(Gegenwind 183, Dezember 2003)

Polizeiaktion gegen Neonazis

Neonazi-Terrorzelle ausgehoben?

Bei den Durchsuchungen beschlagnahmtes Holzschild und Waffen

Über 50 Hausdurchsuchungen, sieben Festnahmen, drei Haftbefehle - am 28. Oktober führte die schleswig-holsteinische Polizei eine Großaktion gegen Neonazis durch. Die Aktion richtete sich gegen organisierte Neonazis der ehemaligen Kameradschaft Pinneberger Sturm, die unter dem Tarnnamen "Combat 18" offensichtlich einen lokalen Ableger des internationalen Musiknetzwerkes "Blood &Honour" gegründet und die verbotenen Aktivitäten fortgesetzt haben. Nach Angaben des LKA Schleswig-Holstein wurden in großem Stil illegale CDs vertrieben und rechte CD-Händler erpresst, die Organisation finanziell zu unterstützen. Bei Mitgliedern der Gruppe wurden Waffen gefunden. In den Waffenhandel verwickelt soll der bis vor wenigen Wochen amtierende NPD-Landesvorsitzende Peter Borchert gewesen sein. Dieser soll Waffen angekauft und verkauft haben, die von einem Mitarbeiter des schleswig-holsteinischen Waffenproduzenten Sauer aus der Produktion entwendet und auch ins Rotlichtmillieu verkauft wurden.

Die Ermittlungen, so das Landeskriminalamt, seien zunächst parallel und unabhängig voneinander gelaufen. Erst nachdem sich gezeigt habe, dass Borchert Waffen auch an die Pinneberger Gruppe verkauft habe, habe man die Ermittlungen zusammengelegt und die Leitung der Ermittlungen wegen des Vorliegens eines Staatsschutzdelikts an die für solche Straftaten zuständige Flensburger Staatsanwaltschaft übertragen.

In einer eiligst einberufenen Pressekonferenz rühmte sich der schleswig-holsteinische Innenminister Buß, noch nie sei bei einer kriminellen politischen Organisation ein so frühzeitiger Zugriff erfolgt. Die Organisation stelle den Versuch der Fortsetzung der verbotenen Organisation "Blood &Honour" dar. Unter Präsentation eines Holzschildes auf dem über einem Totenkopf das Emblem "Combat 18" ("18" symbolisiert den ersten und achten Buchstaben des Alphabets: "AH" = "Adolf Hitler", Anm. d. Red.) dargestellt wurde, sowie unter Verweis auf eine angeblich gefundene Vereinskasse, über deren Herkunft und geldwerten Inhalt allerdings in Hinblick auf die laufenden Ermittlungen auch zwei Wochen später noch keine Informationen gegeben wurden, verwies man im Übrigen auf den englischen Vorläufer der Gruppe.

Der Ursprung von "Blood &Honour" und "Combat 18"

Der Ursprung der englischen Organisation "Combat 18" liegt in der Entwicklung von "Blood &Honour" nach dem Tod des Gründers Ian Stuart Donaldson. Dieser hatte "Blood &Honour" als Zusammenschluss von neonazistischen Musikgruppen, Produzenten und Vertrieben gegründet, um diese in die aktive politische Tätigkeit einzubinden. Zunächst noch Teil der "National Front", spaltete sich "Blood &Honour" schon bald von dieser ab und entwickelte ein eigenes, bald über die Grenzen nach Europa reichendes Netzwerk. Nach dem Tod der Nazi-Ikone Stuart kam es in dem Netzwerk zu harten Auseinandersetzungen. Um die verschiedenen Bands, insbesondere aber die Vertriebe, die ja das für die politische Arbeit benötigte Geld hereinbrachten, bei der Stange zu halten, wurde schon bald eine Gruppe gegründet, die sich durch enorme Gewaltbereitschaft auszeichnete. Unter der Führung des lokalen Neonaziführers und Kleinkriminellen Charlie Sargent, der im übrigen für den britischen Geheimdienst arbeitete, entwickelte sich die Gruppe "Combat 18" zu einer Art bewaffneter Schutz- und Geldeintreibertruppe von "Blood &Honour". Nebenbei versuchte Sargent die Gruppe zur Provokation von Straßenschlachten und anderen öffentlichkeitswirksamen Gewalttaten einzusetzen. "C 18" entwickelte sich bald zu einem Synonym für entfesselte Gewalt.

Erst in den 90er Jahren schaffte es die Gruppe in der Öffentlichkeit nicht länger nur als Neonazi-Schlägertruppe, sondern auch als Terrorgruppe wahrgenommen zu werden. Im Rahmen einer langandauernden Auseinandersetzung mit konkurrierenden Musikvertrieben in England und Schweden wurde eine dänische Gruppe von Anhängern angestiftet, mehrere Briefbomben zu bauen und zu verschicken. Die Gruppe wurde gefasst und "Combat 18" zerfiel schon bald, nachdem die Entlarvung von Sargent als Spitzel zu gegenseitigen Morden bzw. Mordversuchen geführt hatte. Heute ist "C 18" in England kaum mehr existent.

Die Ideologie von "White Power" und "Rassenkampf"

Der Ruf allerdings ist geblieben. Und zu diesem schillernden Ruf hat die schwedische "Blood &Honour"-Sektion seit einigen Jahren auch den passenden ideologischen Überbau geliefert. Unter dem Pseudonym Max Hammer präsentiert "Blood &Honour Scandinavia" eine "Fieldbook" genannte Anleitung, in der "C 18" als bewaffneter Arm von "Blood &Honour" definiert wird. Die Ideologie nimmt Bezug auf die in den USA verbreiteten Aufrufe zur "Leaderless Resistance". Propagiert wird der bewaffnete "Rassenkampf", in dem zunächst das sogenannte "Zionistische Besatzungsregime" beseitigt werden müsse, bevor die "White Power" ihr Glück finden kann.

Diese Ideologie hatte bereits zur Gründung von "Blood &Honour" in England Resonanz gefunden. Dies lag sicherlich insbesondere an der besonderen Nähe englischer Neonazis zur terroristischen loyalistischen Bewegung in Nordirland. Dass sich diese Ideologie auch in Deutschland mehr und mehr verbreiten kann, obwohl die deutsche Neonaziszene seit Jahrzehnten zumindest vordergründig sehr legalistisch am Projekt "Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, politischer Kampf um die Wiederzulassung der NSDAP" arbeitet, zeigt zweierlei: Die führenden Kader haben begriffen, dass der Rechtsrock ihnen Zugang zu einer breiten Masse von potentiellen Ansprechpartnern für ihre Ideologie liefert, wenn er Teil eines integrationsfähigen Lebensgefühls ist. Dazu gehören Symbole, Lifestyle, Mode und ein Lebensgefühl. Die aus den USA importierte White Power-Rassenkampf-Ideologie liefert hierzu geeignete Bilder und Stimmungen. Der offen präsentierte Gewalthype, der sich einerseits in erheblichem Waffenfetischismus und andererseits in der positiven Bezugnahme auf den Holocaust und rassistisch motivierte Gewaltphantasien äußert, dekorieren die Begleitmusik zu Mord und Totschlag.

Andererseits verfügt die militante Neonaziszene heute über eine deutlich größere Intergrationsfähigkeit als noch vor fünfzehn Jahren. Die Verwendung von Styles und Inhalten, die eigentlich dem Selbstbild entgegenstehen bereitet heute keinerlei Schwierigkeiten mehr. Im Gegenteil: Die deutsche Rechtsrockszene zeigt sich unglaublich offen für die Adaption bisher von links besetzter Styles: Hardcore wird als Hatecore adaptiert, Dark Wave, der seinen Ursprung bei Bands wie The Cure hat, wird längst von rechten Bands mitgeprägt, Satanismus findet im Black Metal den Schulterschluss mit denjenigen Kameraden, die eigentlich am liebsten zum Liedermacher Frank Rennicke schunkeln.

Neonazi-Aktivitäten in Pinneberg

Der angebliche Anführer der nun von der Polizei ausgehobenen Pinneberger Gruppe, der inzwischen in Neumünster wohnende Klemens Otto, stammt aus dem Umfeld des verbotenen "Hamburger Sturm". Unter dem Einfluss von Christian Worch und Thomas Wulff wurde im Rahmen dieser Organisation ab Ende der 90er Jahre ein ganzer Schwung neuer Kader aufgebaut, darunter Tobias Thießen (jetzt "Aktionsbüro Nord"), Torben Klebe (verurteilt wegen Beteiligung am Handel verbotener CDs), Jan Steffen Holthusen. Auch Peter Borchert, ehemals Kiel, später Neumünster, entwickelte sich in diesem politischen Umfeld zum Dauerredner auf Demonstrationen der "Freien Kameradschaften". Bereits im Jahr 2000 machte Klemens Otto, mit seiner nach Hamburger Vorbild "Pinneberger Sturm" bzw. später "Kameradschaft Pinneberg" genannten Gruppe durch regelmäßige gewalttätige Übergriffe von sich reden.

Trotz zwischenzeitlicher Inhaftierung Ottos und zumindest eines seiner Kameraden gelang es der Gruppe in den Jahren 2000 bis 2001 ein Klima von Angst und Schrecken in der Region zu verbreiten. Überfälle, Anschläge und offene Morddrohungen waren an der Tagesordnung. Ende 2001 ließen diese Aktivitäten von Seiten der "Kameradschaft Pinneberg" nach, die Protagonisten verschwanden mehr und mehr aus dem Blick der Öffentlichkeit, Otto zog nach Neumünster und nahm dort einige Zeit später eine Arbeit in einem Tätowierstudio auf, andere ließen die Kopfhaare wachsen und hielten sich zurück. Politische Aktivitäten wurden nun mehr und mehr von einer durch andere Kameraden gegründeten "Kameradschaft Elbmarsch" durchgeführt. Bereits im Jahr 2001 hatte die "Kameradschaft Pinneberg" unter dem Namen "Combat 18 Pinneberg" Schmierereien und Drohungen verübt. Nach Angaben des LKA Kiel war auch der nun als zweiter Mann festgenommene Marco H. an den Aktivitäten der Kameradschaft beteiligt und gemeinsam mit Klemens Otto auch an "Blood &Honour"-Aktivitäten beteiligt.

"Blood &Honour": Trotz Verbots weiter aktiv

Aktivitäten des "Blood &Honour"-Netzwerkes wurden vor, während und nach dem Verbot der Organisation ungestört durchgeführt. Der CD-Handel wurde praktisch ohne Unterbrechung fortgesetzt. So wurde beispielsweise im Februar 2001 in Hamburg ein Konzert durchgeführt, das mit großer Wahrscheinlichkeit von und für "Blood &Honour"-Strukturen organisiert wurde. Im April 2001 sollte in Kiel ein Konzert durchgeführt werden, bei dem nach Angaben der Kieler Polizei die Band "Kraftschlag" spielen sollte - Anlass: die Haftentlassung des Sängers Jens Uwe Arpe. "Kraftschlag" stammt ursprünglich aus Itzehoe. Die Band verfügt seit je her über beste Kontakte zu "Blood &Honour" Skandinavien. Arpe beteiligte sich an der Erstellung der "Blood &Honour"-Verkaufsvideos "Kriegsberichter", die an Widerwärtigkeit und Volksverhetzung kaum zu überbieten sind. Konzerte fanden auch im Rahmen von "Club 88"-Veranstaltungen in Neumünster statt.

Peter Borchert, der bereits als Jugendlicher und Heranwachsender mehrjährige Haftstrafen verbüßen musste, da er verschiedene Personen mit dem Messer angegriffen und zum Teil schwer verletzt hatte, wurde im Herbst 2000 erneut zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt, weil er eine scharfe Pistole in einer Disco mit sich geführt hatte. Obwohl seit dem eine ganze Latte von neuen Anklagen wegen gefährlicher Körperverletzung, Hausfriedensbruch, aber auch Einbruchsdiebstählen gegen ihn erhoben wurden, erfolgte bislang kein Widerruf der Bewährung, Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr wurde in keinem Fall angeordnet. Im Gegenteil: ein seit langem erwarteter Prozess ist erneut um Monate verschoben, eine Terminierung vor Februar 2004 nicht in Sicht, die Bewährung läuft im kommenden Frühjahr aus.

Borchert hatte seit Jahren beste Kontakte zu den Mitgliedern bzw. dem Umfeld des verbotenen "Hamburger Sturms", fungierte phasenweise als Sprecher des Neumünsteraner "Club 88" und war auch im Rahmen von Konzertveranstaltungen, die dem "Blood &Honour"-Netzwerk zugerechnet werden, als Mitverantwortlicher aufgetreten. Sein Zugang zu Waffen, seine Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten waren genauso bekannt wie die Aktivitäten der Pinneberger Gruppe.

Insbesondere vor dem Hintergrund der mageren Funde der polizeilichen Großaktion darf bezweifelt werden, dass hier eine keimende Terrorzelle ausgehoben wurde. Seit Jahrzehnten spielen Waffen in der militanten rechten Szene eine große Rolle, tatsächlich gibt es aber momentan keinen Anhaltspunkt dafür, dass terroristische Aktivitäten gegen vermeintliche oder tatsächliche politische Gegner geplant waren.

In den letzten 15 Jahren wurden weit über 100 Menschen aus rassistischen und neonazistischen Motiven getötet; sie wurden erschlagen, zu Tode getrampelt, erstochen, verbrannt. Sprengstoffanschläge wie diejenigen auf das Grab des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Galinski, auf die Ausstellungsräume der Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" in Saarbrücken oder einen Sendemast bei Lübeck blieben unaufgeklärt, bleiben aber eher vereinzelte Aktionen.

Bewaffnete Geldeintreiber in der Rechtsrock-Szene

Andererseits leben Gruppen wie "Blood &Honour" davon, ihren Nimbus die Elite der härtesten Neonationalisten zu verkörpern. Um dieses Selbstbild auch nach außen darzustellen, müssen sie sich mit dem von ihnen verwendeten und zur Schau gestellten Gewaltpotential von dem Rest der Szene absetzen. Der Umgang mit verbotenen Waffen und Schutzwaffen, der tatsächliche Einsatz von Gewalt auch innerhalb der Szene ist daher zwangsläufig. Dies dürfte auch schon deshalb notwendig sein, weil etliche Geschäftemacher wenig geneigt sind, freiwillig Teile ihrer Verkaufserlöse aus dem Rechtsrockvertrieb für die politische Arbeit zur Verfügung zu stellen.

Während die Band "Kraftschlag" im vergangen Jahr noch die bürgerlichen Gerichte bemühte, um den angeblich nicht autorisierten Vertrieb einer CD durch einen kommerziellen Rechtsrockvertrieb zu untersagen, dürfte der entsprechende Besuch einer mehr oder weniger gut bewaffneten Truppe deutlich schneller zum gewünschten Ziel führen, insbesondere bei denjenigen Vertrieben, die selbst nur halblegal fungieren - und beim Vertrieb von illegalen CDs scheiden legale Drohungen ohnehin von vornherein als wirkungslos aus. Insgesamt dürfte die Gründung der Pinneberger Gruppe also vor allem als notwendiger Schritt bei der Fortsetzung von "Blood &Honour"-Aktivitäten zu sehen sein.

Die Landespolizei wird Schwierigkeiten haben, ihre großspurigen Erfolgsmeldungen erfolgreich in Verurteilungen umzusetzen, die den Aufwand rechtfertigen: Da bis heute vom Bundesinnenministerium behauptet wird, "Blood &Honour" sei mit dem Verbot im Jahr 2000 zerschlagen, müssen die Ermittlungen auf die konkrete Durchführung und Planung von Gewalttaten, den lokalen Handel mit CDs und den Waffenbesitz/-handel beschränkt bleiben, will man nicht das Innenministerium bloßstellen. Ermittlungen, die die bundesweiten und internationalen Aktivitäten ins Visier nehmen, sind also offensichtlich nicht erwünscht.

Bis heute wird auch abgestritten, dass Konzerte mit "Blood &Honour"-Bands oder CD-Veröffentlichungen solcher Bands Teil der Organisationstätigkeit darstellen. Vielmehr wird dargestellt, "Blood &Honour"-Bands könnten auch unabhängig von der Organisation Konzerte geben oder CDs veröffentlichen. Sollte sich aus den aktuellen Ermittlungen ergeben, dass "Blood &Honour" durch freiwillige oder erzwungene Spenden an allen Veröffentlichungen und Konzerten ihrer Bands mitverdient, könnte dies neue Schritte gegen öffentliche Auftritte und CD-Veröffentlichungen ermöglichen.

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enough is enough, Zeitung für antirassistische und antifaschistische Politik in Schleswig-Holstein und Hamburg
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