(Gegenwind 182, November 2003)

Fereshteh Moradi

Fereshteh Moradi aus dem Iran

"... dann ist doch klar, was mit mir passiert"

Gegenwind:

Wann sind Sie nach Deutschland gekommen? Was waren Ihre Gründe?

Fereshteh Moradi:

Ich bin im November 1995 gekommen, aus politischen Gründen. Ich war politisch aktiv, habe große Demonstrationen organisiert. Ein Bekannter von uns gab meinem Vater die Information, dass ich gesucht werde, und so bin ich nach Deutschland gereist. Ich hatte erst gehofft, dass sich die Situation beruhigt und ich dann zurückkehren kann. Aber meine Eltern sagten mir, ich solle auf keinen Fall zurückkehren, deshalb habe ich dann ein paar Monate später Asyl beantragt. Denn im Iran war eine Freundin von mir, mit der ich zusammen gearbeitet hatte, verhaftet worden. Sie bekam die Todesstrafe, obwohl sie im sechsten Monat schwanger war.

Gegenwind:

Können Sie Ihre politischen Aktivitäten beschreiben?

Fereshteh Moradi:

Wir haben an der Uni gearbeitet, und es ging immer gegen die Regierung. Ich habe Versammlungen organisiert und dort gesprochen, außerdem Flugblätter geschrieben und diese mit verteilt. Die letzte Demonstration, die ich mit organisiert habe, fand in Asfarabad statt. Das ist eine kleinere Stadt in der Nähe von Teheran. Das Leitungswasser dort war schlecht, das lag daran, dass die Leitungen unter dem Friedhof hindurch führten und zu viele Keime im Wasser waren. Viele Menschen dort wurden krank, und Studenten von uns haben das Wasser untersucht. Das Ergebnis haben wir in Flugblättern veröffentlicht. Es gab eine große Demonstration. Auf der Demonstration wurden 16 Kinder und Jugendliche, alle zwischen 16 und 22 Jahre alt, von der Polizei und der Geheimpolizei getötet. Ungefähr 6000 Leute sind festgenommen worden, die meisten davon Schülerinnen und Schüler.

Gegenwind:

Wie ist Ihr Asylantrag hier von den Behörden bearbeitet worden?

Fereshteh Moradi:

Ich habe alles erzählt, und dann bin ich anerkannt worden, nach Paragraph 51 des Ausländergesetzes. Aber der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat dagegen geklagt, und mir wurde dann gesagt, ich müsste jetzt auf den nächsten Termin warten. Ich musste fünfeinhalb Jahre warten, erst im letzten Jahr, 2002, habe ich beim Gericht einen Termin bekommen. Ich fand die Verhandlung erst witzig. Denn wenn ich erzählt habe, dass wir in Teheran am Telefon Aktionen abgesprochen haben, dann hat der Richter nicht gefragt, welche Aktionen wir vorbereitet haben. Er fragte: "Welche Marke hatte das Telefon?" Ich war schockiert, denn ich bin aus politischen Gründen hier, und der Richter fragte weiter: "Als Sie den Anruf bekamen, waren Sie im Schlafzimmer oder im Wohnzimmer oder im Badezimmer?" Warum hat er nicht gefragt, was ich getan habe, aus welchem Grund ich hier bin? Am Schluss sagte er, in zwei Wochen kommt das Urteil. Er hat mich dann abgelehnt und geschrieben, ich müsste zurück in den Iran. Ich habe einen Nervenzusammenbruch bekommen, das war ein großer Schock für mich. Nicht alle, aber viele aus meiner Familie sind politisch aktiv, und wir haben schon viele Mitglieder der Familie verloren durch das Mullah-Regime. Ich hatte hier auf Demokratie und Gerechtigkeit gehofft. Aber der Richter meinte, wegen einer Demo bringt die iranische Regierung niemanden um, dabei ist meine Tante umgebracht worden wegen zwei Stück Papier gegen das Regime, die bei ihr gefunden wurden.

Gegenwind:

Sie haben fünfeinhalb Jahre auf den Gerichtstermin gewartet. Waren Sie in dieser Zeit weiter aktiv?

Fereshteh Moradi:

Ich war, glaube ich, bei jeder Demo gegen das iranische Regime. Mir war es egal, ob es eine Demo der Monarchisten, der Volksmudschaheddin oder meiner eigenen, der Sozialistischen Partei, war, ich habe bei jeder Gelegenheit gegen das Regime demonstriert. Ich war in Bonn, Köln, Berlin, Nürnberg und natürlich immer wieder bei Demonstrationen in Hamburg. Manchmal bin ich auch fotografiert worden, meistens nicht - egal. Man kann von hier aus wenig gegen das Regime machen, aber gerade deswegen war ich bei jeder Demo.

Gegenwind:

Können Sie Ihre eigene Organisation beschreiben?

Fereshteh Moradi:

Ich gehöre der Sozialistischen Partei des Iran an. Diese Partei kämpft für die Freiheit und Demokratie im Iran, und sie fordert, dass der Reichtum des Iran gleichmäßig und gerecht auf die Leute dort aufgeteilt wird. Wir wollen nicht nur das Regime beseitigen, wir sind auch dagegen, dass weiterhin wenige sehr reich und viele sehr arm sind. Sogar die Mullahs sind inzwischen reiche Leute geworden.

Gegenwind:

Halten Sie es für ein Problem, dass viele iranische Exilorganisationen hier ihre Veranstaltungen und Demonstrationen getrennt voneinander organisieren?

Fereshteh Moradi:

Ja, das ist leider so. Wenn die Parteien besser zusammen arbeiten würden, könnten sie mehr Einfluss haben. Schließlich wollen alle Parteien die Freiheit, alle wollen den Iran vom Mullah-Regime befreien. Und bis wir diese Freiheit erreichen, müssten wir besser zusammen arbeiten.

Gegenwind:

Das Ziel, die Regierung zu stürzen, ist ja das eine. Aber Ihre Partei will das Eigentum breit verteilen, die Monarchisten wollen den Sohn des Shah an die Macht bringen, und die Volksmudschaheddin wollen einen religiösen Staat.

Fereshteh Moradi:

Ich glaube, das eigentliche Problem ist, dass jede Partei zu sehr an die eigene Macht denkt. Sie müssen erst mal an die Freiheit des Iran denken. Wenn das Volk des Iran frei ist, kann es selbst entscheiden, welche Partei wie viel Macht bekommen soll. Die Leute im Iran müssen das selbst entscheiden, die Leute im Iran sind ja auch die, die im Knast sitzen. Wir sind hier in Europa, wir können hier unsere Meinung äußern. Aber die Parteien hier müssen an die Freiheit der Leute im Iran denken. Was passiert denn jetzt in Iran? Achtzig Prozent der Leute leben in Armut, und denen geht es nicht um die Macht einer Partei, sondern um die Freiheit.

Gegenwind:

Sie wenden sich mit Ihren Aktionen und Demonstrationen ja auch an die deutsche Öffentlichkeit. Wie versuchen Sie, die Menschen auf Ihren Proteste aufmerksam zu machen? Schaffen Sie es, dass die Passanten in der Einkaufsstraße sich für die Situation im Iran interessieren?

Fereshteh Moradi:

Normalerweise verteilen wir Flugblätter, und wir versuchen auch, Fotos auf den Flugblättern zu drucken. Wir diskutieren mit den Passanten, natürlich hauptsächlich diejenigen von uns, die besser Deutsch sprechen. Wir sprechen über die Regierung, über die Religion und darüber, dass die Menschen im Iran gläubig sind. Das nutzen die Mullahs aus, sie missbrauchen den Glauben. Aber es ist nicht leicht, die Aufmerksamkeit der Leute hier zu finden. Letzten Sonnabend, das war am 6. September, haben wir in der Einkaufsstraße in Hamburg ein bisschen Theater gemacht. Wir waren drei Leute, und wir stellten einen Studenten, einen Arbeiter und eine normale Iranerin dar, die Iranerin war ich. Wir trugen Schilder, auf denen wir Parolen aufgeschrieben hatten. Dann kam ein Mullah, und er hat uns drei hingerichtet, aufgehängt. Damit wollten wir zeigen, dass die, die sich im Iran äußern, von dem Mullah-Regime getötet werden. Da sind viele Leute stehen geblieben, alle haben geguckt. Wir hatten dann auch Fotos, auf denen die Leute sehen konnten, dass so etwas im Iran wirklich passiert.

Gegenwind:

Die USA drohen ja dem Iran mit Krieg. Würden Sie das begrüßen, wenn das Mullah-Regime auf diese Weise gestürzt wird?

Fereshteh Moradi:

Ich glaube, es gibt keinen Krieg. Die Mullahs arrangieren sich mit den USA, Chatami selbst hat die USA besucht. Das ist einfach nur eine Drohung. Aber ich habe gehört, dass es im Iran viele Leute gibt, die sich freuen, weil sie hoffen, dass das Regime so verschwindet.

Gegenwind:

Nun leben Sie ja hier in Deutschland, und die Bundesregierung tritt ja für eine engere Zusammenarbeit ein, will das Regime so zu demokratischen Reformen bewegen. Hat die Bundesregierung Recht?

Fereshteh Moradi:

Nein, die Regierung hat nicht Recht. Mit Geschäften kann man das Regime nicht ändern. Und auf unseren Demonstrationen fordern wir auch "Keine Geschäfte mit den Mullahs!"

Gegenwind:

Jetzt hat die Ausländerbehörde Sie aufgefordert, bis Ende September auszureisen, also in den Iran zurückzukehren. Was würde passieren, wenn Sie zurückkehrten?

Fereshteh Moradi:

Ich glaube, sie nehmen mich noch im Flughafen fest. Denn sie wissen, ich kann nicht ruhig bleiben. Ich habe damals im Iran und dann hier in Deutschland so viele Demos mitgemacht. Ich komme bestimmt in den Knast, nach Evin. Und wenn sie einen Menschen wie meine Tante wegen zwei Stücken Papier umbringen, dann ist doch klar, was mit mir passiert!

Interview: Reinhard Pohl

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