(Gegenwind 198, März 2005)

1999 / 2005:

Das ist unsere Stadt!-

Kein Raum für Nazis in Kiel

Antifa im Gegenwind in Kooperation mit Avanti März 2005

Etwa 10.000 Menschen stellten sich am 29. Januar einem Aufmarsch von Neonazis in Kiel entgegen.

Allein die Demonstration des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus, der sich über 8.500 TeilnehmerInnen anschlossen, war eine der größten Demonstrationen in Kiel seit Jahrzehnten. Diese Demonstration, mehrere Blockaden und etliche spontane Aktionen von Tausenden von AntifaschistInnen in der Kieler Innenstadt führten dazu, dass sich die Polizeiführung trotz des Einsatzes von mehr als 3.000 BeamtInnen schließlich dazu gezwungen sah, den Aufmarsch der Nazis nach einem Viertel der Route abzubrechen.

Politische Auseinandersetzungen im Vorfeld

Bereits im Dezember hatten sogenannte "Freie Nationalisten" um das Aktionsbüro Norddeutschland unter dem Motto "Gegen Multi-Kulti und Hartz IV - das Volk sind wir" einen Aufmarsch angemeldet, den ersten in Kiel seit 1999. Die ursprünglich angemeldete Route durch den Stadtteil Gaarden wollte die Stadt auf jeden Fall vermeiden, war ihr doch das Fiasko mit einem NPD-Stand im Juni 2004 noch in schlechter Erinnerung. Dieser musste nach tatkräftigen Protesten aus der Gaardener Bevölkerung vorzeitig abgebrochen werden. Die Polizei geht inzwischen davon aus, dass selbst ein "Info"-Tisch in Gaarden nur unter dem Schutz von mindestens einer Einsatzhundertschaft durchzuführen ist. Ein Aufmarsch durch Gaarden wäre überhaupt nicht durchführbar gewesen. Oder mit den Worten eines türkischen Antifaschisten: "Es geht der Stadt nicht darum, Gaarden vor den Nazis zu schützen, sondern die Nazis vor Gaarden."

Bilder anläßlich des Naziaufmarsches am 29. Januar 2005Foto: bm

Weitergehende Interessen hatte das Ordnungsamt jedoch nicht: Den Nazis wurde eine Route genehmigt, die vom Hauptbahnhof durch die Innenstadt, vorbei am alten jüdischen Friedhof und einer türkischem Moschee, über den Wochenmarkt zum Rathaus führte. Die Stadt unternahm zu keiner Zeit den Versuch, den Naziaufmarsch zu verbieten, obwohl ein solches Vorgehen angesichts der Person des Anmelders nahegelegen hätte: Der einschlägig vorbestrafte Jörn Lemke war bei den letzten Kommunalwahlen in Lübeck Spitzenkandidat des "Bündnisses Nationaler Sozialisten", das nach den Wahlen aufgrund einer "dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch wesensverwandten" Sprache verboten wurde. Auch beim Verbot dieser Wahlliste hatten die Behörden gezeigt, dass "Zivilcourage" und die Forderung nach politischer Konfrontation von Neonazis für sie reine Lippenbekenntnisse sind. Das Verbot erfolgte umgehend, nur wenige Tage nach der damaligen Wahl. Die Verbotsverfügung lag offensichtlich bereits in der Schublade. Trotzdem hatte man den Wahlkampf des Bündnisses noch mit Hunderten von Polizisten geschützt, hatte dutzende aktive AntifaschistInnen massiv bedroht, in Gewahrsam genommen und entsprechende Strafverfahren eingeleitet. Diese Strafverfahren wurden nach dem Verbot auch nicht etwa fallengelassen, sondern durchgeführt.

Auch auf Auflagen, die in anderen Städten längst Standard sind, wie z.B. das Verbot des Mitführens von Trommeln wurde von der Stadt Kiel weitgehend verzichtet. Verboten war lediglich das Schlagen im Marschrhythmus.

Die vom Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus - dem seit mehreren Jahren bestehenden Bündnis von Gewerkschaften, linken und antifaschistischen Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen - angemeldete Gegendemonstration wurde von der Stadt nur auf einer stark veränderten Route zugelassen: Eine Route, die zu irgendeiner Zeit die Naziroute kreuzt, wurde kategorisch abgelehnt. Statt dessen wurden dem Runden Tisch Auflagen gemacht, die eine Demonstration mit Außenwirkung massiv beeinträchtigen mussten. Transparente sollten höchstens 2 Meter breit sein, Transparentstangen lediglich 1, 50 Meter lang. Über den Lautsprecher sollte während der Demo keine Musik gespielt werden.

Faktisch bedeutete dies, dass für antifaschistische Gegenaktivitäten ein großflächiges Innenstadtverbot erlassen und den Nazis die Innenstadt komplett überlassen wurde. Um dies durchzusetzen, legte sich die Stadt in bemerkenswerter Weise ins Zeug: Um Auseinandersetzungen zu verhindern, die sie mit ihrer skandalösen Routenführung geradezu heraufbeschwor, wurden über 3.000 PolizeibeamtInnen eingesetzt, zahlreiche Busverbindungen eingestellt, die Innenstadt zur auto- und parkfreien Zone erklärt, Geschäfte inklusive der großen Einkaufszentren aufgefordert, an diesem Tag zu schließen; der Wochenmarkt musste zwei Stunden früher als gewöhnlich abbauen. Die Oberbürgermeisterin appellierte an die Bevölkerung, an diesem Tag die Innenstadt zu meiden - dies alles an einem Samstag. Die Stadtverwaltung musste allerdings schnell erkennen, dass diese Strategie nicht funktionieren würde, sondern dass viele Menschen von der Vorstellung, den Nazis die Stadt zu überlassen, schlicht empört waren.

"Dritte Demo" und Hetzkampagne

Aufgrund dieser Empörung und der intensiven und breiten Mobilisierung für die Gegendemonstration gerieten zunehmend auch Parteien - drei Wochen vor der Landtagswahl -, DGB-Funktionäre, die Kirche und der AStA unter Druck, sich zu verhalten. Sie meldeten eine eigenen Demonstration mit anschließendem Kirchgang unter dem Motto "Wi(e)der Gewalt. Gegen Faschismus" an, die weitgehend außerhalb der Innenstadt stattfinden sollte.

Hiermit ging eine Hetzkampagne gegen den Runden Tisch und die Bündnisdemonstration einher: Nachdem die Presse zunächst überhaupt nicht berichtet hatte, titelten die "Kieler Nachrichten" reißerisch "Kiel droht Randale wie 1999" (vor sechs Jahren musste ein Aufmarsch von Neonazis ebenfalls frühzeitig abbrechen, nachdem es an der Naziroute zu massiven Störungen und direkten Auseinandersetzungen gekommen war und eine breite Bündnisdemonstration in eine Blockade mit über 1000 Menschen überführt werden konnte) und "berichteten" später: "OB Angelika Volquartz richtete gestern eine Bitte an die Schüler, die zum Protest gegen Rechtsextremisten aufgerufen wurden. »Nehmt an der großen Gegendemonstration zur Sicherheit lieber nicht teil.« Wer gegen den Aufzug der Rechtsextremisten demonstrieren und kein Risiko eingehen will, hat eine Alternative: Eine dritte Demo ..."

Bilder anläßlich des Naziaufmarsches am 29. Januar 2005 In dieser Manier wurde weitergelogen. So wurde mehrfach berichtet, die Gewerkschaften würden nicht zu der Demonstration des Runden Tisches aufrufen. Das ist falsch. In einem Vorentwurf des DGB heißt es wörtlich: "Es gibt ein weiteres Bündnis, das zu einer Gegendemonstration (..) aufruft. An dieser Bündnis und der Gegendemonstration werden sich der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Mehrheit der Gewerkschaften im DGB nicht beteiligen. Es ist davon auszugehen, dass die IG Metall zur Gegendemonstration aufrufen und beteiligen wird." Sowohl die IG Metall als auch ver.di haben jedoch zu beiden Demonstrationen aufgerufen. Ver.di hat den Aufruf des Runden Tisches zum Teil wörtlich übernommen. Viele Betriebs- und Personalräte, gewerkschaftlich engagierte Einzelpersonen haben sich ebenfalls zu Bündnisdemonstration bekannt - und die von Funktionären "Landtagsdemo" auflaufen lassen. Hier gibt es innerhalb der Gewerkschaften noch erheblichen Klärungsbedarf.

Gewackelt haben auch Bündnis 90/Die Grünen, die sich anfangs am Runden Tisch konstruktiv beteiligten. Der erste Aufruf wurde vom Landes- und Kreisverband sowie der Grünen Jugend unterschrieben, für die zweite Fassung ließen sie sich überraschend streichen. Um aber mit einem eigenen Aufruf für beide Gegendemonstrationen zu werben, der allerdings erst zwei Tage vor der Demonstration veröffentlicht wurde. Wahlkampf eben!

Die Politik der Spaltung und Befriedung blieb allerdings erfolglos: Trotz massiven Drucks riefen IG-Metall und ver.di, zahlreiche Betriebs- und Personalräte, in einigen Betrieben sogar die Geschäftsleitung, weiterhin (auch) zur Bündnisdemonstration auf - ver.di hatte in Teilen gar den Aufruf des Runden Tisches wörtlich übernommen. Schließlich musste die "Landtagsdemonstration" zeitlich vorverlegt worden, da ansonsten der Konflikt allzu sichtbar geworden wäre.

Skandal im Offenen Kanal

Einen weiteren Skandal gab es im Vorfeld: Das Freie Sender Kombinat aus Hamburg hatte mit dem Offenen Kanal Kiel weitgehende Absprachen getroffen, um am 29. Januar auf dessen Frequenz ganztägig zu berichten. Kurzfristig, um genau zu sein zwischen 21.30 und 8 Uhr morgens, wurde diese Absprachen vom OK einseitig gekündigt. Per Aushang wurden die RadiomacherInnen informiert, dass das Gebäude des OK aus Sicherheitsgründen nicht zur Verfügung stehe - sie standen Morgens schlicht vor verschlossenen Türen. Im weiteren Verlauf wurden hierfür verschiedene Begründungen vom Leiter des Offenen Kanals geliefert:

Ganz davon abgesehen, dass die Räume des Offenen Kanals in erheblicher Entfernung von der Route der Nazidemonstration liegen, dass Nutzerverträge regelmäßig während oder kurz vor der Sendung unterschrieben werden und dass die Mitarbeiter des FSK am Abend vor der Demonstration bis spät in den Räumen ihre Vorbereitungen treffen konnten, ist offensichtlich, dass der lange Arm der Landesregierung hier tätig war. Pressefreiheit ist für die Politik in diesem Land eben nur dann ein hohes Gut, wenn in ihrem Sinne berichtet wird.

DGB schließt Jugend-Café

Ebenfalls vor verschlossenen Türen fand sich die Gewerkschaftsjugend am Morgen der Demonstration vor ihrem Avanti-Jugendcafé im Legienhof. Die Räumlichkeiten sollten als Anlaufstelle und Ruheräume genutzt werden. DGB-Chef und SPD-Mann Herchenröder hatte allerdings eigenmächtig die Schlösser austauschen lassen. Dieses Vorgehen wird sicherlich noch einige Auseinandersetzungen zwischen IG Metall, ver.di und dem DGB Kiel nach sich ziehen. Ein solch offener Eingriff in die Autonomie der Einzelgewerkschaften, die das Infocafé finanziell tragen, dürfte ziemlich einmalig sein.

Der 29. Januar

Das Verwaltungsgericht Schleswig hatte auf Antrag des Runden Tisches zwar die von der Stadt Kiel gemachten Einschränkungen der Demonstrationsroute bestätigt, im übrigen jedoch alle angegriffenen Auflagen aufgehoben.

Während sich an der "Landtagsdemonstration" mit der Ministerpräsidentin an der Spitze knapp tausend Menschen beteiligten, übertraf die Bündnisdemonstration des Runden Tisches mit etwa 8.500 TeilnehmerInnen alle Erwartungen. Bereits am Auftaktpunkt Wilhelmplatz wurde deutlich, dass die erwartete Teilnehmerzahl deutlich übertroffen werden würde. Insbesondere eine große Zahl von SchülerInnen offenbarte das Scheitern der Spaltungsbemühungen. Der großen Zahl an DemonstrantInnen war es auch geschuldet, dass es nicht gelang, einen "geordneten" Zug aufzubauen. Als erst mal das Signal zum Aufbruch gegeben war, strömten die Massen ungeordnet auf die Möllingstraße. Erst auf dem Knooper Weg schaffte es die Demonstrationsleitung, den aufgrund der schieren Masse an ZuhörerInnen sichtlich überforderten Lautsprecherwagen wie gewünscht zu plazieren. In dieser Phase mussten denn auch zweimal Durchsagen gemacht werden, um die Teilnehmer von Bündnis 90/Die Grünen, dazu zu bewegen, ihr für das geringe Maß ihres Engagements etwas zu groß geratenes Transparent von der Spitze des Demonstrationszuges etwas weiter ins Mittelfeld zu bringen. Bereits am Exerzierplatz wurde deutlich, dass die eingesetzten Polizeikräfte einen deutlichen Provokationskurs fahren würden. Zwei Wasserwerfer und ein Räumpanzer "sicherten" hier den Zugang zur Innenstadt - dies wäre auch in 200 Meter Entfernung gegangen, hätte aber natürlich weniger Eindruck gemacht. Hier flogen auch die ersten Schneebälle, die in der späteren Presseerklärung der Polizei als "weiß angemalte Pflastersteine" bezeichnet wurden.

Als die Demonstration die Bergstraße zum Jensendamm, wo eine Zwischenkundgebung geplant war, hinunterzog, wurde sie sich zum ersten Mal ihrer vollen Größe bewusst. Am Jensendamm wurde sie jedoch erneut von zwei Wasserwerfern und einem Räumpanzer erwartet, die in etwa zehn Metern Entfernung zum geplanten Kundgebungsort frontal auf sie gerichtet waren. Einige Teilnehmer verleitete diese Bedrohung zu zahlreichen Flaschenwürfen. Daraufhin drohte die Besatzung der Wasserwerfer mittels Lautsprecherdurchsage mit einem Einsatz. In dieser Situation drohte die Situation zu eskalieren. Erst der kurzfristige Beschluss der Demonstrationsleitung, die Zwischenkundgebung nicht durchzuführen und direkt zum Alten Markt weiterzulaufen, deeskalierte die Situation. Jedoch war auch hier die Konfrontation völlig ohne Not von den Einsatzkräften provoziert worden. Mehrere hundert Meter Platz standen zur Verfügung, um die Blockade der Straße weit weniger bedrohlich erscheinen zu lassen. Doch dies war wohl nicht die Einsatzstrategie.

Schon vor dem Ende der Demonstration machten sich hier Teile der Demonstrierenden in Richtung Innenstadt auf und begannen, gemeinsam mit bereits dort befindlichen Gruppen, an mehreren Stellen die Naziroute zu blockieren.

Auf der Abschlusskundgebung lauschten mehrere tausend Menschen sichtbar beeindruckt den Worten von Peter Gingold, dem Bundesvorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Träger der renommierten Carl-von-Ossietzky-Medaille. Überflüssig zu erwähnen, dass die dessen Rede in den "Kieler Nachrichten" nicht einmal erwähnt wurde. Die Reden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregiemes, des Vereins Refugio, der DIDF sowie des ersten Bevollmächtigten der Kieler IG Metall Wolfgang Mädel machten deutlich, dass sich der antifaschistische Widerstand in Kiel nicht spalten lässt.

Richtung Innenstadt

Unmittelbar nach der Demonstration machten sich große Teile der Demonstrierenden in Richtung Innenstadt auf. Dort hatten längst zahlreiche Blockaden und Störaktionen die Einsatzmaxime der Polizei - alle "Störer" in Gewahrsam nehmen - unmöglich gemacht. Zu ersten Blockaden kam es bereits vor dem Bahnhof bzw. dem Sophienhof. Auch der Königsweg, die Hopfenstraße sowie der Schülperbaum waren bald von AntifaschistInnen bevölkert. Schnell waren mehrere tausend Menschen auf der Naziroute. Die größte Blockade von mehreren tausend Personen entstand auf der Andreas-Gayk-Straße, vor der Hauptpost. Die Polizei kam die vielfältigen Aktionen nicht in den Griff, auch nicht durch die zahlreichen und meist sinnlosen Wasserwerfereinsätze. Im Königsweg und der Hopfenstraße tat sich insbesondere die schleswig-holsteinische Festnahme- und Dokumentationseinheit, leicht zu erkennen an ihren schwarzen Uniformen, durch besondere Brutalität hervor. Aber irgendwie muss der Einsatz von 2.700 Beamtinnen und Beamten auch legitimiert werden (und die Medienvertreter bekamen ihre Bilder und alle waren glücklich). Nach langem Hin und Her und der ernsthaften Überlegung, ob der Aufmarsch nicht komplett abgesagt wird, wurden die Nazis erst auf die Reise und dann auf die Heimreise geschickt.

Die massiven Blockaden und Störaktionen wurden massenhaft von unorganisierten SchülerInnen, Studierenden, GewerkschafterInnen etc. getragen. Der Versuch, hierfür ausschließlich "gewalttätige Linksautonome" verantwortlich zu machen, bleibt vor dieser breiten Beteiligung ein hilfloses Unterfangen.

Die Nazidemo

Etwa 350 Nazis hatten sich zu der Demonstration eingefunden. Obwohl die NPD sich wenige Tage vor der Demonstration von dieser distanziert hatte, war sie sowohl personell als auch propagandistisch stark vertreten. Der Anmelder, Jörn Lemke, war selbst nicht vertreten, er wurde Vater. Statt dessen leitete der notorische Hamburger Neonazi und Chef des "Aktionsbüros Nord", Thomas "Steiner" Wulff, die Versammlung. Ihm zur Seite standen als lokale Vertreter die NPD Landtagskandidaten Jens Lütke und Peter von der Born. Unterstützung kam auch von zahlreichen Neonazis aus Niedersachsen unter Führung von Dieter Riefling sowie einigen "Kameraden" aus dem Ruhrpott, die von Daniela Wegener angeführt wurden. Etwa 60 bis 80 schleswig-holsteinische Jungnazis rundeten das jämmerliche Grüppchen ab. Die geringe Teilnehmerzahl ist vermutlich auf die Vielzahl anderer Veranstaltungen, den schlechten Ruf Kiels für die Nazis sowie die Auseinandersetzungen zwischen "Freien Kameradschaften" untereinander sowie im speziellen mit Teilen der schleswig-holsteinischen NPD zurückzuführen. Nach stundenlangem Warten und relativ kurzem Marsch dürfte die Mehrheit froh gewesen sein, wieder nach Hause fahren zu dürfen.

Im Internet wird die Demonstration trotzdem als Erfolg verkauft. Auf der Seite des "Aktionsbüros Nord" wird der entsprechende Bericht mit der Textzeile eines nationalsozialistischen Kampfliedes eingeleitet: "Der Schrecken ist gebrochen ..." lautet die Überschrift und macht deutlich, wie nachhaltig die Ereignisse 1999 die Psyche der angereisten Nazis beeinflusst hat. Wenn 1999 schon einen solchen "Schrecken" hinterlassen hat, dürfte 2005 sich jedenfalls als "Schock" in die nationale Erinnerung einbrennen.

Natürlich wird sowohl in dieser Erklärung als auch in den entsprechenden Internetforen als Erfolg verkauft, dass man "in Kiel" immerhin marschiert sei. Die Einwürfe von Diskussionsteilnehmern, die Demonstration sei frustrierend gewesen, die Anzahl der Teilnehmer sei enttäuschend und die antifaschistische Mobilisierung überwältigend gewesen, werden von den Forenbetreuern runtergemacht. Für den Eindruck der breiten Masse an Teilnehmern dürfte das folgende Zitat aus einem Leserbeitrag in einem solchen Forum gelten: "So ist es halt in Kiel."

Fazit

Für die antifaschistische Bewegung war der 29. Januar in Kiel zweifellos ein großer Erfolg. Die Ziele der antifaschistischen Aktivitäten, den Naziaufmarsch zu stoppen und die Innenstadt entgegen den Planungen von Stadt und Polizei nicht den Nazis zu überlassen, wurden erreicht. Der politische Erfolg geht über den Tag selbst deutlich hinaus und eröffnet gute Perspektiven für zukünftige Auseinandersetzungen.

Bilder anläßlich des Naziaufmarsches am 29. Januar 2005Foto: bm

Aus unserer Sicht entscheidend war, dass im Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus über Jahre hinweg eine lokale Bündnisstruktur gewachsen ist, die, bei aller Unterschiedlichkeit der engagierten Gruppen und Organisationen, eine solidarische Zusammenarbeit ermöglicht. In seinem fünfjährigen Bestehen hat sich der Runde Tisch kontinuierlich mit Veranstaltungen, der Teilnahme an Protestaktionen und eigenen Aktivitäten - z.B. eine Demonstration zum Gedenken an die Reichspogromnacht mit mehreren tausend TeilnehmerInnen - an antifaschistischer Arbeit beteiligt.

Zudem wurde in zum Teil schwierigen Auseinandersetzungen um politische Inhalte gerungen, die schließlich 2001 in der sog. Kieler Erklärung nach außen getragen wurden (diese ist zu finden unter: www2.igmetall.de/homepages/kiel/). Diese geht weit über allgemeine Anti-Nazi-Parolen hinaus: Neben den Forderungen nach der konsequenten Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus erklärt das Bündnis, dass rassistische Erklärungsmuster und Orientierungen in der Mitte der Gesellschaft entstehen und gesellschaftliche Verhältnisse, "die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit bis zur Vernichtung des Konkurrenten erfordern, Ungleichheit und Abbau sozialer Errungenschaften als Fortschrittsmotor rechtfertigen und damit Entsolidarisierung und Ausgrenzungsbereitschaft notwendig hervorbringen". Alle Versuche, unter dem Namen des "Kampfes gegen den Rechtsextremismus" allgemeine demokratische Rechte einzuschränken, werden zurückgewiesen. Dieses gemeinsame politische Verständnis, das sich eben nicht an der "Gewaltfrage" abarbeitet, sondern "solidarisches Verhalten, Zivilcourage bis hin zum zivilen Ungehorsam" anerkennt und für notwendig erklärt, bildet die Klammer für die Zusammenarbeit im Runden Tisch, konkret auch für den 29. Januar.

Auf dieser Grundlage und den Erfahrungen jahrelanger praktischer Zusammenarbeit konnten die intriganten Spaltungsversuche durch Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre genauso zurückgewiesen werden wie die Gewalthetze von Lokalpresse, Oberbürgermeisterin und Polizei: Der Versuch der politischen Isolierung und einer potentiellen Kriminalisierung ist gescheitert. Vielmehr war die Mobilisierung in den unterschiedlichen Spektren im Gegensatz zum "Landtagsbündnis" erfolgreich und glaubwürdig. Die Berechenbarkeit und Verlässlichkeit, die von Anfang an die Aktionen des Runden Tisches geprägt hat, führte dazu, dass sich Tausende von Menschen an massenhaften, spontanen wie organisierten Regelverstößen beteiligt haben. All dies betrachten wir auch als das Ergebnis unserer langjährigen politischen Arbeit.

Daran ändert auch die schlechte, teils schlicht falsche, Medienberichterstattung nichts. Der 29. Januar hat uns darin bestätigt, dass eine antifaschistische Arbeit, die im genannten Sinne auf breite Bündnisse und vermittelbare Aktionen, an denen sich viele Menschen beteiligen können, setzt, politisch richtig ist.

Ausblick

Die Basis für den Erfolg der antifaschistischen Aktionen war der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus. Die Arbeit in diesem Bündnis muss daher fortgesetzt und verbreitert werden. Insbesondere sollte der Versuch gemacht werden, Schüler und Schülerinnen in diese Arbeit einzubeziehen. Es hat sich gezeigt, dass der lange Atem, den alle regelmäßigen TeilnehmerInnen des Runden Tisches bewiesen haben, sich ausgezahlt hat. Damit dies so bleibt, sei allen aktiven AntifaschistInnen die Beteiligung am Runden Tisch, der sich jeweils am 4. Dienstag eines Monats um 18.30 Uhr im Gewerkschaftshaus trifft ans Herz gelegt.

Avanti - Projekt undogmatische Linke

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