(Gegenwind 172, Januar 2003)

Schwedisch-deutsche Studienfahrt auf See

Horizonterweiterung

Kurz vor dem Ende der diesjährigen Segelsaison startete an Bord des Traditionsseglers Lovis ein pädagogisches Modellvorhaben. Ein Biologie-Leistungskurs aus Norderstedt ging gemeinsam mit einem solchen aus Leksand/Schweden auf Studienfahrt in Sachen Ostsee-Ökologie. Dabei standen beileibe nicht nur naturwissenschaftliche Fragen auf dem Programm. Auf der Suche nach Schulklassen und Studienstufenkursen, die ähnliche interkulturelle Projekte durchführen wollen, tourte die Lovis jüngst durch (fast) alle norddeutschen Häfen.

Auf dem Traditionssegler Lovis

Gespannte Aufmerksamkeit an den Schoten, Fallen und Backstagen. Alle Vorbereitungen scheinen abgeschlossen. "Everything ready for the tack?" [Ist alles klar zur Wende?] schallt die Frage zur abschließenden Versicherung über das Deck des Zweimasters. "Ready!" [Klar ist!] kommt es von den Stationen zurück, an denen es bei dem anstehenden Wendemanöver die Segel zu bedienen gilt. Und schon dreht der Bug des Traditionsseglers durch den Wind, wird das Tuch mit vereinten Kräften auf die andere Schiffsseite geholt und dort neu getrimmt. Mittlerweile geht es elegant und reibungslos. Denn die Reisegruppe, 12 SchülerInnen aus Norderstedt und 10 aus Leksand, etwas nördlich von Stockholm, hat keine gravierenden Verständigungsprobleme gehabt und sich rasch aufeinander eingespielt. Auch das herbstliche Schmuddelwetter im Seegebiet rund um Rügen tut der guten Stimmung keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die Schweden betonen mehrfach, wie warm es doch noch sei, hätte es doch just am Abreisetag in ihrem Heimatort den ersten Schnee gegeben.

Englisch als Bordsprache ist nichts Neues auf der Lovis. Der 38 Meter lange Zweimaster, ein offener Ort der Begegnung, ausgerüstet für Bildungsreisen, Projekte und Kampagnen mit 30 Personen, ist nicht das erste Mal mit einer internationalen Gruppe unterwegs. Neu ist die Idee, interkulturellen Austausch und inhaltlich anspruchsvolle Studienfahrten auf See miteinander zu verbinden. Zwar bietet schon die Reise an sich jede Menge neuer Eindrücke. Denn der Alltag auf einem Traditionssegler folgt anderen Regeln als daheim. Doch ein spannendes und auf die Eigeninitiative der Beteiligten bauendes Bildungsprogramm soll dafür sorgen, dass aus den vielfältigen Eindrücken Erkenntnisse werden und dass letztlich die Motivation zu eigenverantwortlichem Handeln wächst. Damit all dies Wirklichkeit werden kann, haben sich zwei SeminarteamerInnen der Lovis bereits im Vorfeld mit dem deutschen Studienstufenkurs getroffen, um Interessensgebiete kennenzulernen und gemeinsam einen Rahmen für die eigenverantwortliche Kleingruppenarbeit an Bord zu entwickeln. Mit den TeilnehmerInnen aus Schweden lief die Kommunikation unterdessen auf e-Mail.

Ziel der Bildungsarbeit ist es, Fähigkeiten zu fördern, die einerseits für die eigenständige persönliche Entwicklung der TeilnehmerInnen entscheidend sind, sich andererseits aber nicht theoretisch lernen lassen. Dazu zählen z.B. Kommunikation und Teamwork, der Umgang mit Konflikten, kritisches Urteilsvermögen und die Überwindung der Scheu vor gesellschaftspolitischer Einmischung. Thematisch wird dabei am Beispiel Ostseeökologie ein Bogen geschlagen, der alle damit zusammenhängenden Fragestellungen umfasst: vom Naturerleben über Experimente und Beobachtungen, die wissenschaftskritische Erstellung eines eigenen Gutachtens, den historischen Rückblick auf 10.000 Jahre ökologischer Ostseegeschichte, die Naturbilder vom Meer in Literatur und Musik und das Suchen nach einer ethischen Position bis hin zum Hinterfragen von Nationalpark-Konzepten oder aktuellen umweltpolitischen Lösungsansätzen wie etwa dem Leitbild der Nachhaltigkeit.

Der interkulturelle Austausch ist in diesem Zusammenhang nicht nur ein zusätzliches Highlight sondern grundlegender Bestandteil des Programms. Durch ihn wird die Bandbreite ethischer und politischer Schlussfolgerungen aus naturwissenschaftlich erhobenen Daten beispielsweise direkt spürbar. So macht ein schwedisch-deutscher Vergleich von Zeitungsartikeln oder fachlichen Unterlagen an Bord schnell die Bandbreite an Blickwinkeln auf die Probleme deutlich. Die Wichtigkeit selbständigen Hinterfragens von Einstellungen, Leit- und Weltbildern muss dann gar nicht mehr erläutert werden. Und bei allem gilt: die TeilnehmerInnen entscheiden selbst, womit sie sich wie intensiv auseinandersetzen. Die SeminarteamerInnen der Lovis sorgen dafür, dass die Bandbreite der Möglichkeiten wahrgenommen wird und dafür, dass alles in allem eine sinnvolle Verknüpfung von Segeln und Programm entsteht.

Szenenwechsel: Die Abreise naht. Während in der Küche beim Aufräumen noch produktives Durcheinander herrscht, weil der "schwedische Abend" zuvor jede Menge Spuren hinterlassen hat und eine Kleingruppe nach wie vor über die Bewertung der während des Törns im Salzwasser gemessenen Daten diskutiert, versucht einer der Teamer die abschließende Seminarreflexion einzuläuten. Als es damit losgeht, sind sich sowohl die schwedischen wie die deutschen TeilnehmerInnen einig. Die Mischung aus selbstbestimmtem Lernen, Reisen und der Begegnung mit den jeweils anderen hat ihnen enorm Spaß gebracht. Jede Menge Anregungen werden ausgetauscht, was sich im einzelnen am Konzept der internationalen Studienfahrt noch verbessern lässt.

Doch die Erfahrungen der Lovis-Crew gehen auch noch in eine andere Richtung. Es ist gar nämlich gar nicht so einfach, für derartige Bildungsprojekte interessierte Schulklassen und Studienstufenkurse zu finden. Kurz entschlossen macht man sich Ende Oktober und Anfang November auf zu einer Werbetour entlang der norddeutschen Häfen. Höhepunkte der Tour sind Hamburg und Kiel jeweils mit Konzerten an Bord. Und mit Vorführung eines Films zum Thema Biopiraterie, wozu Initiativen rund um die Ostsee für 2003 eine Öffentlichkeitskampagne planen. In Flensburg stürmen mehrere Schulklassen auf die Lovis. Weitere Bildungsreisen werden geplant, diesmal im nationalen Rahmen und zu anderen Themen. Viel Besuch und eine Feuerjonglageshow in Rostock sowie das Absegeln zum Ende der Saison beschließen in Greifswald die Tour. Doch die Möglichkeiten für spannende soziale und ökologische Projekte an Bord sind damit noch lange nicht ausgeschöpft. Die Suche nach interessierten Gruppen, Initiativen und Schulen geht weiter.

Thomas Schmidt

Kontakt:
Bildungs-Logger Lovis, c/o Alternative,
Willy-Brandt-Allee 9, 23554 Lübeck,
Tel. 0451/795850, Fax 0451/3973566, eMail: info@lovis.de
oder
Bildungs-Logger Lovis, c/o Klex,
Lange Str. 14, 17489 Greifswald,
Tel. 03834/776846, Fax 03834/776847, eMail: greifswald@lovis.de

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