(Gegenwind 178, Juli 2003)

 

Ahrensbök im Nationalsozialismus

Ausgezeichnet mit dem Preis für Toleranz und Solidarität wurde auch die Gruppe 33 aus Ahrensbök. In Ahrensbök steht das einzig erhaltene KZ-Gebäude in Schleswig-Holstein. Und mit ihrer Arbeit, die darauf abzielte, aus diesem KZ-Gebäude eine Gedenkstätte zu machen, gab die Gruppe 33 auch wichtige Anstöße zur Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus. Zwei Bücher über den Nationalsozialismus in Ahrensbök sollen hier kurz vorgestellt worden.

Ahrensbök - Eine Kleinstadt im Nationalsozialismus

Auf fast 300 eng bedruckten Seiten hat Jörg Wollenberg, Professor aus Bremen, die Geschichte dieser Kleinstadt im Nationalsozialismus aufgezeichnet. Ahrensbök hatte zum Zeitpunkt der Machtergreifung ungefähr 5000 Einwohner und gehörte noch zum Freistaat Oldenburg, das Gebiet mitten in Ostholstein wurde erst durch das Großhamburg-Gesetz zu Schleswig-Holstein geschlagen. Hier waren Nationalsozialisten schon ab 1930 die beherrschende politische Partei, und in dem leerstehenden Gebäude einer Chemiefabrik (früher Flachsfabrik) wurde ein freiwilliger Arbeitsdienst eingerichtet, aus dem auch die SA-Gruppe des Ortes hervorging. 1933 wurde genau dieses Gebäude, das schon in der Hand der "Bewegung" war, vorübergehend zum Konzentrationslager. Einerseits wurden hier Sozialdemokraten, Kommunisten, Obdachlose und Kriminelle eingesperrt, so wie das vielerorts geschah, dem Kreispräsidenten diente es aber auch zur Aufbesserung der Kasse. Wohlhabendere "Schutzhäftlinge", die wegen abfälliger Bemerkungen über die Hakenkreuzfahne oder ähnlicher Vergehen in Haft kamen, konnten sich nämlich durch eine "Geldbuße", zahlbar zur freien Verwendung an den Kreispräsidenten, aus der Haft freikaufen - ein Verfahren, das sogar die vorgesetzen Nazi-Behörden auf den Plan rief und schnell unterbunden wurde. Allerdings existierte das Konzentrationslager nur einige Monate lang, dann wurde es wieder aufgelöst. Die Häftlinge wurden freigelassen oder nach Neuengamme überstellt.

Der Autor weist nach, dass alle Menschen in Ahrensbök vom Konzentrationslager und den Haftbedingungen gewusst haben müssten oder alles erfahren konnten, denn alles stand in der Zeitung. Einerseits gab es Berichte dort, aber auch Anzeigen - so die Bekanntmachung, dass offene Forderungen von Lieferanten bis zu einem bestimmten Termin anzumelden seien. Dass nach den Krieg so wenige "davon gewusst" haben wollen, muss also andere Gründe haben.

Später wurde in eben diesem Gebäude eine Realschule eingerichtet. Lange stand es dann leer, bis in den neunziger Jahren die Gruppe 33 die Forderung erhob, es zur Gedenkstätte umzuwandeln. Das stieß auf wenig Gegenliebe auf Seiten des damaligen Bürgermeisters, der lieber Investoren anlocken und das alte Haus zur Erleichterungen des Geschäfts abreißen lassen wollte. Die Initiative setzte sich schließlich durch und schaffte den unglaublichen Kraftakt, das Gebäude zu erwerben. Die Gedenkstätte ist eingerichtet, aber z.B. fehlt immer noch Geld für eine grundsätzliche Renovierung, so ist zur Zeit das Dach undicht.

Ein langes Kapitel des Buches, das Norbert Fick beisteuerte, ist den ausländischen Zivilarbeitern und den Kriegsgefangenen im Arbeitseinsatz, also den Zwangsarbeitern gewidmet, die von 1939 bis 1945 in Ahrensbök arbeiten mussten. Über 1200 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, mehr als die Hälfte weiblich, wurden in Ahrensbök eingesetzt. Die meisten waren privat, in der Landwirtschaft untergebracht und eingesetzt. Auch hier handelte es sich keineswegs um eine geheime Politik weniger Nazis, gerade im ländlichen Raum gab es keinen Hof, der nicht zumindest einen Zwangsarbeiter beschäftigt hatte. Anders als bei Zwangsarbeitern, die in Gefangenenlagern bei Industriebetrieben untergebracht waren, gab es in der Landwirtschaft weniger Misshandlungen und Tötungen. In Ahrensbök starben nachweislich 27 ZwangsarbeiterInnen, davon waren allerdings 15 Babies und Kleinkinder.

Der dritte Schwerpunkt des Buches ist dem "Todesmarsch" von KZ-Häftlingen aus dem Osten des Deutschen Reiches gewidmet. Rund tausend Häftlinge aus Auschwitz und Dora kamen in Lübeck an, vermutlich ungefähr 500 von ihnen wurden einen Monat vor Kriegsende durch Ahrensbök getrieben. Häftlinge, die zu schwach waren, wurden am Straßenrand erschossen, sechs von ihnen sind in Ahrensbök begraben. Die meisten wurden dann auf der "Cap Arcona" in der Neustädter Bucht gefangen gehalten, die Anfang Mai durch einen britischen Luftangriff versenkt wurde - von 7000 Häftlingen überlebten nur ungefähr 350. Umfangreiche Dokumentationen von Zeitzeugenberichten und Interviews machen diesen kurzen Teil der Ahrensböker Geschichte anschaulich. Dabei geht es nicht nur um den einen Tag, an dem der Todesmarsch der Auschwitz-Häftlinge in einer Scheune nahe bei Ahrensbök Station machte, sondern auch um die spätere Aufarbeitung. Ausführlich wird auf Max Schmidt eingegangen, damals 23-jähriger SS-Lagerführer von Ausch­witz-Fürstengrube. Einerseits erleichterte er Häftlingen das Leben, wollte ein "Musterlager" aufbauen, auch rettete er noch auf dem Weg von Ahrensbök nach Neustadt mehreren Häftlingen das Leben, indem er sie dem Schwedischen Roten Kreuz übergab - aber er achtete auch darauf, dass nur "Westjuden" nach Schweden fahren konnten, "Ostjuden" aber dem sicheren Tod überantwortet wurden.

Dem Anstoß durch die Gruppe 33 und dem Fleiß des Historikers Jörg Wollenberg aus Bremen, der selbst in Ahrensbök geboren wurde, ist es zu verdanken, dass die Zeit des Nationalsozialismus in Ahrensbök so gut dokumentiert ist wie wohl in keiner anderen Kleinstadt in Schleswig-Holstein.

Reinhard Pohl

Jörg Wollenberg: Ahrensbök. Eine Kleinstadt im Nationalsozialismus.
Konzentrationslager - Zwangsarbeit - Todesmarsch. Edition Temmen, Bremen 2000, 271 Seiten, 20,90 Euro.

Das zweite Buch ist ein Band mit Dokumenten zu diesen Themen:

Jörg Wollenberg: Unsere Schule war ein KZ. Dokumente zu Arbeitsdienst, Konzentrationslager und Schule in Ahrensbök 1930 - 1945. Edition Temmen, Bremen 2001, 120 Seiten, 10,90 Euro.

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