(Gegenwind 165, Juni 2002)

Nordfriesischer Bürgerentscheid erfolgreich

Nein zum Klinikverkauf

ver.di informiert über den Bürgerentscheid "Klinikverkauf"

Beim ersten kreisweiten Bürgerentscheid in Schleswig-Holstein haben sich die BürgerInnen klar gegen den Mehrheitsverkauf der kreiseigenen Krankenhäuser ausgesprochen. Nicht nur inhaltlich wurde im Vorfeld der Abstimmung debattiert, auch in Verfahrensfragen wurde gestritten.

Gesundheitswesen im Umbruch

Mehrfach wurde im vergangenen Jahrzehnt das Gesundheitswesen in Deutschland reformiert. Die Ergebnisse waren dürftig. Nun will die Politik das Gesundheitswesen erneut umkrempeln. Verbunden waren und sind alle Reformansätze mit dem massiven Angriff auf den Sozialkonsens. Im Zentrum steht die Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung der Wirtschaft und der Arbeitskosten generell, insbesondere aber der als Lohnnebenkosten bezeichneten Sozialversicherungsbeiträge.

Die bedingt durch hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Lohnquote steigenden Krankenkassenbeiträge weisen klar auf ein Einnahmeproblem in der Krankenversicherung hin. Aber dieses Einnahmeproblem wird so umgedeutet, dass wir einen ausufernden Sozialstaat hätten, der viel kostet und den wir uns angeblich nicht mehr leisten können.

Propagiertes Allheilmittel, um die angeblich ausufernden Kosten in den Griff zu bekommen, ist die Einführung marktwirtschaftlicher Mechanismen im Gesundheitswesen. Das hat auch Auswirkungen auf die Krankenhausversorgung. Bisher wurden die Krankenhäuser nach dem Kostendeckungsprinzip finanziert, das heißt, die entstandenen Kosten wurden von den Kassen mehr oder minder vollständig vergütet, Steuerungsinstrumente gegen Unwirtschaftlichkeit waren gegeben. Nun wird in der Krankenhausfinanzierung auf Preisbildung, also auf marktwirtschaftliche Anreizsysteme umgestellt. Das seit 1996 für die stationäre Abrechnung bestehende Mischsystem aus Pflegesätzen, Fallpauschalen und Sonderentgelten soll mit der bevorstehenden Einführung von Diagnosis Related Groups (DRG) weiterentwickelt werden. Fraglich ist, ob die gewünschte Kostensenkung damit erreicht wird. Ein Blick in die USA lässt zweifeln, hier gibt es seit 1980 in einzelnen Bereichen ein ähnliches Abrechnungssystem. Die USA haben zwar die kürzeste Krankenhausverweildauer der Welt, sind aber insbesondere im stationären Bereich mit 50 Prozent der gesamten Gesundheitskosten bei weitem am teuersten, in der BRD macht dieser Anteil ca. 31 Prozent aus.

Klinikmarkt in Deutschland

Zur Zeit befinden sich in der BRD ca. 75 Prozent der Krankenhäuser in öffentlicher oder freigemeinnütziger Trägerschaft, private Klinikbetreiber halten einen Anteil von ca. 25 Prozent. Durch den zunehmenden Haushaltsdruck von Kommunen und Kreisen gehen viele dazu über, ihre Kliniken an Private zu verkaufen. Die greifen zu, denn der Gesundheitssektor in Deutschland ist ein lukrativer Wirtschaftsbereich, in dem jährlich etwa 270 Milliarden Euro umgesetzt werden. Es findet derzeit eine Marktsegmentierung statt, wie in jedem anderen Wirtschaftsbereich herrschen hier Hauen und Stechen mit Ellenbogendynamik. Annähernd 20 Klinikketten und Krankenhauskonzerne sind im Übernahmefieber - frei nach der Devise: Markt um jeden Preis und Herausbrechen der Filetstücke. Welche Auswirkungen sich für ein bisher flächendeckendes Versorgungssystem für die Bevölkerung und die Behandlung der schwächeren sozialen Schichten ergeben, ist nicht das Problem der privaten Gesundheitsindustrie.

Situation in Nordfriesland

Der Kreis Nordfriesland betreibt vier Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung mit rund 500 Betten und über 1000 Beschäftigten an den Standorten Husum, Niebüll, Tönning und Wyk/Föhr. Bis einschließlich 1993 mussten die Klinikhaushalte durch Kreiszuschüsse ausgeglichen werden. 1994 wurden interne Umstrukturierungen vorgenommen, gleichzeitig wurde mit der privaten Sana-Gruppe ein Management-Vertrag geschlossen. Heute haben die Krankenhäuser eine solide wirtschaftliche Basis: Seit 1994 wurden jährlich Überschüsse erwirtschaftet, die Barliquidität liegt bei über 10 Millionen Euro, das Eigenkapital beträgt über 38 Millionen Euro.

Trotz dieser günstigen Ausgangslage wurde im Herbst 2000 in Nordfriesland erstmals öffentlich über den Verkauf der Kreiskrankenhäuser nachgedacht. Nicht von der CDU, die ansonsten für Privatisierungspolitik steht, sondern überraschenderweise von den Sozialdemokraten. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) und die Wählergemeinschaft Nordfriesland (WG-NF) gingen auf Distanz. Die Christdemokraten zierten sich anfangs, doch am Ende ist auch im Namen der CDU-Fraktion der Auftrag an die Verwaltung ergangen, neue Rechtsformen für die Kliniken zu prüfen. Im Sommer 2001 wurde von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Bezirk Westküste eine Unterschriftenaktion zum Erhalt der Häuser in kommunaler Trägerschaft durchgeführt. Die dabei erbrachten 17.263 Unterschriften konnten die Mehrheitsfraktionen im Kreistag nicht umstimmen.

Die heiße Phase begann mit der Kreistagssitzung am 17. September 2001: Nach namentlicher Abstimmung wurde mit der Mehrheit von SPD und CDU die Gründung einer gewerblichen Krankenhaus GmbH beschlossen, an welcher der Kreis Nordfriesland mit einer Sperrminorität von 25,1 Prozent beteiligt sein sollte. Dieser Beschluss beinhaltete als Kriterien, dass Schließung von Standorten und Rückstufung aus der bestehenden Versorgungsstufe der Sperrminorität unterliegen sowie dass Einkommensverhältnisse und Altersversorgung der heute Beschäftigten auf Niveau und Basis der gültigen Tarifverträge in einem Überleitungstarifvertrag zu regeln seien. Im Begleitbeschluss wurde ein Interessentenfindungsverfahren festgelegt und vermerkt, dass über Alternativen zu einem Verkauf nachgedacht werden müsste, wenn keiner der Bewerber die vorbeschriebenen Kriterien erfüllen würde.

Argumente der Verkaufsbefürworter: Benötigtes Fachwissen und Kapital eines privaten Mitbetreibers, Unsicherheiten durch das künftige Abrechnungssystem. Weniger Sachargumente als Glaubensgrundsätze waren zu hören, so etwa: Private können alles besser, andere öffentliche Träger verkaufen auch und man könne sich dem Markt nicht verweigern. Ein paar Ehrliche gaben zumindest zu, dass ein zu erwartender Verkaufserlös dem defizitärem Kreishaushalt eine angenehme finanzielle Spritze bringen würde.

Bürgerbegehren

Die politische Minderheit besann sich auf ein junges Bürgerrecht. Als Initiatoren sammelten für das erste kreisweite Bürgerbegehren im Lande SSW, WG-NF und ver.di-Westküste Unterschriften in Nordfriesland.

Die Argumente der Verkaufsgegner: Die gegebene solide wirtschaftliche Basis, das bereits finanzierte private Knowhow durch das Sana-Management, das vorhandene zukunftsorientierte medizinische Konzept und die interne kompetente Vorbereitung auf das neue Abrechnungswesen. Die Sperrminorität des Kreises würde nicht verhindern können, dass durch Gewinnstreben langfristig kleinere Standorte geopfert würden sowie insgesamt das breite medizinische Versorgungsangebot in der Region zugunsten lukrativer Spezialisierung geschmälert würde, eine bürgernahe und bedarfsorientierte Krankenhausversorgung dürfe nicht vollständig aus der politischen Gesamtverantwortung entgleiten.

Diese Argumente überzeugten wohl. Das Begehren wurde mit 20.128 gültigen Stimmen ein Erfolg - mit fast doppelt so vielen Unterschriften wie erforderlich.

Bürgerentscheid

Den beiden großen Fraktionen genügte in der Kreistagssitzung am 25. Januar 2002 das Begehren nicht, um ihren Verkaufsbeschluss zu kippen. Der Kreis musste nun das Verfahren des Bürgerentscheides einleiten. Bei der Abstimmung am 21. April 2002 waren nun 131.269 nordfriesische Wahlberechtigte noch einmal gefordert. Die Fragestellung auf dem Stimmzettel lautete: Sind Sie dafür, dass die Krankenhäuser Husum, Niebüll, Tönning und Wyk/Föhr weder ganz noch teilweise an Private verkauft werden, sondern in kommunaler, gemeinnütziger Verantwortung des Kreises Nordfriesland bleiben?

Bei einer Wahlbeteiligung von 39,4 Prozent der Abstimmungsberechtigten wurde die 25-Prozent-Hürde für den erfolgreichen Bürgerentscheid mit dem Ja-Stimmenanteil von 29,39 Prozent locker genommen. Nach der abschließenden Feststellung des amtlichen Endergebnisses und der Zulässigkeit durch das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein ist der Verkaufsabsicht für zwei Jahre nun ein Riegel vorgeschoben. Die Krankenhäuser werden wie bisher an ihrer Weiterentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit weiterhin konstruktiv arbeiten. Die Verkaufsbefürworter und Unterlegenen im Bürgerentscheid sind nun gefordert, auf Wundenlecken zu verzichten, den Bürgerwillen ernst zu nehmen, in politische Verantwortung zu gehen und den Entwicklungsprozess positiv zu begleiten.

Wahlkampf- und Verfahrenskritik

Obwohl Bürgerbegehren und Bürgerentscheid als zulässiges demokratisches Instrument in Kreis- und Gemeindeordnung sowie den jeweiligen Durchführungsverordnungen beinhaltet sind, scheint diese Art von Bürgerbenteiligung bei bestimmten Entscheidungen in Selbstverwaltungsaufgaben lange noch nicht politisches Selbstverständnis zu sein. Unausgegoren sind auch einige Ausführungsbestimmungen der oben genanntuen Werke, so dass die formale Abwicklung der Verfahren in Nordfriesland immer wieder Behinderung erfuhr und massiven Ärger verursachte.

Schon vor der offiziellen Einleitung des Bürgerbegehrens wurde deutlich, dass Kreisbehörde und Mehrheitsfraktionen diesem Instrument der Bürgerbeteiligung nicht die notwendige Akzeptanz zumaßen. Obwohl die Initiatoren jeden Schritt und Inhalt der Formalie mit dem Innenministerium abstimmten, wurde seitens des Landrates als Vertreter der Kreisbehörde nichts unversucht gelassen, das Bürgerbegehren für unzulässig erklären zu lassen.

Weitergehend wurde versucht, in den Kreiskrankenhäusern und anderen Kreiseinrichtungen durch Dienstanweisung die politische Diskussion und Beteiligung zu untersagen, verbunden mit dem Appell der Loyalitätspflicht der Kreisbeschäftigten zu politischen Beschlüssen des Kreistages.

In der Vorbereitungsphase zum Bürgerentscheid konnte von den Initiatoren gerade noch eingeschritten werden, um den für die Abstimmungsberechtigungskarten vorgesehenen Text "Gründung einer Krankenhaus GmbH mit privatem Partner" zu verhindern. Dieser Text hätte genau das Gegenteil zur Fragestellung des Stimmzettels suggeriert und wurde nach Einspruch in "Bürgerentscheid Krankenhaus Nordfriesland" abgeändert.

Ärger verursachte auch der Versuch in Publikationen und Pressemitteilungen des Kreises, den Inhalt des Kreistagsbeschlusses entfremdend zu kommentieren. Entgegen des eindeutigen Verkaufsbeschlusses wurde dieser nun nur noch als Interessentenfindungsverfahren und Angebotseinholung für medizinische Konzeptionen gehandelt.

Die Handhabung der BürgerInnen-Informationspflicht des Kreises zu den Inhalten des Bürgerentscheids ist bis heute ein spannendes Kapitel. Obwohl die Kommentare zur Kreisordnung ausdrücklich auch die Bekanntmachung der politischen Minderheitsmeinung empfehlen, wurde diese in der offiziellen Stellungnahme des Kreistages nicht aufgenommen.

Im Gegensatz zu den eigenfinanzierten Informationsmaterialen der Initiatoren SSW, WG-NF und ver.di Westküste gestattete sich der Kreis aus öffentlichen Geldern seine eigene Wahlkampffinanzierung. Neben einen an die nordfriesischen Haushalte verteilten Flyer des Landrates als Verkaufsbefürworter flatterten den BürgerInnen als Zeitungsbeilage noch ein total neues aufwendig gestaltetes Informationsblatt des Kreises ins Haus. Nicht überraschend, dass diese erstmalig erschienene Kreispublikation zum größten Teil die einseitige Darstellung der Krankenhausverkaufsbefürworter zum Inhalt hatte. Obwohl Bürgerbegehren und Bürgerentscheid faktisch keine echten Wahlkämpfe darstellen, sollte grundsätzlich über die Kostentragung der im Vorfeld stattfindenden Informationskampagnen eine klare Richtlinie vorgegeben werden.

Trauriges Erscheinungsbild in der öffentlichen Debatte bildeten Aufrufe und Appelle aus den Reihen von SPD und CDU an die wahlberechtigten BürgerInnen, am Abstimmungstag lieber zu Hause zu bleiben und das Wahlrecht nicht aktiv auszuüben. Es lebe die Demokratie.

Ursula Rummel
Fachbereich Gesundheitswesen, ver.di-Bezirk Westküste


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