(Gegenwind 174, März 2003)

Vier Interviews: Irakische Schleswig-HolsteinerInnen über den angekündigten Krieg

"Ich bin gegen jeden Krieg"

Maison Sindy

Gegenwind:

Wie lange haben Sie im Irak gelebt? Was haben Sie dort gemacht?

Maison Sindy:

Ich lebte in Zakho, in Kurdistan. Eigentlich war die Kindheit und die Schule sehr schön. Ich erinnere mich, dass es in den Pausen immer Milch und Kekse gab. Das war eines Tages plötzlich vorbei, als der Krieg gegen den Iran anfing. Ich habe damals, 1979 war ich zehn Jahre alt, eben hauptsächlich mitbekommen, dass es in der Schule keine Kekse und keine Milch mehr gab. Erst später kam der Krieg auch zu uns, Halabja wurde mit Giftgas bombardiert. Seit dieser Zeit lebten wir in ständiger Angst. Auch in der Schule war es zuletzt immer schlimmer gewesen. Wir durften nicht mehr kurdisch sprechen, wir waren gezwungen, arabisch zu reden.

Ich ging zur Oberschule und studierte dann, ich wurde Lehrerin. Und als 1991 der Krieg gegen Kuwait begann und dann die USA angriff, überfiel uns die irakische Armee. Ich floh damals mit meiner Familie in die Türkei, dort lebten wir wochenlang in Zelten. Ich konnte inzwischen etwas englisch, deshalb konnte ich im Lager der "Ärzte ohne Grenzen" helfen. Die sorgten dann dafür, dass wir mit einem Hubschrauber nach Hause zurückkehren konnten. Danach begann ein neues Leben. Kurdistan war jetzt frei, ich lebte im Norden, im Gebiet der KDP. Wir konnten endlich unser Leben selbst organisieren. Nach Deutschland kam ich dann 1995. Aber es waren nicht, wie bei so vielen, politische Gründe. Ich habe einfach geheiratet, und mein Mann lebte schon in Deutschland, in Lübeck.

Gegenwind:

Jetzt ist die US-Armee am Golf aufmarschiert. Was wird im März und April passieren?

Maison Sindy:

Ich habe gerade gestern, am Opferfest, meine Eltern in Kurdistan angerufen. Sie haben schreckliche Angst, und ich natürlich auch. Saddam hat kein Herz, und wir haben alle Angst davor, dass er Kurdistan angreift. Die USA werden uns nicht schützen. Sie haben uns schon ein paar mal betrogen. Das ist eine lange Geschichte, die 1975 mit dem Abkommen über den Persischen oder Arabischen Golf begann.

Gegenwind:

Wie geht es denn in Kurdistan weiter, wenn Saddam gestürzt werden sollte?

Maison Sindy:

Es gibt jetzt eine Einheit von KDP und PUK. Wir hoffen, dass die Einheit jetzt verstärkt wird, und es gibt gute Anzeichen dafür. Ich habe gerade erfahren, dass einzelne Büros der KDP im Gebiet der PUK eröffnet werden konnten, darüber habe ich mich sehr gefreut.

Gegenwind:

Werden islamische Gruppen stärker werden?

Maison Sindy:

Das kann sein. Der Iran unterstützt diese Gruppen mit sehr viel Geld. Ich hoffe, dass unser Kurdistan so bleibt wie es jetzt ist. Ich bin im Sommer 2002 hingefahren, über Damaskus. Meine Eltern hatten meine Kinder noch nie gesehen, sie konnten sie jetzt, nach sieben Jahren, zu ersten Mal kennen lernen. In Kurdistan hat sich so viel verändert, seit ich 1995 hergekommen bin. Schon im Kindergarten wird Englisch unterrichtet, und in den Schulen gibt es Computer, mit denen die Kinder lernen.

Gegenwind:

Kann die irakische Opposition eine Regierung bilden, eine Alternative zu Saddam Hussein präsentieren?

Maison Sindy:

Ich glaube nicht. Die Einigkeit ist nicht groß genug.

Gegenwind:

Und was werden die kurdischen Parteien machen? Haben sie eher ein Interesse daran, an einer Regierung in Bagdad beteiligt zu werden, oder geht es ihnen um mehr Selbständigkeit für Kurdistan?

Maison Sindy:

Ich glaube, die Selbständigkeit von Kurdistan ist ihnen wichtiger. In Bezug auf den Irak hoffen alle, dass Saddam endlich weg ist. Aber für eine Zukunft gibt es wenig gemeinsame Vorstellungen.

Gegenwind:

Die USA haben jetzt erklärt, dass sie den Krieg führen wollen, um Saddam zu stürzen. Glauben Sie ihnen?

Maison Sindy:

Nein. Die USA wollen doch nur das Öl. Sehen Sie doch, 1991 hatten die USA die Chance, Saddam zu stürzen. Und, was haben sie gemacht? Sie wollten es nicht. Ich glaube, es gab damals irgend welche Absprachen zwischen den USA und Saddam Hussein.

Gegenwind:

Und was will die Türkei?

Maison Sindy:

Die Türkei hat ein ganz großes Interesse: Sie will nicht, dass die Kurden ein eigenes Land haben. Das wollen sie verhindern. Denn sie denken immer an die Kurden in ihrem eigenen Land und an die PKK. Deshalb beteiligen sie sich an dem Krieg, um das zu verhindern.

Gegenwind:

Wenn die USA angreifen, wird es ein langer Krieg? Gibt es viele Soldaten, die bereit sind, für Saddam Hussein zu kämpfen?

Maison Sindy:

Nein, ich glaube, das wird ein kurzer Krieg. Glauben Sie nicht, was Sie immer im Fernsehen sehen können. Wenn dort von Saddam die Rede ist, klatschen die Menschen immer, weil sie klatschen müssen. Ich war gerade selbst da, ich weiß, wie es ist. Aber auch wenn der Krieg nicht lange dauert, glaube ich, dass Saddam versuchen wird, ein großes Feuer anzuzünden. Denn er weiß, dass die Menschen ihn hassen.

Gegenwind:

Sind Sie selbst politisch aktiv?

Maison Sindy:

Nein, eigentlich gar nicht. Ich habe bis vor kurzem gearbeitet, zur Zeit bin ich arbeitslos.

Gegenwind:

Wie beurteilen Sie die Politik der Bundesregierung bezogen auf den Irak-Krieg?

Maison Sindy:

Ich glaube, Schröder und Fischer haben Recht. Die USA meinen, sie sind so stark, dass sie alles alleine entscheiden können. Die deutsche Regierung hat Recht, den USA zu widersprechen. Natürlich will ich, dass Saddam gestürzt wird, aber ich bin gegen jeden Krieg. Ich habe den Krieg gesehen, ich habe gesehen, wie Menschen verhungern und sterben.

Interview: Reinhard Pohl

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