(Gegenwind 188, Mai 2004)

Iranische Flüchtlinge in Schleswig-Holstein

Hungrig zum Sozialamt

Seyet und Gholam Ale Fatempour

Wir besuchen Seyet und Gholam Ale Fatempour in Kronshagen bei Kiel. Sie sind seit 8 Jahren in Deutschland, heute 36 und 28 Jahre alt. Ihre Probleme im Iran waren mit der "islamischen Revolution" von 1979 vorprogrammiert, denn ihre Familie war monarchistisch eingestellt. Auch sie engagierten sich politisch gegen die Regierung. Und nicht nur politisch, sie gerieten auch mehr und mehr in einen Konflikt mit dem Islam überhaupt. So sammelten sie Informationen über das Christentum und gaben diese auch im Bekanntenkreis weiter. Gholam bekam später eine Anstellung in einem Supermarkt. Damals, Anfang der neunziger Jahre, gehörten beide einer Organisation an, in der sich Monarchisten sammelten. Auch der Chef des Supermarktes gehörte dazu.

Eines Morgens, im Februar 1996, sah Gholam auf dem Weg zur Arbeit sehr viel Polizei rund um den Supermarkt. Er versteckte sich sofort bei Bekannten und erfuhr dort, dass die Organisation aufgeflogen und sein Chef festgenommen worden war. Gemeinsam mit seiner Schwester floh er in eine andere Stadt, telefonisch warnte ihn dort seine Mutter davor zurückzukommen. Denn der Geheimdienst hatte ihr bereits auf der Suche nach beiden Kindern einen Besuch abgestattet. Die Mutter konnte dennoch sehr schnell den Kontakt zu Fluchthelfern herstellen, und auf dem Rücken zweier Pferde flohen sie in die Türkei. Dort blieben sie einige Stunden in Van, dann ein paar Tage in Istanbul, bis sie falsche Pässe und Flugtickets nach Hamburg bekamen. Das Ziel hatte die Fluchthilfeorganisation ausgesucht, sie selbst wollten nur irgendwo hin, wo sie vor der iranischen Polizei sicher waren.

Im April 1996 kamen sie in Hamburg an, kannten niemanden, die Fluchthelfer verschwanden sofort. Sie versuchten, sich auf Persisch durchzufragen. Ein afghanischer Junge, den sie auf der Straße trafen, erklärte ihnen schließlich, sie müssten nach Lübeck fahren und dort Asyl beantragen, was sie auch taten. Bereits eine Woche später hatten sie die Anhörung, wo sie alles erzählten, eine weitere Woche später wurde der Asylantrag abgelehnt. Fünf Monate später, sie waren bereits nach Kronshagen (Kreis Rendsburg-Eckernförde) umverteilt, bestätigte das Verwaltungsgericht die Ablehnung des Asylantrages.

Auch hier wurden sie bald aktiv, um für Veränderungen im Iran zu kämpfen. Sie nahmen an Treffen und Demonstrationen teil und suchten den Anschluss an Organisationen. Sie übernahmen für eine monarchistische Organisation in Hamburg die Mobilisierung in Kronshagen um Umgebung. Hier in Schleswig-Holstein wurden sie schließlich Gründungsmitglieder des "Iranischen Vereins für Politik und Kultur in Schleswig-Holstein". Darüber hinaus schrieb Gholam mehrere Artikel und zeichnete Karikaturen, die in iranischen Zeitschriften veröffentlicht wurden.

Die Angst vor einer Rückkehr nahm nach der Ablehnung des Asylantrages zu. Deshalb stellten sie im Laufe der Jahre drei weitere Asylanträge, die sich mit ihren politischen Aktivitäten hier begründeten. Auch diese Asylanträge wurden abgelehnt, das letzte negative Urteil wurde im September 2003 rechtskräftig.

Gholam hatte auch hier schnell Arbeit gefunden, sechs Jahre lang arbeitete er zwei Tage pro Woche in einem Restaurant in Kiel. 2001 wurde eine Vollzeitstelle daraus, das machte ihn vom Sozialamt unabhängig, nur eine Schwester bekam noch ergänzende Sozialhilfe. Doch im September 2003 wurde ihm die Arbeitserlaubnis entzogen. Auch Arbeitslosenunterstützung bekam er nicht. Das Arbeitsamt beschuldigte ihn, er habe selbst das Ende der Arbeitserlaubnis verschuldet.

Denn die Ausländerbehörde hatte ihn aufgefordert, zur iranischen Botschaft zu gehen und dort einen Pass zu beantragen, um in den Iran zurückzukehren. Das konnte er nicht, genauso wie seine Schwester, die Angst war viel zu groß. Viele Demonstrationen und Kundgebungen hatten beide vor das iranische Konsulat in Hamburg geführt, und häufig waren sie aus dem Konsulat heraus gefilmt worden. Auch die Verwaltungsgerichte wissen, dass solche Filmaufnahmen immer an den Geheimdienst gehen, der die DemonstrationsteilnehmerInnen identifiziert.

Doch die Gesetze hierzulande schreiben vor, dass abgelehnte Asylbewerber eine "Mitwirkungspflicht" haben, wenn die Ausländerbehörde die Rückkehr oder Abschiebung betreibt. Und wer nicht "mitwirkt", wird dazu gezwungen. Gholam verlor seine Arbeit und den Anspruch auf die Arbeitslosenunterstützung, und beide bekamen ab September 2003 auch keine Sozialhilfe mehr. Einmal, noch im September, ging Seyet hungrig zum Sozialamt, um zu fragen, wie sie etwas zu Essen bekommen könne, ihr wurden 50 Euro in die Hand gedrückt. Auch er fragte dort, ob er jetzt etwas im Supermarkt stehlen müsste - ja, das solle er doch tun, war die Antwort. Geld bekam er nicht. Statt dessen kam ein Brief von der AOK, sie sollten doch ihre Versicherungskarte zurückgeben, sie seien nämlich nicht mehr krankenversichert.

Seit acht Monaten leben beide jetzt ohne Geld. Das Essen bekommen sie von der "Kieler Tafel". Zwei Kirchengemeinden geben ihnen ab und zu kleinere Geldbeträge. Freunde laden sie hin und wieder zum Essen ein. Wie es weiter gehen soll? Sie wissen es nicht.

Weiter mit Portrait "Aus der Schule ausgeschlossen"...

Portraits: Reinhard Pohl

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