(Gegenwind 166, Juli 2002)

Politische Beteiligung von Jugendlichen

"Die sind ja nicht blöd"

Schleswig-Holstein ist eines der wenigen Bundesländer, das die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an politischen Entscheidungen auch gesetzlich verankert hat. Doch das bedeutet nicht automatisch, dass es auch überall im Land funktioniert. In der vorigen Ausgabe fragten wir Priyanka Abbi (Präsidium des LandesschülerInnen-Parlaments der Realschulen) und Sandra Redmann (Kinder- und Jugendbeauftragte der Landesregierung) nach der Beteiligungs-Wirklichkeit. Für dieses Heft sprachen wir mit Judith Andresen vom Landesjugendring.


Judith Andresen

Judith Andresen

Gegenwind:

Was ist der Landesjugendring? Was sind deine Aufgaben?

Judith Andresen:

Der Landesjugendring ist der Dachverband der Kinder- und Jugendorganisationen in Schleswig-Holstein. Wir haben 23 Mitgliedsverbände und viele Anschlussverbände, das geht von der kirchlichen Jugend über die Sportjugend bis zur Gewerkschaftsjugend, alles ist bei uns versammelt. Ich bin die Vorsitzende, leite den Landesjugendring seit genau einem Jahr.

Gegenwind:

Wie viele Jugendliche sind denn im Landesjugendring organisiert?

Judith Andresen:

In unseren Mitglieds- und Anschlussverbänden sind insgesamt eine halbe Million Jugendliche organisiert, wobei es natürlich auch Doppelmitgliedschaften gibt, deshalb kann man das nicht genau sagen.

Gegenwind:

Wenn es um Beteiligungsrechte Jugendlicher geht, ist ja der Landesjugendring erster Ansprechpartner. Wie sind die Beteiligungsrechte bei euch geregelt? Haben die Jugendlichen nur indirekte Mitbestimmungsrechte über ihren Verband oder wirken sie auch direkt auf die Politik des Landesjugendringes ein?

Judith Andresen:

Die erste Möglichkeit würde ich nicht mit "nur" bezeichnen. Beteiligungsrecht im eigenen Verband heißt, dass Kinder und Jugendliche ihr Programm selbst bestimmen, selbst ihre Gruppenleiter wählen und so bestimmen, was sie selbst tun. Das sollte man nicht mit "nur" kennzeichnen. Darüber hinaus werden die Vertreter in den Jugendringen durch Gremien gewählt. Die Jugendlichen können zu unserer Vollversammlung und unseren Workshops direkt kommen. Unsere Hauptausschussarbeit wird durch gewählte Verbandsvertreter gemacht. Also: ein Teil läuft direkt, ein Teil über Vertreter.

Gegenwind:

An welchen Themen arbeitet der Landesjugendring im Moment?

Judith Andresen:

Unsere großen Themen sind die Zusammenarbeit im Ostseeraum, wir verstärken und fördern den Jugendaustausch im Ostseeraum und versuchen da auch auf politischer Ebene, Begegnungen zu vereinfachen. Wir finden es wichtig, wenn immer von Zusammenarbeit im Ostseeraum geredet wird, dass Jugendliche sich kennen lernen, denn sie werden später die Zusammenarbeit leisten müssen. Ein anderes großes Thema ist die Partizipation, also die Frage, wie können wir die Rechte von Kindern und Jugendlichen vor Ort stärken. Dabei geht es dann nicht um unsere Strukturen, sondern um die kommunalen Strukturen. Das sind die beiden großen Themen, daneben gibt es auch Aktivitäten im Bereich des Service. So gibt es ein neues Zeugnis-Beiblatt, in dem die ehrenamtliche Arbeit von Jugendlichen auch über die Schule dokumentiert werden kann, dazu erstellen wir gerade Arbeitshilfen.

Gegenwind:

Wem gegenüber vertritt denn der Landesjugendring die Interessen von Jugendlichen?

Judith Andresen:

Wir machen zum einen Öffentlichkeitsarbeit, in der wir unsere Aktionen und Projekte vorstellen. In diesem Rahmen tragen wir auch Anträge, die in unseren Gremien entstanden sind, an die Öffentlichkeit. Das andere ist, mit diesen Forderungen gegenüber der Politik aufzutreten. Das heißt, dass wir zur Jugendministerin gehen oder in den Landtag, je nachdem, was gerade sinnvoll ist.

Gegenwind:

Im Februar habt ihr in Kiel einen ganzen Tag zu Beteiligungsrechten von Jugendlichen gestaltet. Was war das Ziel, und hattet ihr Erfolg?

Judith Andresen:

Ziel war, die sehr natürliche Beteiligung von Jugendlichen in unseren Verbänden öffentlichkeitswirksam darzustellen. Viele Menschen nehmen das nicht wirklich zur Kenntnis, für die muss "Jugendparlament" draufstehen, damit es eine Beteiligung ist. Für uns ist Beteiligung auch und gerade, wenn ein Jugendlicher selbst bestimmt, was er mit seiner Gruppe erreichen und leisten möchte. Das haben wir sehr deutlich nach außen getragen - über das gesamte Spektrum unserer Verbände hinweg . Der Kreisjugendring Pinneberg als Dachverband arbeitet da natürlich anders als die Gewerkschaftsjugend. Diese Vielzahl von Projekten vorzustellen, das war unser Ziel. Das ist uns auch gelungen. Wir hatten eine große Anzahl von Besuchern, es ist in der Presse wahrgenommen worden, die Ministerin war da. Es war wichtig, dass wir das mal so deutlich nach außen tragen.

Gegenwind:

Hast du als Vorsitzende die Übersicht, wie Schleswig-Holstein bei Beteiligungsrechten von Jugendlichen im Vergleich zu anderen Bundesländern dasteht? Werden wir beneidet oder bemitleidet?

Judith Andresen:

Tendenziell eher beneidet. Schleswig-Holstein treibt diese Beteiligung sehr stark nach vorne. Von Jugendlichen vor Ort wird das aber gleichzeitig sehr kritisch gesehen. Gerade wenn man etwas anfängt, und das funktioniert dann nicht so, wie man das möchte, dann wird die Unruhe größer als wenn man gar nichts macht. Wenn jemand nicht weiß, dass er etwas tun kann, meckert er auch nicht drüber. Da sind wir gerade in einem schwierigen Spannungsfeld.

Gegenwind:

Wo liegen denn die Probleme, wenn Jugendliche etwas fordern, sich beteiligen wollen? Sind angesprochene Politiker oder die Verwaltung dagegen, oder arbeiten sie in einem anderen Tempo als Jugendliche es wünschen?

Judith Andresen:

Das Tempo ist das eine. Politische Entscheidungsprozesse laufen zum Teil über Monate und Jahre, das ist ein Tempo, das Jugendliche nur bedingt mitgehen können. Da passen Lebenszeiten nicht zusammen. Das andere ist, dass sich Politiker oft nicht vorstellen können, welchen Gewinn sie durch die Beteiligung von Jugendlichen wirklich erfahren können - sie gehen das Ganze dann nur halbherzig an. Wenn sie das ernst und annehmen würden, dann würden sie weiter kommen.

Gegenwind:

Wie funktioniert denn die Beteiligung von Jugendlichen, die die Gemeindeordnung oder Kommunalverfassung vorsieht und in Zukunft vorschreibt? Ist das stark formalisiert, oder ist das von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich?

Judith Andresen:

Die Ausprägungen sind total unterschiedlich. In Elmshorn läuft das ganz anders als in Flensburg. Beides lebt für sich - aber mit unterschiedlichen Sitzungsrhythmen und einem anderen Gepräge. Das hängt sehr stark davon, wie ernst Jugendbeteiligung von Politikern vor Ort wahrgenommen, aber auch eingefordert wird. Wenn Jugendliche spüren, dass sie eine Alibi-Funktion wahrnehmen sollen oder zu was gewählt worden sind, was dann nicht richtig in Gang kommt, dann koppeln sie sich auch sehr schnell wieder ab. Die sind ja nicht blöd.

Gegenwind:

Ist der Landesjugendring auch Beschwerdeinstanz? Kommen Jugendliche und sagen, wir wollten das hier anders haben, aber die haben nicht auf uns gehört?

Judith Andresen:

Direkte Beschwerdeinstanz sind da eher die Kreisjugendringe. Bei uns kommt das an, wenn sich das in bestimmten Kreisen aufstaut. Ansonsten ist der erste Ansprechpartner der Kreisjugendring. Das ist vernünftig, schließlich es geht ja um eine kommunale Vertretung.

Gegenwind:

Du kennst ja auch die Beteiligungsform "Jugend im Landtag". Kannst du die Veranstaltung beschreiben und beurteilen?

Judith Andresen:

Zur Veranstaltung "Jugend im Landtag" wird einmal im Jahr eingeladen. Es kommen Jugendliche aus den Jugendverbänden, und es werden auch Jugendliche über Schulen eingeladen. Sie treffen sich für ein gesamten Wochenende, erarbeiten verschiedene Anträge zu jugendrelevanten Themen. Die Jugendlichen haben die Möglichkeit, mit Politikern darüber zu sprechen. Sie fassen dann Resolutionen. Anschließend sollen die Fraktionen im Landtag auf diese Resolutionen reagieren, und das geht dann wieder den Vertretern von "Jugend im Landtag" zu. Schwierig an dieser Veranstaltung ist, dass der Zeitraum dieser Antwort durch den Landtag sehr lange dauert. Das ist für Jugendliche nicht immer verständlich und einsehbar. Andererseits ist das eine sehr schöne Veranstaltung, weil Jugendliche direkt Kontakt mit Politikern haben, und zwar nicht nur mit ihrem Bürgermeister vor Ort, sondern mit Landespolitikern. Ich denke, dieser Kontakt muss sehr früh und sehr oft zustande kommen, nicht nur für Jugendliche, sondern auch für die Politiker, damit beide wissen, wovon sie eigentlich reden, egal, ob Jugendliche über Politiker oder Politiker über die Jugend reden.

Gegenwind:

Hast du den Eindruck, dass die Politiker diese Veranstaltung ernst nehmen?

Judith Andresen:

Mein Eindruck war, dass die jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Parteien im Landtag das ernst nehmen. Ich denke, dass die Politikerinnen und Politiker, die dort erscheinen, Jugend und auch die Forderungen der Jugend sehr ernst nehmen.

Gegenwind:

Und wie ist das bei der normalen Arbeit im Parlament? Wenn über Gesetze diskutiert wird, die Jugendliche betreffen, werden da Jugendliche und Jugendverbände hinreichend beteiligt? Wird man als Jugendverband eingeladen, oder muss man sich selbst vordrängeln, um gehört zu werden?

Judith Andresen:

Das kann ich so generell nicht beantworten. Es kommt sehr darauf an. Im Normalfall wird an den Landesjugendring gedacht bzw. wir mischen uns als Dachverband ein. In wie weit an die einzelnen Verbände gedacht wird, hängt vom Thema ab. Natürlich wird bei Sportfragen die Sportjugend eingeladen. Manchmal müssen die Verbände aber auch daran erinnern, dass sich in dem einen oder anderen Thema engagieren und damit etwas beizutragen haben.

Gegenwind:

Funktioniert denn der Landesjugendring schnell genug, wenn Jugendliche zum Beispiel auf der Vollversammlung diskutieren und Forderungen aufstellen? Auf der letzten Jahreshauptversammlung wurde zum Beispiel über die Forderung mancher Politiker nach den Morden von Erfurt diskutiert, jetzt das Wahlalter oder die Volljährigkeit wieder raufzusetzen. Kann dann der Landesjugendring schnell genug Ergebnisse präsentieren?

Judith Andresen:

Wir bemühen uns gerade bei unseren eigenen Veranstaltungen, das schnell und kurzfristig zu spiegeln - gerade für die, die nicht da waren. Wir sind sehr aktiv mit unserer Homepage, auf der eine Woche nach der Vollversammlung die ersten Arbeitsgruppenergebnisse präsentiert worden sind. Die, die sich für unsere Arbeit und unsere Standpunkte interessieren, können das immer sehr schnell nachlesen. Wir bemühen uns dann auch, diese Meinungen nochmals zu bündeln und gegenüber der Politik zu vertreten. Wir tragen solche Dinge also relativ schnell weiter.

Interview: Reinhard Pohl

Zur Website des Landesjugendrings: www.ljrsh.de

Mehr zum Thema Politische Beteiligung von Jugendlichen im Gegenwind 165, Juni 2002.

Aufruf zur Diskussion

Wie ist es mit der Beteiligung Jugendlicher an politischen Entscheidungen? Welche Möglichkeiten haben Jugendliche, sich in die die Diskussionsprozesse einzumischen, sei es vor Ort oder auf Landesebene? Wie gehen die Politikerinnen und Politiker damit um? Werden Vorschläge, Anregungen, Forderungen von Jugendlichen ernsthaft diskutiert? Wird das Engagement von Jugendlichen als Unterstützung oder als Störung begriffen.

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