem Rondell als geplantem Ort der Zwischenkundgebung. Auch die Auflösung des Nazi-Marsches erfolgte dann 300 Meter vor dem vorgesehenen Ende, weil es denn doch zu viele Gegendemonstanten gab. Der größte Teil der Nazis verschwand wieder mit dem Zug in Richtung Hamburg.

Fazit

Im Internet feierten die Nazis ihren Aufmarsch als "Sieg", was nicht verwundert, tun sie dies doch immer. Drei von ihnen waren festgenommen worden, weil sie Hakenkreuze trugen (zum Teil ins kurze Haar rasiert).

Dennoch bleibt es dabei, dass die Nazis ihre Leute in einem Umkreis von mindestens 200 Kilometer zusammenholen müssen, um einen erkennbaren "Marsch" formieren zu können, während Demonstrationen dagegen spielend die doppelte TeilnehmerInnenzahl aus den umliegenden Wohnhäusern zusammen bekommen.

Das Verhalten von Landrat, Bürgermeister und Polizei war erbärmlich. Sogar Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, nicht eben als linksradikaler Gewalttäter verschrien, rief zum geplanten Nazi-Marsch durch Berlin am 8. Mai dazu auf: "Deshalb bitte ich Sie, am 8. Mai möglichst zahlreich ins Zentrum von Berlin zu kommen. (...) Der Tag der Demokratie soll zeigen, wem dieses Land gehört und wer bestimmt, wie es darin zugeht: die breite, demokratisch gesinnte Mehrheit unsere Volkes!" Bekanntlich konnte der dortige Nazi-Aufmarsch nach der Sammlung auf dem Alexanderplatz nicht starten und löste sich dann wieder auf.

Die Nazis verstanden anscheinend das Verhalten von Bürgermeister Stecher und Landrat Klimant als Unterstützung. Zumindest haben die Aggressivität und Bedrohungen von Nachbarn in Heide und Umgebung rund um den 1. Mai spürbar zugenommen. So rief Bürgermeister Jürgen Hinz aus Nordhastedt, selbst an diesem Wochenende von örtlichen Nazis bedroht, seine Einwohner dazu auf, bei Attacken durch "Männer mit allzu kurz geschorenem Haupthaar" sofort die Polizei zu rufen. "Die Polizei sei verständigt. Die würde in so einem Falle sofort kommen", berichtete das Heider Anzeigenblatt.

Reinhard Pohl

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