(Gegenwind 191, August 2004)

Konsequenzen des demographischen Wandels

Weniger Babys, mehr Einwanderung?

Dass die deutsche Bevölkerung schrumpft, ist inzwischen Allgemeinwissen. Wie sich das genau auswirkt, weiß noch niemand - aber klar ist, dass die Politik diese Entwicklung nur langfristig beeinflussen kann. Dabei sind die Rezepte umstritten und werden zum Teil mit ideologischen Scheuklappen diskutiert. Für Schleswig-Holstein hat jetzt die Firma "dsn" ein Gutachten für die Landesregierung geschrieben, in dem die Bevölkerungsentwicklung bis 2050 vorhergesagt werden soll.

Frauen in Schleswig-Holstein bekommen im Durchschnitt 1,4 Babys. Zur Reproduktion, damit also genauso viele Babys geboren werden wie Menschen sterben, wären 2,1 Babys pro Frau nötig. Jede Generation wird also in Schleswig-Holstein nur zu zwei Dritteln durch Neugeborene ersetzt.

Dazu kommt, dass die geburtenstarken Jahrgänge, also die Anfang der 60er Jahre Geborenen in spätestens 25 Jahren das Rentenalter erreichen. Die Zahl der Rentner wird also in Relation zu den "arbeitsfähigen" Menschen (20 bis 65 Jahre) bis ungefähr 2035 stark zunehmen.

Unterschiedliche Aufgaben

Für die Landespolitik stellen sich nach Meinung der Autoren für die verschiedenen Altersgruppen verschiedene Aufgaben:

Die Zahl der erwerbsfähigen Personen wird noch ein paar Jahre lang geringfügig zunehmen und dann stark sinken. Deshalb empfiehlt die Studie, das Potential der Frauen zu mobilisieren, indem die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ausgebaut werden. Außerdem sollte das Rentenalter von 60 auf 65 Jahre verschoben werden. Ferner empfiehlt die Studie, Einwanderer anzulocken. Zwei Drittel werden nach der Prognose Deutsche sein, also Aussiedler und Arbeitslose aus den östlichen Bundesländern, ein Drittel AusländerInnen. Hier lebende MigrantInnen sollten besser ausgebildet werden, weil auch die Zahl der Stellen, für die eine niedrige Qualifikation nötig ist, sinken wird.

Die Zahl der Kinder wird um ein Drittel oder mehr sinken - das bedeutet, dass Kindergärten und Schulen verkleinert oder zusammengelegt werden müssen, bei Kindergärten könnte sich auch die Nutzung ändern, dass zum Beispiel nicht mehr nur Kinder ab drei Jahren, sondern ab einem Jahr aufgenommen werden.

Die Zahl der "Hochbetagten", also der Menschen über 80 Jahre, wird sich bis 2050 verdreifachen. Denn die Lebenserwartung nimmt durch den Fortschritt in der Medizin ständig zu. Außerdem besteht ein Teil der Zuwanderer aus Rentnern, die aus anderen Bundesländern mit Erreichen des Ruhestandes nach Schleswig-Holstein umziehen, um hier ihren Lebensabend zu verbringen. Das ist Folge der Schwerpunktsetzung der Simonis-Regierung, in Schleswig-Holstein den sogenannten Wellness-Bereich besonders zu fördern. Diese Einwanderer haben zum Teil viel Geld und können den Aufbau einer Pflegestruktur finanzieren.

Regionale Unterschiede

Die Prognose für einzelne Kreise ist, so die Autoren der Studie, noch schwieriger als eine allgemeine Prognose für das Bundesland. Sie rechnen aber damit, dass in den nächsten 15 Jahren die Bevölkerung der kreisfreien Städte stark abnehmen wird, Kiel wird 35.000 EinwohnerInnen verlieren, Lübeck ungefähr 22.000. In Kiel ist dabei wichtig, dass die Zahl der Menschen zwischen 19 und 26 Jahren (also unter anderem StudentInnen) um 7.000 zurückgehen wird. Gleichzeitig gibt es die Tendenz, dass gerade Familien mit Kindern die Städte verlassen und sich ein Häuschen im Grünen suchen, also die Relation zwischen jungen und alten Menschen in den Städten noch ungünstiger wird als bisher.

Dagegen wird die Bevölkerung in den Landkreisen zunächst wachsen, abgesehen von Ostholstein mit einem erwarteten Verlust von 6000 Menschen und Pinneberg und Steinburg, wo die Bevölkerung ungefähr gleich bleiben wird. Andererseits wird die Bevölkerung im Kreis Segeberg um 12.000 Menschen und im Kreis Schleswig-Flensburg um 11.000 Menschen anwachsen.

In den Landkreisen wird auch insbesondere die Zahl der "SeniorInnen" zunehmen. Allein im Kreis Segeberg wird sie sich bis 2015 fast veranderthalbfachen (über 60 Jahre: Zuwachs 19.000 Personen oder 40 Prozent). Dagegen ist in den Städten mit einer gleichmäßigeren Entwicklung zu rechnen - die Zahl der alten Menschen steigt auch, aber langsam und kontinuierlich.

Mehr alte ArbeitnehmerInnen

Ein besonderes Problem stellen die Veränderung innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung dar. Die Autoren haben die Gruppe der 20- bis 65-Jährigen in drei Gruppen (jeweils 15 Jahre) eingeteilt. Heute ist die Gruppe der 35- bis 50-Jährigen mit rund 40 Prozent am größten. In fünfzehn Jahren hat logischerweise die Gruppe der 50- bis 65-Jährigen diese Position, wobei die Gewohnheit der meisten Firmen ist, solche "alten" Menschen nicht mehr zu beschäftigen.

In Dithmarschen und Nordfriesland bleibt die Zahl der Erwerbsfähigen in den nächsten fünfzehn Jahren fast gleich, in Plön, Lauenburg und Schleswig-Flensburg nimmt sie sogar zu. In allen anderen Kreisen geht sie zurück, am stärksten wiederum in den kreis freien Städten. Alleine Kiel muss sich darauf einstellen, 18 Prozent der erwerbsfähigen Personen als Einwohner zu verlieren. Viele kommen natürlich als Pendler wieder und brauchen dann öffentliche Verkehrsmittel oder Parkplätze. Dabei wird - wiederum in Kiel - die Zahl der Erwerbsfähigen über 50 Jahren sogar zunehmen, die Zahl der unter 35-Jährigen überproportional abnehmen.

Und 2030?

Die Vorhersagen für das Jahr 2030 sind natürlich noch unsicherer als die für 2015. Allerdings sind alle Menschen, die dann arbeiten könnten, bereits geboren. Insofern lassen sich einige Entwicklungen nur noch geringfügig beeinflussen.

Die Bevölkerung Schleswig-Holsteins wird 2030 kleiner sein als heute und weiter sinken. Die Zahl der SeniorInnen hat 2030 ihr Maximum erreicht, ab dann sterben ungefähr so viele wie auch in das Alter nachwachsen oder einwandern. Dagegen wird die Zahl der Schülerinnen und Schüler sowie die Zahl der Auszubildenden sehr viel kleiner sein als heute, dort findet eben die Bevölkerungsabnahme statt. Auch die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter wird 2030 geringer sein als heute, vor allem sind diese Menschen aber im Schnitt älter als zur Zeit.

2050 werden 1,3 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter in Schleswig-Holstein leben, heute sind es 1,7 Millionen. Tatsächlich sind aber heute nur wenig mehr als 1,2 Millionen Schleswig-HolsteinerInnen erwerbstätig. Allerdings haben heute schon diejenigen kaum eine Chance auf einen Arbeitsplatz, die keinen Schulabschluss haben. Und nur 63 Prozent der schleswig-holsteinischen Betriebe stellen Arbeitskräfte ein, die älter als 50 Jahre sind.

Was tun?

Als Handlungsfelder für die Politik sehen die Autoren der Studie:

Längst nicht alle Folgen der Bevölkerungsentwicklung können aber wirklich exakt vorhergesagt werden. So nehmen die Autoren an, dass die Nachfrage im Öffentlichen Nahverkehr abnimmt. Andererseits werden kleine Schulen geschlossen, die SchülerInnen müssen dann zur Nachbarschule. Familien ziehen aus den Städten ins Umland, behalten aber ihre Arbeitsplätze in der Stadt und besuchen Kino und Theater. Es kann also auch sein, dass der Verkehr trotz zurückgehender EinwohnerInnenzahl zunimmt. Es hängt auch von der Politik ab, ob nach der Auflösung einer kleinen Schule die Mütter ihre Kinder einzeln mit dem PKW in den Nachbarort chauffieren oder ob die Kinder gemeinsam mit einem Bus kommen.

Verwaltungsstruktur

Schleswig-Holstein ist das Land mit den meisten und kleinsten Gemeinden: Über 1100 Gemeinden bewahren bis heute ihre Unabhängigkeit. Wenn bald die Einwohnerzahl nicht mal mehr dafür reicht, einen eigenen Kindergarten zu unterhalten, stellt sich noch mehr als heute die Frage, warum denn nicht die Gemeinden zu größeren Einheiten zusammengeschlossen werden. Die meisten haben jetzt schon Aufgaben auf "Ämter" verlagert, für allerdings keine Vertretung gewählt werden, in den Ämtern regieren die Bürgermeister alleine.

Die Parteien haben verschiedene Vorschläge gemacht: CDU und SPD wollen genauso wie die FDP keinen Zwang anwenden, sondern halten an den dreißig Jahre alten Empfehlungen zur verstärkten Zusammenarbeit bis hin zum Zusammenschluss fest. Der SSW will eine Reform auf der Basis der jetzigen Ämter, was eigentlich nur eine nachholende Demokratisierung der jetzigen Strukturen bedeuten würde. Die Grünen wollen eine Strukturreform, bei der nur noch Gemeinden mit mindestens 8.000 Einwohnern übrig bleiben. Diese sollen mehr Zuständigkeiten als bisher von den Kreisen bekommen, um die Behördengänge für die Bevölkerung einfacher zu gestalten. Die bisher 15 Kreise sollen dann zu vier oder fünf Kreisen zusammengelegt werden, ähnlich wie es die Polizeireform der Landesregierung jetzt schon vormacht - die Polizei kennt nur noch acht Kreise.

Die Autoren der Studie sehen diese Notwendigkeit, trauen sich aber nicht, klare Empfehlungen zu geben, weil sie die ablehnende Position beider großer Parteien kennen. Sie sprechen nur von der "Notwendigkeit kommunaler Zusammenarbeit", die von der "kleinteiligen Gemeindestruktur" behindert wird.

Einwanderung

Bezüglich der "Zuwanderung" kommen die Autoren zu der Feststellung, dass eine "Zuwanderung auf Zeit" keines der Probleme löst, sondern nur die auf Dauer angelegte Einwanderung zur Problemlösung beitragen kann. Das schränken sie aber in zweierlei Hinsicht ein: Die Einwanderung muss Hochqualifizierte bevorzugen, und die interkulturelle Kompetenz hiesiger Behörden und Firmen muss spürbar gesteigert werden, um auch die Einwanderer und ihre Kinder integrieren zu können. Gerade wenn LehrerInnen und AusbilderInnen eine bessere interkulturelle Kompetenz haben, würde Schleswig-Holstein für Einwanderungswillige auch attraktiver.

Sie weisen aber darauf hin, dass Einwanderung die Probleme der schrumpfenden Bevölkerung nicht lösen kann. Vielmehr muss die Familienfreundlichkeit so erhöht werden, dass in Schleswig-Holstein wieder mehr Kinder geboren werden, und die hier wohnenden MigrantInnen müssen bessere Integrations- und Bildungsangebote bekommen.

Die Probleme sind alt

Die Autoren betonen in ihrer Zusammenfassung, dass alle genannten Probleme und auch die Lösungsvorschläge nicht neu sind. Sie weisen aber darauf hin, dass die Probleme sich verschärfen und Lösungen dringlicher werden.

Reinhard Pohl

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