(Gegenwind 178, Juli 2003)

Zur Planung der A20 - Nordwestumfahrung Hamburg

Wer den Konflikt scheut, betreibt den Krieg

Konfliktschwäche und Aggressivität sind Schwestern. Oft kann man beobachten, dass, wer sich durch ein hohes Maß an Aggressivität hervortut, hierhinter eine Konfliktschwäche, eine Unfähigkeit, real bestehende Konflikte zu lösen, verbirgt. Wer den Konflikt scheut, betreibt den Krieg.
Konflikte, die der Lösung harren, gäbe es genug: Die wirtschaftlichen Probleme des Landes, die weiter schreitende Verschlechterung der natürlichen Umwelt, der Kollaps der Sozialsysteme, die verrottenden Schulen, die Perspektivlosigkeit von Kindern und Jugendlichen.

Der Krieg ist: Wieder einmal zur "letzten" Schlacht aufzurufen, noch einmal dem Volk das Gold für ein Goldenes Kalb aus den Schatullen zu luchsen. Das Goldene Kalb: Noch einmal eine Autobahn, als Retter des Systems, als Allheilmittel. Noch einmal, statt sich an den längst fälligen Entzug zu machen, wie ein haltloser addict die Dosis erhöhen. Wie ein Zweijähriger an ein endlosen Wachstum glauben, anstatt sich der Endlichkeit des Lebens zu stellen.

Dies, meine ich, ist das Leitmotiv einer Papierflut, die Anfang des Jahres über Schleswig-Holstein hereingebrochen ist: Die Planung der A20-Nordwestumfahrung Hamburg in Gestalt eines Linienbestimmungsverfahrens. Weil die Landesregierung sich nicht erklären will, wo denn nun die A20 wirklich verlaufen soll (dies würde Konfliktstärke erfordern), überzieht sie das ganze Land mit einem giftigfarbenen Spinnennetz von Trassenvarianten, Heraldik einer zukünftigen Zerstörung von Leben, wie sie in diesem Umfange einzigartig ist. Eine große Unsicherheit für viele, was denn nun werden soll, als ob ein Krebs das Land bedrohe, und, im Gefolge, Angst, werden verbreitet.

In einer republikanischen Gesellschaft, in der - grundsätzlich - die Bindung staatlicher Gewalt an Recht und Gesetz gelungen ist, bleibt Straßenbau eines der Felder, in denen struktureller Gewalt ungeniert Urstand feiern kann. Niemand, der bei rechten Sinnen ist, kann ernsthaft glauben, dass die Planung der A20 für Schleswig-Holstein zu Gutem führen würde. Ein simples Beispiel mag dies belegen: Während die Autobahnbefürworter die arbeitsplatzgenerierende Kraft der Autobahn beschwören, würde die Realisierung der östlichsten Variante durch Pinneberg allein dort die Vernichtung von 500 Arbeitsplätzen (durch "abgängige Betriebe"!!) bedeuten und die Vernichtung weiterer 200 1, die unter großem Propagandagetöse auch des derzeitigen Wirtschaftsministers gerade erst dorthin verlagert (nicht: neu geschaffen) werden sollen. Während also, wie immer, eines sicher ist: Der Tod, sei es nun dessen, was kreucht &fleucht, sei es nun der Rest bäuerlichen Lebens, den 50 Jahre Bauernlegen nach dem Zweiten Weltkrieg gelassen haben, seien es gewachsener wirtschaftlicher Strukturen, ist die Beförderung des Lebens durch die Autobahn eine unbewiesene These mit vielen fetten Fragezeichen.

Die Planungsunterlagen aber enthalten eine eindeutige Botschaft: Nach dem Willen der Landesherren soll die A20 gebaut werden, nicht weil sie ein Problem lösen würde und diese Problemlösung ihren Preis wert wäre, sondern um jeden Preis.

Deshalb die berühmten 56 Ordner: Weil es eben egal sein soll, wo die A20 gebaut werden soll, Hauptsache, sie wird gebaut. Noch nie hat ein Bundesland eine Autobahn gleich in drei Fassungen zur Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan 2 angemeldet. Noch nie wurde ein Linienbestimmungsverfahren mit Trassenbündeln in gleich drei großräumig voneinander getrennten Korridoren angesetzt. Grundstruktur des Planungsrechts in Deutschland ist nämlich gerade nicht die Frage: "Welches Projekt?", sondern die Frage: "Darf dies eine Projekt sein?". Die Frage, die der deutsche Planer stellt, muss so gestellt werden, dass die Antwort nur ein "Ja" oder "Nein" sein kann. Wer, wie die Landesregierung, die Frage anders stellt, macht klar, dass sie das "Nein" unter keinen Umständen will.

Und so werden weitere Nägel in den Sarg geschlagen: Die Abgesandten der Kieler Duodezfürstin dürfen kraft eigener Verfügung jeden Acker und jeden Garten im Umkreis des Spinnennetzes der Trassenvarianten 3 betreten. Nichts kennzeichnet die Überschreitung der Grenzlinie durch ein herrschendes System mehr als das ständige Drängen der Herrschenden, ungebeten in den privaten Angelegenheiten der Regierten herumzustochern.

Die derart mit Aggressivität gepaarte Konfliktscheue der Landesregierung ist zugleich ein Angriff auf das Rechtssystem. Die Planung der A20 in allen anderen Korridoren außer dem Glückstadtkorridor dürfte gegen das bisschen Gesetzeslage 4, das es im Fernstraßenbau in Deutschland gibt, verstoßen. Das im Gegenzug immer wiederholte Mantra der Landesregierung, man dürfe einer späteren Abwägung nicht vorgreifen, ist falsch, oder, wie die Juristen sagen: abwegig. Aus juristischen Gründen wäre - derzeit - die Festlegung auf den Glückstadt-Korridor nicht nur zulässig, sondern sogar geboten. Dies bedeutet: Der information overkill der 56 Ordner war nicht nur eine Zumutung, sondern unzulässig 5. Ein Drittel der Unterlagen hätte es hiernach getan. Ein solches Drittel durchzusehen wäre ja vielleicht für den ein oder anderen Betroffenen oder Ehrenamtler in den Verbänden gerade noch machbar gewesen.

Wobei die 56 Ordner nicht einmal vollständig waren. Die Konfliktscheue der Landesregierung zeigt sich auch darin, dass in all dem Kartenwerk eine Karte fehlte: Der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 6. Es ist diese Karte, aus der man hätte entnehmen können, dass die Korridore II und III mit der Gesetzeslage nicht vereinbar sind 7.

Die Durchführung des Linienbestimmungsverfahrens für die A20/Nordwestumfahrung Hamburg ist also schon auf den ersten Blick so bürgerfreundlich nicht, wie es die Landesregierung gern glauben machen würde. Was als Offenhaltung einer Entscheidung unter Bürgerbeteiligung ausgegeben wird, ist im Gegenteil Element einer Politik des Durchsetzens um jeden Preis.

Da passt es, dass - nur nebenbei - das Linienbestimmungsverfahren in einem nie dagewesenen Ausmaße bürgerschaftliches ehrenamtliches Engagement bindet, dessen Fehlen dann anderweitig gern beklagt wird. Die A20-Planung blockiert in der Tat auf jeder nur möglichen Ebene eine gute Entwicklung des Landes. Manches gute Projekt, sei es sozialer, kultureller oder auch wirtschaftlicher Art, wird wegen der A20 liegen bleiben.

Den (meisten) Betroffenen bleibt nur ein Gefühl von Hilflosigkeit angesichts der scheinbaren Überfülle von Argumenten für die A20. Die Gegenargumente zu finden, ist für jeden einzelnen Punkt demgegenüber die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Natürlich könnte man nun eine koordinierte Suche veranstalten. Aber eine strategische Anti-A20-Leistelle in Schleswig-Holstein gibt es nicht. Erfolgreich lässt die Landesregierung die Bürgerinitiativen um Trassenvarianten streiten. Die Planung in drei Korridoren bedeutet auch einen Anwendungsfall des "Teile und herrsche": Die Kräfte der A20-Gegner werden auch dadurch aufgebraucht, dass die Anlieger verschiedener Trassen sich untereinander auseinandersetzen.

Dabei beginnt das Ganze vor den Augen der Öffentlichkeit mit einem schmutzigen Trick: Der Festlegung der Stellungnahmefrist im Linienbestimmungsverfahren. "Bürgerfreundlich" von der Landesregierung auf "Auslegungszeitraum plus vier Wochen" gesetzt, widerspricht dies der bundesrechtlichen Regel, dass nur "Auslegungszeitraum plus zwei Wochen 8" zulässig sind. Dies dürfte - zumindest: kann - zur Folge haben, dass solche Stellungnahmen, die zwar vor Ablauf der Vierwochenfrist, aber nach Ablauf der Zweiwochenfrist bei den zuständigen Behörden eingegangen sind, später, z.B. auch in nachfolgenden Planfeststellungsverfahren, nicht mehr gewertet werden: Eine die Planung auf Jahre hinaus erheblich belastende rechtliche Unsicherheit. Es ist interessant zu beobachten, dass die Landesregierung auf Nachfrage einer Bürgerinitiative 9, man möge die Stellungnahmefrist verlängern, erklärte, gesetzliche Fristen seien nicht verlängerbar, während die Bitte des Landesnaturschutzverbandes, man möge die Auslegung wegen der Unsicherheit über die Stellungnahmefristen wiederholen, abschlägig beschieden wurde 10 mit der Begründung, die Verlängerung gesetzlicher Fristen sei kein Problem. Was denn nun außer einem weiteren Konflikt, der ungelöst bleibt?

Dabei hätte die Landesregierung ohne weiteres ein fristenoffenes Verfahren durchführen können: Nämlich ein Raumordnungsverfahren nach Landesrecht. Ein solches wäre auch aus inhaltlichen Gründen angebracht gewesen: Die Linienbestimmungsunterlagen 11 jedenfalls zeigen ihre Schwächen gerade da, wo es um raumordnerische Belange geht. Aber solche Verfahren werden in Schleswig-Holstein anscheinend nur dann durchgeführt, wenn es um Projekte geht, die die Landesregierung selber nicht will 12.

Auch sonst ist abzusehen, dass die Linienbestimmung die bedeutsamen Konflikte der Planung nicht lösen wird. Die Planungsunterlagen geben nicht mehr als Hinweise auf den vorhandenen Bestand und dessen Störungen. Wie die Störungen bewältigt werden sollen (z.B. Lärmschutz in den Städten, Naturschutzausgleich auf dem Land [Eingriff in die bäuerlichen Strukturen!]),wird nicht einmal angedacht.

Es verbleibt bei leeren Versprechungen, besser: Andeutungen von Versprechungen. Zentrales Beispiel hierfür ist die Elbquerung. Die Planung gesteht selber zu, dass sie mit Europäischem Naturschutzrecht - wenn überhaupt - nur dann vereinbar sein kann, wenn die Tunnel unter der Elbe (wesentlich) länger sein werden als bautechnisch erforderlich. Das Gutachtenbündel der Linienbestimmung 13 stellt in schönster Regelmäßigkeit fest, "erhebliche Beeinträchtigungen" (im Sinne des Europäischen Naturschutzrechts) seien nicht zu erwarten. Die Linienbestimmungsunterlagen lassen die Frage der Tunnellänge andererseits aber ausdrücklich offen: Aus Gründen einer offen zu haltenden späteren Abwägungsentscheidung, versteht sich.

Wie eine solche Abwägung am Schluss ausfallen wird, weiß man aber, denn eins ist sicher: Der planenden Sozialdemokratie darf man nicht trauen. Man denke an die A20-Lübeck, die als "Ökoautobahn" gepriesen und als solche politisch durchgesetzt wurde - mit bevölkerungsschonendem Tunnel in Moisling und einem umweltschonenden Tunnel unter der Wakenitz. Was davon geblieben ist? Schnee von gestern, und wer dies nicht glaubt, möge die Baustelle an der Wakenitz besichtigen.

Für die Planer ist alles offen und anything goes. Nur eine Institution könnte, wenn der öffentliche Druck zu schwach bleibt und/oder ignoriert wird, die überheizte Straßenbaubürokratie in Schleswig-Holstein bremsen: Der Bundestag als Gesetzgeber. Hierbei helfen irgendwelche Sternchen, die ökologische Vorbehalte ausdrücken sollen, wenig, denn sie haben mit dem relevanten Planungsgesetz 14 nichts zu tun. Die Frage ist nur: Nimmt der Bundestag die ganze A20 in den - als Gesetz qualifizierten - Bedarfsplan und wenn ja, in welchem Korridor 15?

Für die schleswig-holsteinischen Abgeordneten im Bundestag wird dies die Gretchenfrage der A20-Planung sein, wenn die Bundesregierung denn mit dem Vorschlag kommt, die A20/Nordwestumfahrung Hamburg auf ganzer Strecke zu bauen, nah bei Hamburg. Was wohl stärker sein wird: Abgeordnetengewissen oder Fraktionszwang?

Wilhelm Mecklenburg, Pinneberg



Fußnoten:

1      Für Insider: Bei den 200 Arbeitsplätzen geht es um die Planung für ein Fleischwerk der EDEKA in Pinneberg.

2      Ich verzichte darauf, zu erklären, was genau "Bundesverkehrswegeplan", "Bedarfsplan", "Linienbestimmungsverfahren" und dergleichen sind. Eifrige Gegenwind-LeserInnen werden dies wissen, vgl. z.B. Mecklenburg: A20 - Illegale Planungen?, Gegenwind 148, S. 35, Januar 2001.

3      Bekanntmachung: Vermessungstechnische Vorarbeiten und dergleichen, 12.2.2003, in den Gemeinden Kollmar u.a., Veröffentlichung in der Tagespresse, wobei dies aber wohl nur den Korridor I betrifft.

4      Im Einzelnen: Mecklenburg: A20 - Illegale Planungen? (Fußnote 2)

5      Nicht, dass wir uns hier missverstehen: Ich favorisiere nicht irgendeine Bauvariante der A20, sondern nur deren Nullvariante.

6      Anlage zum Fernstraßenausbaugesetz, siehe die in Fußnote 2 genannte Veröffentlichung

7       Natürlich können die Juristen hier über manches streiten. Man könnte diesen Punkt aber auch so formulieren, dass diese Karte für die Öffentlichkeit zumindest die Frage aufgeworfen hätte, ob das, was die Planer den Betroffenen zumuten, überhaupt zulässig ist.

8      Ich erspare mir die "Paragraphenkette", die zur Begründung dieser Behauptung erforderlich wäre. Die Rechtsprechung jedenfalls hält die Verlängerung gesetzlicher Fristen für unzulässig; etwaige Irrtümer der Behörden kommen Betroffenen nicht zu Gute.

9      Wirtschaftsminister Schleswig-Holstein an die BI "Keine A20 um Elmshorn", 7.2.2003

10      Landesstraßenbauamt Schleswig-Holstein an den Landesnaturschutzverband, 7.2.2003

11      Die Linienbestimmung bleibt, wie schon der Name sagt, an der Linie der zukünftigen Trasse. Raumordnungsverfahren befassen sich mit den Problemen einer Planung in der Fläche und haben vor allem von vornherein einen projektübergreifenden Ansatz.

12      Beispiel: Planung des Transrapid

13      Hinweis für Leser der Linienbestimmungsunterlagen: Es handelt sich um die FFH- und Vogelschutzgutachten in den Linienbestimmungsunterlagen

14      Dem Fernstraßenausbaugesetz, vgl. Fußnote 2

15      Was es mit den ökologischen Sternchen auf sich hat, weiß man jetzt: Schleswig-Holstein scheint durchgesetzt zu haben, dass die A20 in voller Länge in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wird (Tagespresse vom 11.6.2003).

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