(Gegenwind 184, Januar 2004)

Der Umweltminister antwortet auf den Offenen Brief der Bürgerinitiative gegen Müllverbrennung in Neumünster

MBA und TEV: Ökologische Vorteile

Betr.: Offener Brief vom 10. November 2003

Sehr geehrter Herr Senczek, erneut wenden Sie sich an mich mit einem Offenen Brief zur Planung einer Thermischen Ersatzbrennstoff-Verwertungsanlage in Neumünster. Diesmal nehmen Sie Bezug auf meine grundsätzlich positive Meinungsäußerung zur TEV in einem Artikel (Dazugelernt) für die Zeitschrift Gegenwind.

Zunächst bezweifeln Sie meine Äußerungen zur Frage von Zuständigkeiten und der Rolle der Landesabfallwirtschaftsplanung. Ich kann mich nur wiederholen: Die Durchführung der öffentlichen Abfallentsorgung ist nach § 3 Abs. 1 des Landesabfallwirtschaftsgesetzes eine Pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe der Kreise und kreisfreien Städte. Die oberste Abfallentsorgungsbehörde und auch ich als Landesumweltminister haben den Kommunen hier keine Vorgaben zu machen, wie sie ihre Pflichten zu erfüllen haben, solange sie sich dabei an Recht und Gesetz halten. Aber auch wenn ich Einflussmöglichkeiten hätte, ich würde sie nicht dazu nutzen, die TEV-Planung zu Fall zu bringen. Die Kombination aus MBA und TEV bietet gegenüber herkömmlichen Verfahren der Entsorgung ökologische Vorteile und die Anlagen werden die nach heutiger Kenntnis erforderlichen Maßnahmen zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen übertreffen.

Im Folgenden möchte ich auf einige ausgewählte Aspekte Ihres Schreibens eingehen:

Das MBA-Konzept ist nicht nur Schreddern und Sieben. Schadstoffhaltige Abfälle können bereits durch die Sichtkontrolle im Tiefbunker erfasst werden. Batterien werden über die Magnetabscheider miterfasst, die im Wesentlichen die Eisenmetalle für eine Verwertung zurück gewinnen. An zwei Stellen des Verfahrens werden Buntmetalle abgetrennt, ebenso eine überwiegend mineralische Schwerfraktion. Insoweit wird die gewonnene heizwertreiche Fraktion weitestgehend von Schad- und Störstoffen befreit sein. Der Aufbau der Anlage wird nach Auskunft der Stadtwerke Neumünster so großzügig bemessen, dass nach technologisch ausgereifter Entwicklung weitere Sortierstufen nachgerüstet werden können.

Die Anlage trägt zur Verminderung der CO2-Emissionen bei. Ihr "Einmaleins" kann ich an diesem Punkt nicht nachvollziehen. Die Kraftwerksleistung bleibt konstant, nur dass künftig ein nicht unerheblicher Teil des fossilen Brennstoffs Steinkohle durch Sekundärbrennstoff aus Abfall ersetzt wird. Von diesem Leistungsanteil wiederum wird ein hoher Anteil CO2-neutral durch regenerative Energieträger in den Abfällen, wie Holz, Papier und Pappe sowie zu Teilen Textilien und Verbundmaterialien, Gummi und Leder beigesteuert.

Die Alternativen, die Sie zu einer energetischen Verwertung sehen, werden auch von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beobachtet. In der Regel mangelt es noch an Betriebserfahrungen mit leistungsfähigen Anlagen, so dass hier eine ausreichende Entsorgungssicherheit noch nicht gewährleistet erscheint. Grundsätzlich begrüße auch ich eine Ausweitung der werkstofflichen Abfallverwertung. Rohstoffliche Verwertungsverfahren, wie beispielsweise die Methanolerzeugung oder der Einsatz als Reduktionsmittel in der Stahlherstellung, konnten allerdings bei ökobilanziellen Betrachtungen keine generellen Vorteile gegenüber einer energetischen Nutzung mit hohem Wirkungsgrad aufzeigen. Ich bin überzeugt, dass die von Ihnen angesprochenen Verfahren und weitere Entwicklungen auch neben der energetischen Verwertung Raum haben werden, beispielsweise bei der Verwertung von Verpackungsabfällen oder der Schredderleichtfraktion aus der Altautoverwertung, von Altreifen oder den Rückständen der künftig flächendeckend separat gesammelten Elektroaltgeräte. Diese Verfahren müssen sich allerdings auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten am Markt durchsetzen. Die Landesregierung ist dabei durchaus im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützend tätig.

Die vorgesehene Wirbelschichtfeuerung der TEV kann man nach Auskunft der Stadtwerke Neumünster nicht als Musteranlage bezeichnen. Sie werde bereits störungsfrei in Anlagen in Lenzing (Österreich), Sogama (Spanien) und Norrköping (Schweden) mit ähnlichen Brennstoffen betrieben. Lediglich bei hohen Chlorgehalten des Abfalls könne es zu erhöhter Korrosion an bestimmten Anlagenteilen kommen. Dies sei für die Wartung der Anlage von Belang, nicht aber hinsichtlich der Emissionen.

Sie äußern generelle Bedenken hinsichtlich des Gefährdungspotenzials aus Schadstoffemissionen bei der Abfallverbrennung, ausgedrückt insbesondere in den sieben Anstrichen auf Seite 2 Ihres Schreibens (vgl. Gegenwind 183, Seite 31 unten). Hierzu folgende Anmerkungen:

Organische Stoffe werden in der Verbrennung bei hohen Temperaturen und ausreichender Verweilzeit weitestgehend zerstört. Der Restorganikanteil wird in der Abgasreinigung durch Eindüsung von Herdofenkoks minimiert. Eventuell unbekannte organische Verbindungen im Abgas werden summarisch über den Messwert "Corg" als Gesamtkohlenstoff kontinuierlich erfasst. Als Leitsubstanz für hochtoxische Stoffe wird der Summenwert der Dioxine und Furane erfasst. Die entsprechenden gesetzlichen Emissionsgrenzwerte der in diesem Jahr verabschiedeten Novelle der 17. BImSchV (14.08.2003) gelten als standortunabhängige Vorsorgewerte, die ab Dezember 2002 als Stand der Technik gemäß EU-RL 2000/76/EG für Neuanlagen innerhalb der gesamten EU gültig sind.

Die Überwachung der Schadstoffemissionen kann durch Einzelmessungen oder kontinuierliche Messgeräte erfolgen. Grundsätzlich wird der kontinuierlichen Überwachung der Vorrang eingeräumt. Die geeignete Überwachungsmöglichkeit ist jedoch Schadstoff bezogen entsprechend dem Stand der Messtechnik und unter Berücksichtigung der Einsatzbedingungen und der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden. Für den Einsatz bei Abfallverbrennungsanlagen ist unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte in der EU-RL 2000/76/EG und der 17. BImSchV festgelegt worden, dass die Emissionen von Schwermetallen sowie Dioxinen und Furanen durch Einzelmessungen zu überwachen sind. Lediglich für Quecksilber ist hier ein eignungsgeprüftes kontinuierlich messendes Gerät auf dem Markt verfügbar. Die kontinuierliche Überwachung der Quecksilberemissionen der TEV ist vorgesehen.

Die TEV wird mit einer Rauchgasreinigung aus Sprühabsorber, Additiveindüsung und Gewebefilter ausgerüstet. Diese Verfahrenstechnik entspricht dem Stand der Technik, ist vielfach eingesetzt und bewährt und kann Gesamtabscheidegrade für Staub über 99 % und sehr gutes Abscheideverhalten auch bei Feinststäuben erreichen. Die Messgröße Gesamtstaub umfasst alle im Abgas enthaltenen als Partikel messbaren Feststoffteilchen, ungeachtet ihrer Größe, Gestalt und chemischen Zusammensetzung.

Die in der 17. BImSchV vorgegebene Mindestverbrennungstemperatur von 850°C stellt nach derzeitigem Kenntnisstand in Verbindung mit einer ausreichenden Aufenthaltsdauer eine Minimierung toxischer organischer Stoffe durch optimalen Abgasausbrand sicher. Höhere Verbrennungstemperaturen sind nur bei besonders überwachungsbedürftigen Abfällen (früher Sonderabfälle) erforderlich, wenn deren Halogengehalt aus halogenorganischen Stoffen mehr als ein Gewichtsprozent beträgt. Beide Kriterien treffen für die in der TEV eingesetzten Stoffe nicht zu.

Im Falle einer Betriebsstörung oder eines Ausfalles der Rauchgasreinigung könnte es zeitlich begrenzt zu erhöhten Emissionen kommen. Bei der Wirbelschichttechnik befinden sich in der Feuerung im Vergleich zur Rostfeuerung jedoch nur sehr geringe Abfallmengen, so dass die Anlage ggf. sehr schnell abgefahren werden kann. Die zu erwartende Schadstofffracht bleibt daher auch bei Betriebsstörungen sehr niedrig.

Zur Sicherstellung eines vollständigen Ausbrandes der Abfälle ist die Anlage ständig mit einem definierten Luftüberschuss zu fahren, der allerdings bei der geplanten Wirbelschicht geringer ist als bei Rostfeuerungen. Entsprechend der eingesetzten Abfallmenge ist die Abgasmenge hierdurch technisch festgelegt. Anhaltspunkte dafür, dass diese "unnötig hoch" sei, sind nicht erkennbar. Eine direkte Begrenzung der Emissionsfrachten findet durch die 17. BImSchV tatsächlich nicht statt. Diese ergeben sich aus den auch von Ihnen genannten Parametern Abgasvolumen und Konzentration.

Im Rahmen der Immissionsprognose seitens des Antragstellers wurden die maximal zu erwartenden Abgasmengen zugrunde gelegt. Im Ergebnis ergab sich am maximalen Aufschlagspunkt - bei Verwendung der nach 17. BImSchV maximal zulässigen Emissionskonzentrationen - eine zu erwartende Zusatzbelastung deutlich unterhalb der zulässigen Immissionsgrenzwerte.

Ihre Vorwürfe hinsichtlich des Genehmigungsverfahrens vermag ich nicht nachzuvollziehen. Die Anlage ist eingestuft als genehmigungsbedürftige Anlage zur Beseitigung oder Verwertung fester und flüssiger Abfälle durch Verbrennung (Spalte 1 Nr. 8.1a des Anhanges zur 4. BImSchV). Sie bedarf einer Genehmigung im Rahmen eines förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens unter Beteiligung der Öffentlichkeit und mit Prüfung der Umweltverträglichkeit nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG). Die einzige Besonderheit liegt in der von den Stadtwerken Neumünster gewählten Mehrstufigkeit des Genehmigungsverfahrens, um vor Beauftragung kostenintensiver Planungen in einem (öffentlichen) Vorbescheidsverfahren alle standortrelevanten Fragestellungen abprüfen zu lassen.

Die von Ihnen angeführte Abstandsregelung aus Nordrhein-Westfalen ist - auch in NRW - nur bei der Ausweisung von neuen Baugebieten im Rahmen der Bauleitplanung anzuwenden. So lautet Abschnitt 3.2 des Erlasses: "Im Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG (...) ist im Gegensatz zu der Planung von Gebieten die Abstandsliste nicht anzuwenden; in diesen Fällen ist es ausdrücklich Gegenstand des Genehmigungsverfahrens, anhand der Antragsunterlagen und von Einzelgutachten in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder für die Nachbarschaft ausgeschlossen werden können. Die Anwendung der Abstandsliste würde diesem Prüfungsgrundsatz nicht gerecht werden."

Dass im Sommerbetrieb der TEV die Fernwärmenutzung deutlich niedriger ist als im jährlichen Durchschnitt, wird von Niemandem bezweifelt. Dennoch gibt es einen gewissen Grundbedarf, der zu befriedigen ist (beispielsweise Warmwasserbereitung in angeschlossenen Haushalten, Schwimmbad, Krankenhaus, Industrie). Dass nach Inbetriebnahme der TEV im Sommer wegen der zu verbrennenden konstanten Abfallmengen vermutlich mehr Strom produziert werden wird, als im derzeitigen reinen Kohlebetrieb, halte ich für vernünftig. Dieser Strom wird teilweise in Kraft-Wärme-Kopplung und unter anteiliger Nutzung regenerativer Energieträger erzeugt. Über's Jahr gesehen, soll die Anlage nach Stadtwerkeangaben einen Gesamtwirkungsgrad von über 70 Prozent erreichen (Energieabgabe gemessen an der Energie des eingesetzten Brennstoffs).

Ich meine, dass diese Argumente geeignet sein sollten, Ihre Bedenken auszuräumen, insbesondere, da die Stadtwerke Neumünster sich in einer Vereinbarung auf die Einhaltung sehr strenger Betriebswerte festgelegt haben. Auch besteht immissionsschutzrechtlich die Verpflichtung, die installierte Anlage optimal entsprechend ihrer Möglichkeiten zu betreiben.

Zu den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates gehört die Verpflichtung der staatlichen Behörden, nach Recht und Gesetz zu handeln. Deshalb ist auch das Innenministerium verpflichtet, sich bei der Zulässigkeitsprüfung eines Bürgerbegehrens sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht strikt an die gesetzlichen Vorgaben zu halten.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Müller

Klaus Müller ist Minister für Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft in Schleswig-Holstein.

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum