(Gegenwind 175, April 2003)

Zur Neukonzeption der Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht

"Mit dem, was eine Gesellschaft in einem Krieg für geboten, erlaubt und verboten erklärt, definiert sie sich selbst"

Im Januar 1999 sorgte die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944 im Kieler Landeshaus für großes Aufsehen. Über ein halbes Jahr lang fanden sich Beiträge dazu auch im Gegenwind. Ende des Jahres 1999 wurde die Ausstellung zurückgezogen. Sie wurde überarbeitet und wird jetzt unter neuem Titel wieder auf Tournee geschickt. Die Bremer Zeitschrift Kassiber begleitete seinerzeit die Ausstellung in Bremen intensiv, und dort hat man sich die neue Ausstellung bereits angesehen.

Historische Kontextualisierung

Der mittlerweile erschienene Ausstellungskatalog mit seinen gut siebenhundert Seiten bestätigt eindrucksvoll den gegenüber der alten Wehrmachtsausstellung (200 Seiten) wesentlich erweiterten Umfang. Eingangs dokumentiert die Ausstellung unter der Überschrift Krieg und Recht die bis Ende der 1920er Jahre entwickelten Völkerrechtsstandards, wie die Haager Landkriegsordnung von I907 und das Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 sowie der nach dem Ersten Weltkrieg im Rahmen der Pariser Friedenskonferenz 1919 erarbeitete Katalog von Kriegsverbrechen samt den entsprechenden Strafbestimmungen des Versailler Vertrages. Hinsichtlich der Anerkennung völkerrechtlicher Abkommen durch das Deutsche Reich verweist die Ausstellung auf Art. 4 der Weimarer Reichsverfassmg (1919), das Reichsgesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen (1919), und schließlich zeigt sie, dass nach dem Militärstrafgesetzbuch von 1942 die Gehorsamspflicht des Soldaten ihre Grenze in der Befolgung strafrechtlich relevanter Befehle hatte.

Mit dieser ersten Station Krieg und Recht schafft die Ausstellung die Folie, vor deren Hintergrund dann die Kriegsführung gegen die Sowjetunion und auf dem Balkan als "Verbrechen der Wehrmacht" ausgebreitet wird. Während die alte Wehrmachtsausstellung die zugrunde gelegten (völker-)rechtlichen Maßstäbe in weitgehend moralisch argumentierenden Eröffnungsreden, Begleitprogrammen oder Führungen vermittelte, wird nun mit der expliziten und sachlichen Offenlegung dieses grundlegenden konzeptionellen Ansatzes ein deutlicher Schritt in Richtung Verwissenschaftlichung der Debatte geteistet. Das gilt umso mehr, als auf idealistische Interpretation von Kriegs- und Völkerrecht im Sinne "zivilisatorischer Standards gegen entgrenzte Gewalt" u.ä. wie von dem Hamburger Institut für Sozialforschung gerne herbeifabuliert, weitgehend zugunsten der Dokumentation von Quellenauszügen verzichtet wird.

Der Logik von Völkerrecht und Kriegsverbrechen folgend, befasst sich die anschließende Station der Ausstellung unter dem Titel Kein Krieg im herkömmlichen Sinne vor allem mit den - die zentralen Bestandteile des damals geltenden Kriegsvölkerrechts außer Kraft setzenden - wesentlichen Befehlen und Weisungen, wie dem "Kriegsgerichtsbarkeitserlass", dem "Kommissarbefehl" sowie Dokumenten zur "Erfassung und Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen".

Dem konzeptionellen Ansatz von Recht und Verbrechen untergeordnet bleiben leider auch die Unterkapitel Kriegsplanungen und Leben aus dem Lande. Zwar werden im Gegensatz zur alten Wehrmachtsausstellung, die zu den Hintergründen und Kriegszielen nicht mehr zu sagen wusste, als dass es sich um einen "Weltanschauungskrieg gegen die SU" handele, nun sowohl einige Quellen zu den ideologischen als auch zu den wirtschafts- und bevölkerungspolitischen Zielsetzungen des Krieges gegen die Sowjetunion dokumentiert. Im Rahmen der Gesamtausstellung bleibt dieser Blick auf Hintergründe und Zielsetzungen des Vernichtungskrieges gegen die SU jedoch eine Randnotiz. Weder werden die ideologischen Aspekte, wie beispielsweise die gerade in der Zielsetzung "Vernichtung des jüdischen Bolschewismus" zum Ausdruck kommende Verschränkung von Antisemitismus und Antikommunismus, näher thematisiert, noch erfährt der Besucher etwas über Konzeptionen wie "Lebensraum im Osten", "Kolonie im Bereich der eigenen Waffen", "europäischer Großwirtschaftsraum" oder "Generalplan Ost".

Detaillierte Dokumentation der Wehrmachts-Kriegsverbrechen

Nach diesen einleitenden Kapiteln befasst sich der zentrale Teil der Ausstellung ausführlich und detailliert mit den Dimensionen des Vernichtungskrieges. Dokumentiert wird die Beteiligung der Wehrmacht am Völkermord der sowjetischen Juden und Jüdinnen beispielsweise in Lemberg/Ostgazilien, in Kiew/Ukraine oder in Simferopol auf der Krim. Weitere Themen sind das kalkulierte Massensterben der unter Hoheit der Wehrmacht "verwahrten" sowjetischen Kriegsgefangenen beispielsweise im Stammlager (Stalag) 352 in Misk/Weißrussland, die Aussonderung und Ermordung der politischen Kommissare der Roten Armee beispielsweise im Durchgangslager (Dulag) 203 Kochanowo/Weißrussland sowie medizinische Versuche an sowjetischen Kriegsgefangenen beispielsweise durch den Stabsarzt Heinrich Berning im Reserve-Lazarett V in Hamburg-Wandsbek. Mit der Neukonzeption wird nun auch die gezielte Hungerpolitik gegenüber der sowjetischen Zivilbevölkerung in einem eigenen Kapitel thematisiert.

Ein weiteres Kapitel, das noch am ehesten an die alte Wehrmachtsausstellung erinnert, widmet sich den Kriegsverbrechen der Wehrmacht im Rahmen des PartisanInnenkrieges. Es dokumenriert die Entgrenzung des Partisanenbegriffs zur Legitimation deutscher Terrorpolitik gegen Juden und Jüdinnen, versprengte Rotarmisten und sowjetische Zivilbevölkerung. Ergänzt wird die Dokumentation des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion mit der Darstellung von - das geltende Kriegs- und Völkerrecht sprengenden - Repressalien gegen die Zivilbevölkerung und Geiselerschießungen im besetzten Serbien und Griechenland.

Ein wichtiges neues Kapitel ist der Abschnitt Handlungsspielräume, in dem anhand ausgewählter individueller Geschichten die Bandbreite möglicher Verhaltensoptionen vom vorauseilenden Gehorsam militanter Antisemiten und Antikommunisten über die Verschleppung von Befehlen bis zur Ausnutzung von Position und Funktion zur Rettung von Menschenleben und schließlich zur Desertation ausgeleuchtet wird. Das ebenfalls neue Kapitel Feldpostbriefe dokumentiert noch einmal eindringlich, dass sich das Verhältnis des überwiegenden Teils der Soldaten zum Krieg gegen die SU keineswegs auf das von Befehl, Gehorsam und Pflichterfüllung reduzieren lässt, sondern dass sie - in postmoderner Wischiwaschi-Terminologie - "mit den Wirklichkeitsdeutungen des Nationalsozialismus in hohem Maße übereinstimmten".

Kritikwürdig: Der Umgang mit der DDR...

Bevor die Ausstellung in einem abschließenden Kapitel die Kontroversen und Debatten rund um die alte Wehrmachtsausstellung von 1995 bis zu ihrer Schließung 1999 dokumentiert, widmet sie sich der Nachkriegszeit. Das Kapitel Nachkriegszeit dokumentiert u.a. die die Wehrmachtsgeneralität betreffenden Auszüge der Anklageschrift des IMT (International Military Tribunal) sowie die Ablehnung des IMT gegen das Minderheitenvotum des sowjetischen Richters, Wehrmacht und OKW zu einer verbrecherischen Organisation zu erklären. Desweiteren werden die Nürnberger Nachfolgeprozesse der USA sowie die sowjetischen Prozesse angesprochen. Das zentrale Thema dieses Kapitels ist jedoch die Legende von der "sauberen Wehrmacht" als "kollektives Deutungsmuster". Mit einem Blick auf die alten Eliten beim Aufbau der BRD, auf die Amnestie für alle diejenigen wegen NS-Verbrechen Verurteilten, deren Strafmaß unter einem Jahr lag, sowie auf den Kalten Krieg und die Wiederbewaffnung werden einige Hintergründe vorgestellt, weswegen die von der Wehrmachtsgeneralität bereits mit der Kapitulation in die Welt gesetzte Legende nicht nur inländische Interessen bediente - wie u.a. die Ereignisse um den Mannstein-Prozess zeigen.

Eher ärgerlich ist der Umgang der Wehrmachtsaustellung mit der DDR im Kapitel Nachkriegszeit. Zwar ist es richtig, auch hier mit der antifaschistischen Legende aufzuräumen und die Integration ehemaliger Wehrmachtsangehöriger und NSDAP-Mitglieder in der DDR anzusprechen. Aus einem sicherlich zweifelhaften staatsoffiziellen Antifaschismus und der damit verbundenen Agitation jedoch ein Bild zu konstruieren, das nahelegt, dass die DDR hinsichtlich eines kritischen Verhältnisses zum Nationalsozialismus noch hinter die BRD zurückgefallen sei, ist schon ein mehr als ein fragwürdiges Unterfangen. Auffällig ist hier die Darstellung der Ereignisse rund um den Rücktritt des ehemaligen Bundesvertriebenenministers Theodor Oberländer, die dem Ausstellungsbesucher implizit vermittelt, Oberländer sei einer ungerechtfertigten DDR-"Kampagne, [...] den Kalten Krieg anzuheizen" zum Opfer gefallen.

Ebenso ärgerlich ist, dass im Kapitel Nachkriegszeit unter dem Stichwort "Militärgeschichtsschreibung" lediglich die Forschungen kritischer BRD-Historiker zur Rolle der Wehrmacht und zum Zweiten Weltkrieg gewürdigt werden, ohne auch nur ein Wort über die durchaus wichtigen Ergebnisse der DDR-Historiographie beispielsweise eines Dietrich Eichholz zu erwähnen. Wer allerdings die Entwicklungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung verfolgt hat, den wird der sich hier andeutende Blickwinkel gegenüber der DDR kaum verwundern, frönt man doch von Seiten des Hamburger lnstituts seit Anfang der neunziger Jahre fröhlich einer eigentümlichen Verschränkung von Totalitarismustheorie und Modernisierungsparadigma.

...und mit neofaschistischen Angriffen

Die Wehrmachtsausstellung entlässt ihre Besucher mit einem Blick auf die eigene Geschichte. Unter dem Titel Konfrontation: München wird die massive Hetzkampagne von Konservativen und Neofaschisten in München Anfang 1997 - "moralischer Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk" urteilte damals der Bayernkurier - sowie die antifaschistische Mobilisierung eines breiten Linksbündnisses anhand von Zeitungsausschnitten, Flugblättem und Demofotos vermittelt und dem Kapitel Deeskalation: Bremen gegenübergestellt. Vor dem Hintergrund Münchener Verhältnisse ist die Ausstellung denn auch voll des Lobes für Scherf, den Deal mit der CDU und für das Verbot der NPD-Demo.

In dem Stil "Konfrontation versus Deeskalation" verfährt die Ausstellung auch mit neofaschistischen Angriffen. So werden unter der Überschrift Gewalt und Dialog diskutierenden Schulklassen nicht nur neofaschistische Flugblätter und Plakate, sondern auch die Demo in Dresden mit über tausend Faschisten 1998, der Sprühanschlag in Erfurt 1996 und der Sprengstoffanschlag in Saarbrücken 1999 gegenübergestellt, nicht ohne darauf zu verweisen, "dass auch auf der Gegenseite [...] die Auseinandersetzung mit Gewalt geführt [wurde]. So verübten autonome Gruppen im Mai 1999 einen Anschlag auf das Haus des Ausstellungskritikers Rüdiger Proske". Wobei an dieser Stelle allerdings ernsthaft zu fragen wäre, ob man sich eher über die entpolitisierende und begriffslose Darstellung der Ausstellung oder über Panneaktionen einiger Kindergarten-AntifaschistInnen ärgern soll.

Das Kapitel Kontroversen über eine Ausstellung thematisiert letztendlich die Debatten über schlampige Recherche und falsch zugeordnete Fotos, die folgende Schließung und die Ergebnisse der Historikerlnnenkommission zur Überprüfung der Ausstellung.

Aufklärung statt Betroffenheitspädagogik

Vergleicht man die überarbeitete Ausstellung mit der alten, so hat die Ausstellung mit der Neukonzeption gerade in ihrem zentraten Abschnitt über die Dimensionen des Vernichtungskriegs zweifellos deutlich gewonnen. Sie hat von ihren in Historikerkreisen längst unumstrittenen, zentralen inhaltlichen Aussagen zum Vemichtungskrieg der Wehrmacht "im Osten" nichts zurückgenommen, sondern diese durch die Dokumentation einer Fülle weiteren Materials argumentativ erweitert. Mit der einleitenden Dokumentation der in der Zwischenkriegszeit entwickelten völker- und kriegsrechtlichen Normen und Standards, wird der Vernichtungskrieg als Kriegsverbrechen kontextualisiert. Somit wird der Empfehlung der HistorikerInnenkommission entsprochen, die Argumentation solle "weniger durch den Gestus der Staatsanwaltschaft als durch die Theorie und Methodologie der Geschichtswissenschaft geprägt sein".

"Wiedergewinnung moralischer Maßstäbe"...

Bekanntlich war die alte Wehrmachtsaustellung vom Hamburger Institut für Sozialforschung ursprünglich als Teil des Projektes 1995 konzipiert. Seit Ende 1991 gemeinsam mit dem Institute for Policy Studies in Washington projektiert und flankiert von einem eigens herausgegebenen Bulletin 1995, sollten die 1995 anstehenden 50. Jahrestage (Befreiung, Atombombenabwurf, UNO, Nürnberger Prozesse) zum Anlass für eine Gesamteinschätzung des 20. Jahrhunderts genommen werden, deren Ziel es sein sollte, unter der Prämisse "Zivilisation und Barbarei" herauszufinden, "was im 20. Jahrhundert falsch gelaufen ist"7. Dazu sollten als "Destruktionshöhepunkte" oder "Makroverbrechen" des 20. Jahrhunderts "die deutschen Kriege und zivilen Massenmorde, vor allem die Shoa/1917 und was folgte/Hiroshima und Nagasaki"8 in den Blick genommen werden.

Kurzum - der Hamburger Stiftung ging es mit dem Projekt 1995 um eine neue Aufarbeitung der das "zivilisatorische Selbstverständnis" erschütternden o.g. "Makroverbrechen". Zielsetzung war letztlich, sich über die "zivilisatorischen Minima [...], die den destruktiven Energien eine Schranke setzen" zu verständigen. "Zivilisation" wurde dabei kurzgefasst als "Einschränkung von Souveränitäten" und "Zuwachs institutioneller Regelungen"9 verstanden.

...für den Einsatz der Bundeswehr?

So wird vor diesem Hintergrund deutlich, warum die Wehrmachtsausstellung die Kategorien "Recht und Verbrechen" zum Ausgangspunkt ihrer Dokumentation des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion wählt. Zwar hat das Hamburger Institut mit dem Verbrechensbegriff zweifellos genau den Nerv getroffen, denn an ihm entzünden sich die Debatten und die Empörung alter und neuer Rechter in einer Weise, wie es eine andere Herangehensweise kaum vermocht hätte. Dennoch hat die Wehrmachtsausstellung jenseits aller öffentlichen Debatten genau in diesen dichotomischen Prämissen von "Recht versus Verbrechen", von "institutioneller Regelung versus entgrenzte Gewalt", von "Zivilisation versus Barbarei" ihre Grenzen. So wird zwar gezeigt, dass "im Osten" ein Vernichtungskrieg geführt wurde, durch die vor allem in der alten Ausstellung komplett ausgeblendeten imperialistischen, antikommunistischen, rassistischen und antisemitischen Kriegsziele NS-Deutschlands aber versagt sich die Ausstellung von vornherein jedem erkenntnistheoretisch begründeten Erklärungsansatz.

Es geraten nicht nur, wie oben bereits angemerkt, die den Vernichtungskrieg begleitenden "Lebensraum"-Planungen aus dem Blickfeld. Auch Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus beispielsweise der Wehrmachtssoldaten sind kein eigenes Thema. Sie verschwinden entweder hinter Formulierungen wie "Wirklichkeitsdeutungen des Nationalsozialismus" oder "NS-Gesinnung", oder ihre Relevanz wird gleich gänzlich in Frage gestellt: "Der Schlüssel zur anhaltenden Emotionalisierung der Erinnerung an den Komplex »Wehrmacht« liegt in aller Regel nicht überdauernder gleichsam schlummernder NS-Gesinnung"10.

Zielsetzung der Wehrmachtsausstellung war denn auch nicht so sehr - auch dies gilt vornehmlich für die alte Ausstellung - die Zerstörung der Legende der "sauberen Wehrmacht" aus einem Duktus der Aufklärung heraus, als die "Wiedergewinnung moralischer Maßstäbe", ist doch die Legende von der sauberen Wehrmacht den konzeptionellen Vorüberlegungen von Klaus Naumann zur alten Wehrmachtsausstellung zufolge eine zweifelhafte "nationale Sinn- und Identitätskrücke"11. Angesichts des in diesem Zusammenhang (beredten?) Schweigens hinsichtlich einer Kritik an "nationalen Sinn- und Identitätsstiftungen" überhaupt fragt man sich, ob die Betonung nicht auf der "krückenhaften" nationalen Identität liegt. In eine ähnliche Richtung gehen Ausführungen von Reemtsma über "Wieder- oder vielleicht Neugewinnung moralischer Maßstäbe". Danach dürfe man nämlich "die Tatsache, dass noch in den letzten Monaten eines nunmehr so verbrecherischen wie bankrotten Regimes" Menschen glaubten, für "Deutschland" oder fürs "Vaterland" in den Krieg zu ziehen, nicht als "Verwechslung" abtun, sondern man müsse festhalten, "dass dort eine intellektuelle wie moralische Differenzierung [zwischen "Deutschland/Vaterland" einerseits und dem NS andererseits] nicht vorgenommen wurde". Dass ein solcher Standpunkt nicht nur der Kritik am Nationalismus entbehrt, sondern selbst des Nationalismus bedarf, muss wohl kaum ausgeführt werden.

Zumindest aus der Perspektive von heute wird man fragen müssen, inwieweit die Wehrmachtsausstellung - wenn auch vielleicht nicht ihrer Intention nach, so doch faktisch - letztlich auch eine neue Legitimationsbasis rot-grüner Kriegspolitik geschaffen hat. Liberale staatsbürgerkundliche Institutionen haben jedenfalls schon damals die Wehrmachtsausstellung unter genau diesem Aspekt interpretiert. So dokumentiert das Begleitmaterial der Landeszentrale für politische Bildung zur Wehrmachtsausstellung in Bremen mit dem Titel Krieg und Frieden in unserer Zeit. Konzeptionelle Überlegungen zur Ausstellung, Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 vom Januar 1997 im Abschnitt Standort der Bundeswehr nicht nur den Traditionserlass des damaIigen Verteidigungsministers Volker Rühe vom November 1995, wonach die Wehrmacht wegen ihrer "Verstrickungen" in die "Verbrechen des Nationalsozialismus" aIs Institution nicht traditionsbegründend sein dürfe. Darüber hinaus schreibt sie in unübersehbarer Kohärenz mit dem Duktus der Hamburger Stiftung: "Verteidigungsbereitschaft gründet sich auf der Erkenntnis, dass Gewalt in zwischenmenschlichen Gemeinschaften eine anthropologische Konstante darstellt, die rechtlich und institutionell dauerhaft eingehegt werden muss. Die zulässige Übernahme internationaler Verpflichtungen [...] hat das BVerfG-Urteil zum Adria-Einsatz der Bundesmarine geklärt"13.

Jenseits aller Kritik sei hier der Verdienst der Wehrmachtsausstellung, die Legende von der "sauberen Wehrmacht" in der Öffentlichkeit zerstört zu haben, nicht geschmälert. Und natürlich ist es nicht das Anliegen der Rezensentin, gegen einen Besuch der Ausstellung - gerade ihrer Neukonzeption - zu votieren. Allerdings sei zum einen den BesucherInnen ein kritischer Blick empfohlen. Zum anderen sei davor gewarnt, die durch die Wehrmachtsausstellung initiierte Neubewertung der Wehrmacht als "verbrecherische Institution" allzu idealistisch zu interpretieren. Und zum dritten sei insbesondere manchen GenossInnen der Antifa ans Herz gelegt, nicht länger die Gegnerschaft von Faschisten als unhinterfragten Ausweis für Qualität zu bewerten.

Else Koslowski
(aus: bremer kassiber, Nr. 50, Juli/Aug. 2002, von der Gegenwind-Red. gekürzt)

Zusammenstellung von Gegenwind-Artikeln (1998/99) zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" im Kieler Landeshaus als PDF-Datei (ca. 730 KB).


Anmerkungen:

1      Kriegsgerichtsbarkeitserlass: Inhalt im wesentlichen: "»straffällige« (sowjetische) Zivilpersonen sofort umlegen, Straftaten deutscher Soldaten (gegenüber Einwohnerlnnen der SU) möglichst nicht ahnden".


2     Kommissarbefehl: Inhalt im wesentlichen: "Politische Kommissare der Roten Armee grundsätzlich immer und überall erledigen".


3     Vgl. dazu: Hamburger Institut füt Sozialforschung: Vernichtungskrieg, Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944. Ausstellungskatalog, 1996 (1. Aufl.), S. 21.


4     Generalplan Ost (GPO): Bezeichnung für die nationalsozialistischen Neuordnungs-, Um- und Ansiedlungsplanungen (und damit verbunden immer auch die Vemichtungsplanungen) in Osteuropa. Erste Planungen zu massenhaften Umsiedlungen in Polen wurden bereits Ende 1939 in verschiedene Dienststellen entwickelt. Der Ausdruck GPO erscheint erstmals Mitte 1940 in den Dokumenten des Stabshauptamtes des Reichkommissars zur Festigung deutschen Volkstums (RKF) Heinrich Himmler. Im engeren Sinne bezeichnet man damit die Planungen von Konrad Meyer Hetling für den RKF. Tatsächlich aber muss von mehreren "Generalplänen Ost" ausgegangen werden. Neben dem RKF beschäftigte sich das Reichssicherheitshauptamt RSHA, das Arbeitswissenschaftliche Institut (AWI), die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und die Wehrmacht mit Planungen zum projektierten "Lebensraum im Osten".


5     Generalfeldmarschall Erich von Mannstein wurde 1949 von einem britischen Militärgericht in Hamburg als Armeeoberbefehlshaber der Mitverantwortung am Völkermord an den Juden sowie der Deportation, Misshandlung und Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener für schuldig erklärt. Bereits die Anklageerhebung Iöste massive Entrüstung u.a auch bei britischen Konservativen aus, so dass von Mannstein neben zwei deutschen auch von drei britischen Anwälten verteidigt wurde. Dem Urteil folgte eine Welle der Unterstützung für von Mannstein im In- und Ausland. Mannstein erhielt zwar 18 Jahre, wurde aber bereits 1953 entlassen.


6     Die bremische SPD erlangte seinerzeit die Zustimmung der CDU für eine Präsentation der Ausstellung in der unteren Rathaushalle durch verschiedene Zugeständnisse: So wurde eine Ausstellung zum militärischen Widerstand gezeigt, eine Fachkonferenz mit Kritikern der Wehrmachtsausstellung einberufen und im Eingangbereich der Wehrmachtsausstellung eine Erklärung des Bremer Senats installiert, die betonte, dass nicht alle Wehrmachtsangehörigen Verbrecher waren. Vgl. auch Kassiber Nr. 30-33.


7     Bernd Greiner, Wolfgang Kraushaar, Jan Philipp Reemtsma: "Projekt I995". Konzeptionelle Vorschläge in: Bulletin 1995 Nr.l, Apri/Mai 1992, S.53 ff.


8     Ebenda S. 56. Man beachte die Terminologie: Das Revolutionsjahr 1917 wird regelrecht umcodiert zu einem Synonym für Stalinismus und GULAG.


9     "Das Nürnberg-Paradigma. Eine Kontroverse". Bulletin 1995 Nr.7, S.49


10     Klaus Naumann: "Wehrmacht und NS-Verbrechen", Bulletin 1995 Nr.5, S.131.


11     Ebenda.


12     Reemtsma: Eröffnungsrede zur Wehrmachtsausstellung in Frankfurt, Frankfurter Rundschau 19.4.1997.


13     Herbert Wulfekuhl: Krieg und Frieden in unserer Zeit. Konzeptionelle Überlegungen zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944", Hrsg.: Landeszentrale für politische Bildung, Bremen 1997.

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