(Gegenwind 174, März 2003)

Vier Interviews: Irakische Schleswig-HolsteinerInnen über den angekündigten Krieg

"Vielleicht gibt es einen Sturz von Saddam Hussein ohne einen großen Krieg"

Sardar

Gegenwind:

Kannst du als erstes erzählen, wie lange du im Irak gelebt hast und wann du hierher gekommen bist?

Sardar:

Ich habe bis 1980 im Nord­irak (Südkurdistan), in der Stadt Suleymania gelebt. Dort habe ich mein Abitur gemacht und bin mit 24 Jahren 1980 ausgereist, weil ich studieren wollte. Damals hat gerade der Krieg gegen den Iran angefangen. Ich war zuerst in Bulgarien und Rumänien und bin dann ein Jahr später nach Deutschland gekommen. Hier habe ich Asyl beantragt, bin anerkannt worden und habe später auch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Heute ist das ja einfacher, damals war es sehr schwierig.

Gegenwind:

Hast du noch Familie im Irak?

Sardar:

Ja. Meine Mutter und meine Geschwister leben dort. Eine meiner Schwestern lebt in Bagdad. Ich mache mir jetzt große Sorgen um sie wegen des drohenden Krieges der USA. Der Rest der Familie lebt in Suleymania. Um die mache ich mir große Sorgen wegen drohender Angriffe von Saddam Hussein. Er hat ja keine Raketen mehr, um Israel zu erreichen, aber Kurdistan kann er immer noch angreifen. Natürlich bin ich als Iraker dafür, dass man uns von dem Diktator befreit, denn das Volk selber ist nicht in der Lage sich zu befreien.

Gegenwind:

Also für den Krieg der USA, um den Diktator zu beseitigen?

Sardar:

Nein. Ich weiß, viele Iraker sagen, man muss notfalls mit dem Teufel zusammen arbeiten, wenn uns das hilft, die Diktatur loszuwerden. Aber wir wissen auch, dass die USA viele eigene Interesse haben, zum Beispiel das Öl. Sie haben nicht das Interesse, einen Diktator zu stürzen. Denn Saddam Hussein ist schon lange Diktator, und als er 1988 in Halabja Giftgas einsetzte, wollten die USA ihn nicht stürzen, sie haben das Massaker nicht einmal mit Worten verurteilt.

Gegenwind:

Was wird im März/April passieren?

Sardar:

Ich habe bisher geglaubt, es gibt Krieg. In den letzten Tagen, am 6. und 7. Februar, habe ich Anzeichen gesehen, dass ein großer Teil der Welt doch nicht mit dem Krieg der USA einverstanden ist. Vielleicht gibt es ja auch einen Sturz von Saddam Hussein ohne einen großen Krieg. Aber ich weiß auch, dass die USA nicht so viele Truppen verlegen, ohne was zu machen, das ist alles nicht umsonst. Wenn es nur darum geht, den Diktator in Schach zu halten, dann ist das richtig. Man muss Saddam Hussein in Schach halten. Vielleicht gibt es ja gemeinsame Anstrengungen von arabischen Ländern, Saddam Hussein zum Verlassen des Landes zu bewegen. Ein Krieg kann sehr schlimm werden.

Gegenwind:

Wird es bei einem Angriff der USA großen Widerstand geben?

Sardar:

Ich glaube nicht. Alle die, die jetzt Saddam Hussein Beifall klatschen, geben den Kampf sofort auf, wenn sie sehen, dass Saddams Zeit zu Ende ist. Da gibt es keinen Widerstand. Es gab ja auch 1991 keinen Widerstand, als die USA angriffen. Sicherlich haben sich viele an den Verbrechen beteiligt, aber nur Saddam und sein Gefolge werden Widerstand leisten, alle anderen werden die Seite wechseln, wenn sie sehen, dass Saddam verliert.

Gegenwind:

Hat Saddam Hussein noch Massernvernichtungswaffen?

Sardar:

Ja, ich glaube schon. Die Inspektoren können nicht alles finden, und Saddam Hussein braucht einen Rest Waffen als Lebensversicherung. Er wird bis zuletzt alles versuchen, um Waffen zu verstecken.

Gegenwind:

Kannst du die Opposition beschreiben?

Sardar:

Die stärksten Gruppen, wenn man von der Militärstärke ausgeht, sind inzwischen die beiden kurdischen Parteien. Dann gibt es den INC, den Nationalkongress, der hat sich in vielen Positionen den kurdischen Positionen angenähert. Problematisch bleiben für mich die islamischen und die nationalistischen Gruppen. Hier gibt es das gemeinsame Ziel, die Diktatur zu stürzen, aber es gibt wenig gemeinsame Positionen für die Zukunft des Landes.

Gegenwind:

Können sich die Oppositionsgruppen auf eine gemeinsame Regierung nach dem Sturz der Diktatur einigen?

Sardar:

Ich glaube nicht. Es wird wohl keine großen bewaffneten Auseinandersetzungen geben, es ist eine andere Situation als in Afghanistan. Aber es gibt nicht genug Gemeinsamkeiten, um gemeinsam zu regieren.

Gegenwind:

Besteht die Gefahr, dass es ein islamisches Regime gibt?

Sardar:

Nicht im Irak. Ich glaube nicht, dass das Land islamistisch werden wird, im Sinne, dass die Scharia eingeführt wird.

Gegenwind:

Akzeptiert die Bevölkerung eine Regierung, die von den USA eingesetzt wird?

Sardar:

Was heißt akzeptieren? Die Bevölkerung lebt seit 30 Jahren in Angst vor der Diktatur, die Bevölkerung ist müde. Ja, sie wird jede Regierung akzeptieren, die erst mal eine Erholung bedeutet. Für eine gewisse Zeit können die USA sicherlich eine Regierung einsetzen. Langfristig gibt es Probleme, denn Irak braucht die Demokratie, braucht ein demokratisches System.

Gegenwind:

Welche Interessen verfolgt die Türkei?

Sardar:

Die Türkei ist ein NATO-Land, sie ist abhängig von den USA und muss letztlich tun, was die USA sagt. Zweitens will die Türkei einen kurdischen Staat - sogar eine Selbstverwaltung der Kurden im Nordirak - verhindern. Und drittens hat die Türkei ein Auge auf Mossul und Kirkuk geworfen. Sie behauptet ja, zwei Drittel des kurdischen Teils im Irak würde von Turkmenen bewohnt. Allerdings äußert sich die neue türkische Regierung da gemäßigter.

Gegenwind:

Wollen die Kurden im Irak denn die Selbständigkeit?

Sardar:

Alle Kurden wollen die Selbständigkeit, einen eigenen kurdischen Staat. Aber im Moment traut sich niemand, keine Organisation, das auch so zu sagen. Im Irak haben sich die kurdischen Parteien mit allen anderen auf eine Föderation geeinigt.

Gegenwind:

Wird denn der Frieden zwischen KDP und PUK halten, wenn die Diktatur gestürzt ist?

Sardar:

Ja. Vorausgesetzt, dass sich die wirtschaftliche Lage erholt. Und zwar ganz einfach deshalb, weil die kurdische Bevölkerung genug hat, sie will keinen Krieg mehr. Die Bevölkerung wird keine Partei unterstützen, die einen neuen Krieg anfängt.

Gegenwind:

Bist du selbst in Deutschland politisch aktiv?

Sardar:

Politisch nicht. Wir sind hier in einer Hilfsorganisation zusammengeschlossen, unser Komitee organisiert direkte Hilfe für den Nordirak. Hier bereiten wir Veranstaltungen vor, aber das sind kulturelle Veranstaltungen, kurdische Abende zum Beispiel. Unser Komitee hat von Anfang an beschlossen, dass wir unparteiisch arbeiten, alle Kurden sollen bei uns mitmachen können. Es war am Anfang schwierig, mit allen zusammen zu arbeiten, aber inzwischen funktioniert das ganz gut.

Interview: Reinhard Pohl

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