(Gegenwind 177, Juni 2003

Lübeck

Die alternative bleibt...

...wo sie ist!

Mehr als 2500 BesucherInnen kamen am 1. Mai 2003 in die alternative, um das 25-jährige Bestehen des selbstverwalteten Kommunikationszentrums in Lübeck zu feiern. 25 Jahre unkommerzielle Kultur von unten, 25 Jahre Raum für linke, antifaschistische Politik - und seit immerhin fast 19 Jahren ein alternatives Bauwagen-Wohnprojekt.

Nach dem Willen der CDU, die seit März die absolute Mehrheit in der Lübecker Bürgerschaft hat, soll damit jetzt Schluss sein. Mit ihren Stimmen beschloss das Stadtparlament, den am 28. Februar 2004 auslaufenden Mietvertrag nicht zu verlängern. Doch die neuen Herren im Rathaus haben den Widerstand gegen ihre Vertreibungspläne unterschätzt. Unter dem Motto "Walli bleibt" formiert sich in Lübeck eine breite Bewegung, die am 10. Mai bereits über 1.000 Menschen zu einer bunten, lauten und entschlossenen Demonstration mobilisierte.

Die alternative bleibt ... wo sie ist!

Für die Bürgerschaftssitzung am 24. April 2003 hatte der neue Stadtpräsident Peter Sünnenwold (CDU) besondere Sicherheitsmaßnahmen angeordnet. Alle BesucherInnen der öffentlichen Sitzung mussten ihre Personalien angeben und sich in die Taschen schauen lassen, ob sie etwa Transparente oder ähnlich gefährliche Gegenstände dabei hätten. Die CDU hatte Angst vor den UnterstützerInnen der Walli (so wird die alternative wegen Ihrer Lage auf der Wallhalbinsel häufig genannt), denn in dieser Sitzung sollte beschlossen werden, den Mietvertrag nicht zu verlängern.

Proteste verhindern konnte dieses rigorose Vorgehen dennoch nicht. Große Buchstaben waren auf T-Shirts gemalt worden, sie bildeten deutlich lesbar den Schriftzug "Walli bleibt", als die Sitzungsgäste ihre Jacken ablegten und sich von ihren Stühlen erhoben. Parolen wurden gerufen und den Rednern von SPD und Grünen, die eine langjährige Mietvertragsverlängerung für die alternative forderten, kräftigen Beifall gespendet.

Selbst die FDP konnte die Eile der CDU beim Vorgehen gegen das Kommunikationszentrum nicht nachvollziehen und forderte, den Mietvertrag zumindest um jeweils 18 Monate zu verlängern, bis tatsächlich ein Investor für das Gelände gefunden sei. Doch die CDU nutzte ungerührt ihre neu gewonnene absolute Mehrheit und so wurde ihr Antrag ohne Änderungen beschlossen.

Der Beschluss der Bürgerschaft

Wörtlich heißt es in dem angenommenen CDU-Antrag: "Der Bürgermeister wird beauftragt, den Mietvertrag mit der Einrichtung »Alternative«, Willy-Brandt-Allee, über das Jahr 2003 hinaus nicht zu verlängern, gleichzeitig wird der Bürgermeister beauftragt, der Bürgerschaft einen Vorschlag für einen geeigneten Ersatzstandort der »Alternative« bis zur Juni-Sitzung vorzulegen."

Weiter heißt es: "(1) Das Grundstück wird einem möglichen Partner zum Bau der Messehalle und Übernahme der Musik- und Kongresshalle als Ergänzungsgrundstück angeboten. (2) Kommt eine Einigung mit den Investoren nicht zustande, findet eine öffentliche Ausschreibung statt. (3) Das Grundstück sollte im Rahmen eines Gesamtkonzeptes mit der Nachbarschaft der Musik- und Kongresshalle, der zukünftigen Messehalle und den anliegenden Hotels einer kulturellen oder anders den Kongress- und Tourismusstandort Lübeck ergänzenden Nutzung eines privaten Investors zugeführt werden."

Zu diesem Beschluss erklärte der Trägerverein der alternative in einer Pressemitteilung: "Der in der heutigen Bürgerschaftssitzung angenommene Antrag gegen eine Mietvertragsverlängerung der alternative zeigt deutlich, dass die CDU selbst nicht an den Bedarf des Grundstückes für die Messehalle glaubt. Der CDU fehlt jedes Konzept, deshalb orientiert sie ersatzweise auf eine öffentliche Ausschreibung des Geländes. Damit gibt sie selbst zu, dass kein Handlungsbedarf besteht, sondern allein ideologische Feindschaft hinter dem Plan steht, die alternative zu vertreiben.

Eine besondere Stilblüte ist es, wenn die CDU in ihrem Antrag eine »kulturelle Nutzung« des Geländes fordert, obwohl dort seit fast zwei Jahrzehnten ein lebendiges kulturelles Zentrum existiert.

Mit dem Auftrag an den Bürgermeister, ein Ersatzgelände zu suchen, versucht die CDU, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Sie weiß genau, dass es ein geeignetes Ersatzgelände, dass den Fortbestand der alternative langfristig sichern könnte, nicht gibt. Jetzt müssen wir den öffentlichen und politischen Druck aufbauen, um die alternative und die kulturelle Vielfalt in Lübeck zu retten."

Die alternative bleibt ... wo sie ist!

Jetzt geht's los: Die Kampagne für den Erhalt der Walli

Niemand von den NutzerInnen oder BewohnerInnen der alternative denkt daran, den Beschluss der CDU einfach hinzunehmen und sich einer Vertreibung auf ein mögliches Ersatzgelände irgendwo am Stadtrand abzufinden. Im Gegenteil: Mit viel Kraft und Elan wurde die Kampagne für den Erhalt der Walli an ihrem jetzigen Standort gestartet. Die optimistische und entschlossene Stimmung wird von der deutlich spürbaren breiten Sympathie in der Lübecker Bevölkerung - nicht nur unter den Jugendlichen - unterstützt.

Mitte April wurde eine Unterschriftensammlung begonnen, bei der bereits in wenigen Wochen über 5000 Menschen die Forderung nach einer Mietvertragsverlängerung unterstützten. Die Listen liegen in zahlreichen Lübecker Geschäften, Kneipen und Kinos aus. Die Sammlung soll während der gesamten Auseinandersetzung fortgesetzt werden.

Parallel werden auch Mitglieder für den Trägerverein geworben. Innerhalb kurzer Zeit konnte ihre Zahl auf über 400 gesteigert werden. Mittelfristiges Ziel ist es, die Mitgliederzahl der Lübecker CDU (derzeit etwa 1200) zu übertreffen und dann mit Fug und Recht sagen zu können: "Wir sind mehr!"

Formulare für die Unterschriftensammlung und den Vereinsbeitritt gibt es natürlich auf der Walli, aber auch zum Download im Internet auf der neu geschaffenen Seite www.walli-bleibt.de. Dort sind auch alle wichtigen und aktuellen Informationen für die Kampagne erhältlich - u.a. ein kompletter Pressespiegel, zahlreiche Fotos, Berichte usw.

Über 1000 auf der ersten großen Walli-Demo

Am 10. Mai fand die erste große Demonstration für die Walli in Lübeck statt. Im Vorfeld war mit 300, maximal 500 Leuten gerechnet worden. Zählungen ergaben schließlich, dass deutlich mehr als 1000 Menschen gekommen waren, um ihre Solidarität mit der Walli zu zeigen. Bei strahlendem Sonnenschein entwickelte sich eine Superstimmung: die Leute tanzten, aber sie zeigten gleichzeitig ihre Entschlossenheit, für die alternative zu kämpfen.

In dem bunten Zug wurden ein Bauwagen und ein Wohn-LKW mitgeführt. Vom Lautsprecherwagen schallten Reggae-Rhythmen, es gab TrommlerInnen und JongleurInnen, viele kreative Transparente und Schilder, alte Leute, junge Leute, Kinder, usw. Immer wieder wurden lautstark Parolen gerufen: "Walli bleibt!", "Walli muss bleiben - CDU vertreiben", "Regierungen kommen, Regierungen gehen - Walli bleibt!", "Friede, Freude, Heiterkeit, Walli für die Ewigkeit!" waren die häufigsten Slogans.

Die Demonstration wurde von den PassantInnen in der Innenstadt sehr positiv aufgenommen. Die CDU hat die Stimmung in Lübeck völlig falsch eingeschätzt: Die Walli genießt ganz offensichtlich breite Sympathie in der Öffentlichkeit.

Auf dem Schrangen fand die Hauptkundgebung statt. Sie begann mit einer Solidaritätserklärung des Theater Combinale. Dann trat der unbestrittene Star der Kundgebung auf, der 14-jährige Clioo, der durch seine HipHop-Performance mit aktuellen politischen Texten das Publikum begeisterte. Er verwandelte die Parole "Walli muss bleiben" so gekonnt in einen musikalischen Refrain, dass der gesamte Platz mitsang.

"Die Rechnung der CDU wird nicht aufgehen! Die alternative bleibt und zwar wo sie ist!", beendete Joe Hartung unter dem Jubel der mehr als 1000 Walli-UnterstützerInnen seinen Redebeitrag auf dem Schrangen. Er hatte gemeinsam mit Thorsten Stoll (2. Vorsitzender des alternative e.V.) die Hauptrede bei der Kundgebung gehalten.

Danach sprach Manfred Bannow von der Elternvertretung der IGS Schlutup. Er schilderte die Angriffe der CDU gegen die Gesamtschulen und forderte die gemeinsame Gegenwehr aller Betroffenen gegen die CDU-Politik.

Es folgten einige Worte einer ehemaligen Walli-Bewohnerin, der 9-jährigen Akoshua. "Auch Kinder demonstrieren für die Walli. (...) Ich will, dass die Walli bleibt!", sagte sie und erhielt lautstarken Beifall. Den Abschluss bildete ein Redebeitrag einer autonomen Gruppe aus Hamburg. Danach setzte sich die Demonstration wieder in Bewegung, zurück zur alternative, wo die Demonstration in einem spontanes Mini-Open-Air-Festival ausklang.

MuK muß weg - die Walli braucht mehr Parkplätze

Wie geht es weiter?

Die nächste Kundgebung hat anlässlich des CDU-Parteitages am 23. Mai stattgefunden (während dieser Gegenwind bereits fertig produziert ist, aktuelle Berichterstattung unter www.walli-bleibt.de). Die alternative bemüht sich darum, mit allen anderen Gruppen und sozialen Projekten, die von der CDU-Politik ebenso frontal angegriffen werden, ein festes Bündnis zu schließen. Dies betrifft die Frauenverbände ebenso wie die BewohnerInnen der Innenstadt und die MitarbeiterInnen und NutzerInnen städtischer Jugend- und Kultureinrichtungen. Gegenwärtig denkt die CDU noch, dass sie mit dem Gewinn der absoluten Mehrheit und die Macht gewonnen hätte, Lübeck nach ihrem Gusto umzugestalten. Tatsächlich hat die CDU angesichts einer Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent gerade einmal ein Viertel der wahlberechtigten LübeckerInnen hinter sich. Und auch von diesen wollten viele mit ihrer CDU-Stimme ihren Protest gegen die Schröder-Regierung ausdrücken, nicht etwa einen Freibrief für den gegenwärtigen sozial- und kulturpolitischen Amoklauf der CDU ausstellen. Die realen politischen Kräfteverhältnisse müssen also - da sie sich nicht im Stadtparlament widerspiegeln - auf der Straße zum Ausdruck gebracht werden

. Die breite öffentliche Unterstützung ist der stärkste Trumpf, den die alternative gegenwärtig in ihren Händen hält. Diese Sympathie darf nicht leichtfertig durch unbedachtes Vorgehen verspielt werden. Auf einen solchen Fehler, der eine Diffamierung der Walli als Zentrum von Gewalt und Randale erlauben würde, wartet die CDU nur.

Gleichzeitig geht es aber darum, eine Situation zu schaffen, in der die Schließungs- und Vertreibungspläne der CDU politisch nicht durchsetzbar sind. Dazu wird auch eine sich steigernde Radikalität in den Aktionen gehören müssen, wenn die CDU nicht von sich aus einlenkt.

Das stellt hohe Anforderungen an die politische Phantasie der Walli-UnterstützerInnen. Aber gegenwärtig besteht kein Zweifel: Die alternative wird - mit der Unterstützung und Solidarität aller ihrer FreundInnen - diese Herausforderung meistern.

Christoph Kleine

www.walli-bleibt.de
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