(Gegenwind 193, Oktober 2004)

Nordische Frauen gegen Männergewalt - Norwegen 2004

Eine Welt ohne Männergewalt gegen Frauen - von der Vision zur Wirklichkeit?

In Kristiansand in Südnorwegen fand die 11. Konferenz der Nordischen Frauen gegen Gewalt statt, zu der das Krisensekretariat Oslo und das Krisencenter (Frauenhaus) Kristiansand einlud. Es reisten 183 Teilnehmerinnen aus Dänemark, Faroer, Finnland, Grönland, Island, Norwegen und Schweden an. Diese Konferenzen finden alle zwei Jahre statt und dienen dem Theorie- und Praxisaustausch von Mitarbeiterinnen in Frauenprojekten, die zum Thema Männergewalt gegen Frauen, Mädchen und Jungen in Familien arbeiten.

Das Programm von Freitag bis Sonntagnachmittag war mit Vorträgen und Workshops vielfältig und umfassend. Das Konferenzhotel lud zum anregenden informellen Austausch ein, und am Abend gab es Gelegenheiten mit Kabarett, Bogenschießen, Axtwerfen und anderen Aktivitäten, viel Spaß zu haben.

Als Vertreterin des Autonomen Frauenhauses in Lübeck war ich die einzige deutsche Teilnehmerin und fuhr voller Erwartung nach Norwegen. Bereits in einem EU-Projekt geknüpfte Kontakte mit dem Krisencenter in Kristiansand und der Beratungsstelle Stigamot auf Island wollte ich bei dieser Reise gerne vertiefen. Als Lübeckerin habe ich stets einen Blick nach Skandinavien und gerade im Bereich der feministischen Frauenprojektearbeit lassen sich gute Verbindungen ziehen und es entsteht rasch eine lebhafte Diskussion. Eine regelmäßige Kooperation gab es bislang noch nicht, ich halte sie für sehr erstrebenswert, nicht nur ausgehend von den historischen Verbindungen als Hansestadt, sondern vielmehr wissend um die Situation, dass Gewalt gegen Frauen die häufigste Menschenrechtsverletzung ist und hier weltweite Strukturen gegen Frauen arbeiten. Einen Beginn der Kooperation im baltischen Raum kann daher ein wirkungsvoller Schritt zur Unterbrechung und Bekämpfung von Männergewalt sein.

Schon am ersten Tag zeichnete sich ab, dass die Frauenprojekte in Norwegen, Dänemark und Schweden gut organisiert sind, so gibt es pro Land mindestens einen sog. Dachverband, der engagiert und beherzt feministisch waltet, der Untersuchungen vorantreibt, Gesetzesinitiativen begründet und Medien erstellt. Besonders wichtig erscheint mir, dass diese VertreterInnen einen "heißen Draht" in die Ministerien haben und hier auch auf offene Ohren stoßen. Die Belange der Frauen finden mehr Eingang in die Verwaltung. Auf der kommunalen und regionalen Ebene sind Vernetzungen recht unterschiedlich, wobei die Frauenprojekte in der kommunalen Vernetzung einen wichtigen Einflussfaktor bedeuten. In Kristiansand werden ebenso viele Männer, die in der Familie gewalttätig wurden, weggewiesen wie in Oslo. Kristiansand hat etwa 70.000 EinwohnerInnen, und diese Leistung ist maßgeblich auf die gute Kooperation zwischen allen zuständigen Stellen zurückzuführen.

Auf dieser Konferenz bekam jede einen guten Überblick, wie es zur Zeit im Nachbarland läuft. Gudrun Jonsdottir aus Island veranschaulichte, wie viel in kurzer Zeit in einem so kleinen Staat bewegt werden konnte. Besondere Schwerpunkte lagen hier in den Bereichen sexueller Missbrauch, Pornographie und Prostitution. Gerade in jüngster Zeit greift auch stärker das Frauenhaus Reykjavik in das politische Geschehen ein.

Aus Schweden wurde berichtet, dass die brennenden Fragen sich mit der Situation von Mädchen und Jungen befassen, die Gewalt in der Familie (mit-)erlebt haben und die nach der Scheidung der Eltern sowohl mit dem Vater als auch mit der Mutter leben. Das gemeinsame Sorgerecht ist dort gängige und gelebte Situation, da oft beide Elternteile berufstätig sind und die Kinder in die Ganztagsschule gehen. Vater und Mutter wechseln sich nicht selten wöchentlich mit der Kindererziehung ab. Erst neuerdings gibt es Untersuchungen darüber, wie wenig die Ausübung von Gewalt auf die Mutter oder Kinder bei der Umgangsrechtsregelung eine Rolle spielte.

Der zweite und auch in Europa ablehnend beäugte Bereich ist der der Strafandrohung bei Prostitution. "Sexköp" (Sexkauf) ist in Schweden eine Straftat, dieses wurde bereits beschlossen und ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Die schwedische Referentin stellte unmissverständlich klar, dass die Legalisierung von Prostitution einhergeht mit der Legalisierung von Gewalt. Prostitution schafft weltweit Gewalt und begünstigt regional und global Gewalt und Frauenverachtung. Bei der strafrechtlichen Verfolgung von Prostitution müssen die Sexkäufer und Zuhälter mit Sanktionen rechnen, nicht aber die Prostituierten. Ihnen wird mehr Schutz und Sicherheit angeboten. Dieses Modell müsste meines Erachtens europaweit wesentlich stärker diskutiert werden.

In Dänemark ist die Situation von Frauen, die auf dem Heiratswege nach Dänemark kommen, beklagenswert. So bekommen diese Frauen erst nach siebenjähriger Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, was bedeutet, dass sie bis zu diesen Zeitpunkt auf Gedeih und Verderb ihrem Ehemann ausgeliefert sind. Der jüngste Bericht zeigt, dass eine beachtliche Anzahl dänischer Männer in Ausland fahren, um hier eine Ehefrau zu suchen, die sie dann nach Dänemark "importieren" und ganz "in den Besitz nehmen". Diese Frauen und auch deren Kinder werden isoliert, ausgenutzt und misshandelt. Die dänischen Frauenhausmitarbeiterinnen sehen daher die unbedingte Notwendigkeit einer rechtlichen Besserstellung dieser Frauen.

Dieser Forderungen können wir uns in Lübeck sofort anschließen. Die gesetzlichen Fristen sind in Deutschland deutlich niedriger, nämlich nur zwei Jahre. Aber in einer Gewaltsituation ist auch dieses unzumutbar. Unsere Erfahrungen mit diesen Frauen und sekundär mit deren Ehemännern zeigen besonders deutlich, dass die Ehemänner ihr Rechtsprivileg kennen und schamlos ausnutzen. Die derzeitige Rechtssituation fördert das delinquente Verhalten, und nur ein sofortiges Aufenthaltsrecht für verheiratete Frauen kann hier effektiv gegen Ausbeutung und kriminelles Verhalten einschreiten (siehe auch www.autonomes-frauenhaus.de).

Zu diesem Themenschwerpunkt planen wir im November gemeinsam mit dem Beauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein Torsten Döhring eine Veranstaltung für Frauenhäuser und Migrationsberatungsstellen. Auch in der Zusammenarbeit mit Contra e.V. werden wir bei dieser Gelegenheit der Frage nachgehen, ob diese Facheinrichtungen einen Beratungsbedarf für diese Frauen bereits sehen, ob es praktische Erfahrungen gibt und welche Maßnahmen derzeit die sinnvollsten sind, um den Frauen Schutz und Hilfe gewähren zu können. Die Rolle der Ausländerbehörde ist dabei von besonderer Bedeutung. Die Norwegerinnen berichteten, dass bisher noch keine Frau, die über dieses Heiratsversprechen nach Norwegen eingereist ist, abgeschoben wurde. Lässt sich dieses für Schleswig-Holstein auch sagen?

Die Norwegerinnen richteten ihren Blick in diesem Jahr auf die Situation der Frauen mit Behinderungen, die im Rahmen der Konferenz zeitweise ein internes Meeting hatten. Multikulturelle Arbeitsansätze in Frauenhäusern wurden beleuchtet, und auch in Oslo liegt ein Bericht über die Situation so genannter "Trafficking women" vor, also der Frauen, die auf dem Heiratswege nach Norwegen kommen und in Gewaltbeziehungen leben (müssen).

Neben den vielen engagierten Frauen gab es zwei Vertreter der Polizei und einen Delegierten von ai Norwegen, die einerseits den regionalen Fokus auf Gewaltbekämpfung setzten und andererseits die globale ai-Kampagne "Hinsehen und Handeln" vorstellten. Es wird höchste Zeit, dass das Thema Männergewalt auch aktiv von Männern angegangen und bearbeitet wird.

Allen Ländern gemeinsam ist, dass Gewaltbekämpfung Geld kostet. So haben Forscherinnen in Schweden herausgefunden, dass die Zuschüsse an Vereine, die für Frauen arbeiten, weniger als 5 Prozent der gesamten jährlichen Zuwendungen ausmachen. Diese Zahl spricht laut und deutlich für sich. Finanziell stehen wir immer noch am Anfang, ideell haben die vergangenen 25 Jahre viele gesellschaftliche Strukturen und individuelle Verhaltensmuster aufgebrochen. Auf dem internationalen Aktionsfeld müssen wir stärker tätig werden, und sicherlich könnten die Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern ihr Wissen selbstbewusster und mächtiger einbringen als bislang.

Meinem schwedischen Referat über die Arbeit im Autonomen Frauenhaus habe ich ein Zitat von Hannah Arendt vorangestellt: "Macht ist die Fähigkeit, sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln."

Anke Kock

Mitarbeiterin im Autonomen Frauenhaus Lübeck

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