(Gegenwind 164, Mai 2002)

Kernthesen gegen den Bau der Autobahn A20

Großräumige Umfahrung der Metropolregion Hamburg

(Bereich A1 bis einschließlich Elbquerung, Stand: 15. Dezember 2001)

Das Aktionsbündnis gegen die A 20 ist ein Zusammenschluss von zahlreichen Bürgerinitiativen bzw. Arbeitskreisen und Natur- und Umweltverbänden (NABU, BUND, ADFC, VCD u.a.) aus den Landkreisen Steinburg, Pinneberg und Segeberg. Es agiert überregional und überparteilich. Es setzt sich seit 1998 ein für eine Verkehrswende hin zu umweltfreundlichen Lösungen und wendet sich entschieden gegen die in Planung befindliche Weiterführung der Ostseeautobahn A 20 mit Elbquerung westlich von Hamburg.

Kurz vor Weihnachten 2001 wandte sich dieses Bündnis aus über 40 Bürgerinitiativen an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Die BIs forderten, den A20-Bau aus dem "vordringlichen Bedarf" des Bundesverkehrswegeplans zu streichen. Die BIs behaupten:

Zur Begründung hat das Aktionsbündnis seine Kernthesen gegen den Bau der Autobahn A20 im Bereich von der A1 bei Lübeck bis zur Elbquerung bei Glückstadt vorgelegt, die wir im Folgenden abdrucken.

(Redaktion)

1. Verkehrswirtschaftliche Effekte

1.1 Auslastung des Trassenabschnitts A1 bis A7

Schenkte man der Verkehrswirtschaftlichen Untersuchung (VwU) Glauben, die 1998 im Auftrag des Landes Schleswig-Holstein fertiggestellt und präsentiert wurde, wäre dieser Trassenabschnitt weit von der für eine BAB vorgesehenen Mindestauslastung in Höhe von ca. 25.000 Kfz pro Tag entfernt.
Für den aus planerischer Sicht optimistischsten Fall, dass die Elbquerung in der Variante III realisiert und ohne Maut betrieben würde, käme die Strecke zwischen Lübeck und Bad Segeberg auf ca. 17.000 und die Strecke zwischen Bad Segeberg und A7 auf lediglich 12.000 Kfz pro Tag. Neueste Verkehrszählungen in diesem Bereich haben sogar nur eine Auslastung mit 6.000 bis 8.000 KfZ/d ergeben, so dass die ursprünglich prognostizierten Werte selbst bei großzügig angesetzten Steigerungsraten kaum erreicht würden. Sicher der Hauptgrund, warum die Landesregierung die Zahlen nicht einmal auf Anfrage heraus gibt. Der Bau dieses Streckenabschnitts ergibt also nicht einmal bei Rahmenbedingungen einen verkehrswirtschaftlichen Sinn, die die Planer als optimal bezeichnen. Auch die VwU kommt zu dem Schluss, dass "der nordöstliche Abschnitt der A20 von der A7 bis zur A1 bei Lübeck...in allen Varianten nur geringe Bedeutung..." hat. Das prognostizierte Verkehrsaufkommen dürfte mit den bestehenden Bundesstraßen und ggf. einigen zusätzlichen Modifikationen - wie naturverträglich geplanten Ortsumgehungen - zu bewältigen sein.

1.2 Auslastung des Trassenabschnitts A7 bis einschließlich Elbquerung

Eine Elbquerung ist nach mehrfacher Aussage des Bundesverkehrsministeriums nur unter finanzieller Beteiligung privater Investoren denkbar, so dass seriöse Verkehrsprognosen beim Betrieb des Querungsbauwerkes eine Maut zugrunde legen müssen. Dabei werden an den Elbquerungen und ihren Zubringerstrecken nach Aussage der VwU für 2010 an normalen Werktagen je nach Variante folgende Verkehrszahlen prognostiziert: [1]

Tabelle 1: Verkehrszahlen mit Maut

Allein dieser Vergleich lässt aus Sicht des Aktionsbündnisses nur den Schluss zu, dass eine weitere Elbquerung im Zuge einer A20 im Verkehrsgefüge der Region eine vollkommen untergeordnete Rolle spielt. Auch der ihr zugedachten Funktion als intereuropäische Fernverkehrsmagistrale wird die A20 angesichts der prognostizierten Verkehrszahlen nicht gerecht werden. Die Anbindung an das europäische Fernstraßennetz ist in den nördlichen Bundesländern über die bestehenden Trassen vorhanden und prinzipiell ausreichend, sofern diese zumindest teilweise vom Quellverkehr entlastet werden.

1.3 Entlastung des Elbtunnels Hamburg (A7) durch eine Elbquerung A20

Der demnächst 8-spurig ausgebaute Elbtunnel auf der A7 ist durch die hohe Verkehrsbelastung ein Straßenengpass in der Metropolregion Hamburg. Ein Hauptargument für den Bau der A20 ist die Entlastung eben dieses Tunnels. Die VwU prognostiziert - leider ausschließlich ohne Bemautung der A20-Querung - folgende Entlastungseffekte: [2]

Tabelle 2: Verkehrsbelastung ohne Maut

Die Zahlen würden durch die vorgesehene Bemautung der A20-Querung schätzungsweise nochmals um ein Drittel reduziert. Die Entlastungseffekte der A20 wären so minimal, dass sie im täglichen Betrieb des Elbtunnels A7 kaum zu spüren wären. Das Verkehrswirtschaftliche Ergänzungsgutachten der Fa. PLANCO Consulting schätzt den Anteil des Quellverkehrs im Elbtunnel der A20 zwischen 50 und 80 Prozent. Verkehr also, der ausschließlich innerhalb der Region stattfindet und der wahrscheinlich durch die A20 neu induziert wird.
Die Landesregierung hat es bisher auch versäumt, die Effekte der 4. Elbtunnelröhre auf der A7 zu berücksichtigen, die in 2002 fertig gestellt werden soll. Ein schwerer Planungsfehler!
Aus unserer Sicht wäre es wesentlich effektiver, den Berufspendlern, die nach aktuellen Verkehrszählungen etwa zwei Drittel des Verkehrsaufkommens im Elbtunnel A7 stellen, eine wesentlich attraktivere Anbindung des ÖPNV bereitzustellen. Hier wären Entlastungspotenziale zu mobilisieren, die nach unserer Einschätzung um ein Vielfaches höher lägen und eine wirkliche Wende für das Nadelöhr Elbtunnel A7 darstellten.
Ein weiterer Lösungsansatz sind intelligente, verkehrslenkende Maßnahmen wie sie auf der A7 und A23 bereits in 2001 begonnen wurden, um die Verkehrsströme gleichmäßiger und damit flüssiger zu machen. Auch erscheint es sehr sinnvoll, den in die Metropole Hamburg hineinfließenden Zielverkehr durch geeignete Maßnahmen möglichst schnell von den Autobahnen abfließen zu lassen.
Auch der Hamburger Senat verfolgt im Rahmen seiner am 5. Dezember 2000 beschlossenen Verkehrsentwicklungsplanung [3] ähnliche Ziele. Aus Hamburger Sicht ist sogar die Realisierung der Ostumfahrung Hamburgs im Zuge der A21 vor der Westumfahrung A20 wünschenswert und prioritär.

1.4 Verkehrspolitische Rahmenbedingungen

Die von der Landesregierung Schleswig-Holstein präsentierten Prognosezahlen für das Verkehrsaufkommen 2010 berücksichtigen keine Alternativszenarien für den Fall, dass sich die politischen Rahmenbedingungen auf europäischer oder auf Bundesebene verändern. Nach unserer Einschätzung dürften sich die folgenden, neueren Entwicklungen und Erkenntnisse auf das Verkehrsaufkommen dämpfend auswirken:

Die prognostizierten Verkehrszahlen speziell für die geplante A20-Westumfahrung Hamburg werden aufgrund folgender Strukturmaßnahmen möglicherweise gar nicht erreicht [6]:

Fazit

Die von der Landesregierung vorgelegten verkehrswirtschaftlichen Untersuchungen basieren im Wesentlichen auf Daten und Rahmenbedingungen, die zu Beginn der 90er Jahre erhoben wurden. Zwischenzeitlich haben sich viele neuere Entwicklungen ergeben (s.o.), die gerade bei einem so prognostischen Gutachten im Rahmen einer Aktualisierung hätten eingearbeitet werden müssen. Die Folge wären sicherlich noch geringere Verkehrszahlen. Dennoch sind die vorgelegten Zahlen unseres Erachtens bereits das stärkste Argument gegen den Bau der A20. Es ist für uns rational nicht nachvollziehbar, warum die überwiegende Mehrheit der politischen Kräfte in Schleswig-Holstein sie dennoch weiterhin vorantreibt.

2. Kostenaspekte und Kosten-Nutzen-Relationen

Das Projekt A20 westlich von Lübeck ist nur auf Grund einer stark geschönten Kosten-Nutzen-Analyse in den vordringlichen Bedarf des BVWP gelangt und muss in dieser Hinsicht ernsthaft auf den Prüfstand gestellt werden. Die Landesregierung ist seit Beginn der Planung darum bemüht, die prognostizierten Kosten der A20 möglichst gering zu halten, damit das Projekt ein möglichst gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis erreicht.

2.1 Kosten der Neubaustrecke

Die Landesregierung rechnet zur Zeit mit einem Investitionsvolumen von 1,6 (Variante III) bis zu 2,3 Mrd. DM (1,76 Mrd. Euro) (Variante I) für die A20 von der A1 bei Lübeck bis zur Elbe [7, 8]. Auffallend ist, dass sich die bereits 1992 zu niedrig kalkulierten Kosten erneut deutlich verringert haben: Wurde 1992 der Autobahnkilometer (einschließlich Kreuzungsbauwerk Elbe) noch auf ca. 21 Millionen DM (10,7 Millionen Euro) geschätzt [9], so wird in den neuen Meldelisten zum BVWP nur mit ca. 16 Millionen DM (8,2 Millionen Euro) gerechnet. Wir halten diesen Preisverfall im Autobahnbau für unglaubwürdig. In diesen Zahlen sind etwaige Verteuerungen z.B. durch Führung der Trasse in Wannenform (in Wasserschutzgebieten) und Lärmschutzmaßnahmen nicht enthalten. Wir gehen davon aus, dass sich die Kosten bis zur Realisierung erheblich erhöhen werden.

2.2 Kosten des Elbtunnelneubaus

Die Kosten der Elbquerung werden von der Landesregierung viel zu niedrig angesetzt. Die geschätzten Baukosten für die südlichste Querung bei Hetlingen (3,1 Kilometer Länge) liegen bei 580 Mio. DM (296 Mio. Euro). Die nördlichste Querung bei Glückstadt (4,1 Kilometer Länge) wird mit 785 Mio. DM (401 Mio. Euro) veranschlagt [10].
Zum Vergleich: Die etwa 3 Kilometer lange und nur unwesentlich größere 4. Elbtunnelröhre im Zuge der A7 bei Hamburg hat bis dato 1.200 Mio DM (613 Mio. Euro) gekostet und wird bis zur Fertigstellung wohl bei ca. 1,5 Mrd. DM (767 Mio. Euro) liegen (geplante Kosten waren 450 Mio. DM/230 Mio. Euro). Weitere Referenzprojekte sind der Herrentunnel in Lübeck, Länge 840 m, geschätzte Kosten 360 Millionen DM (184 Mio. Euro) und die Warnow-Querung bei Rostock, Länge 800 m, geschätzte Kosten 500 Millionen DM (256 Mio. Euro).
Bedenkt man, dass es sich bei der A20 jeweils um 2-röhrige Tunnel handelt, erscheinen die Zahlen der Landesregierung geradezu absurd!
Im Rahmen der Voruntersuchungen des Wirtschaftministeriums SH wurde auch deutlich, dass sich die ursprünglich geplanten Tunnellängen, angesichts des hohen Raumwiderstandes in den Elbmarschen nicht halten lassen. Zwar differieren die Angaben der Planer zu den wirklichen Tunnellängen, es muss aber mit mindestens 4 bis 6 Kilometer (je nach Ort der Querung) gerechnet werden. Mit jeder Verlängerung insbesondere des Tunnels steigen aber die Kosten des Projekts erheblich.
Bemerkenswert ist ferner, dass auf Standstreifen und Pannenbuchten aus Kostengründen verzichtet werden soll, was angesichts der Vielzahl von verheerenden Tunnelunglücken der letzten Zeit unerträglich und sicherlich auch kaum öffentlich durchsetzbar ist (sog. "abgeminderte Regellösung"). Auch hier sind also Kostensteigerungen zu erwarten.

Fazit

Würde mit "ehrlichen" Kosten gerechnet, müsste die A20 aus dem vordringlichen Bedarf des BVWP gestrichen werden, insbesondere auch deshalb, weil die neuen Bewertungsmethoden von Straßenbauprojekten Umweltrisiken - zumindest teilweise - stärker berücksichtigen. Für besonders bedenklich halten wir, dass die Landesregierung Schleswig-Holstein sich konstant weigert, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Die tatsächlich entstehenden Kosten scheinen sogar irrelevant zu sein, was im Hinblick auf die "private" Finanzierung der Elbquerung deutlich wurde. Nach Aussage von Herrn Verkehrsminister Dr. Rohwer wird die Landesregierung die A20 bauen, egal wie hoch die Kosten ausfielen. Das Tunnelbauwerk gelte für ihn auch dann noch als "privat" finanziert, wenn die öffentliche Hand deutlich über 50 Prozent der Kosten tragen würde [11]. Ein Aspekt, der die Bürger/-innen vor Ort zweifeln lässt und den Geldgebern auf Bundesebene zu denken geben sollte. Die A20 ist volks- und verkehrswirtschaftlich nicht zu vertreten und hat sich zu einer "politischen Straße" entwickelt. Sie wird nur noch um ihrer selbst willen vorangetrieben und erfüllt keinen der ihr zugeschriebenen Zwecke.

3. Strukturpolitische Aspekte

Von Seiten der Landesregierung Schleswig-Holstein werden den gravierenden ökologischen Beeinträchtigungen eine prognostizierte verkehrliche Notwendigkeit und vermutete strukturpolitische Impulse gegenübergestellt. Es wird die Schaffung zahlreicher neuer Arbeitsplätze sowie die Ansiedlung von Gewerbe versprochen, ohne diese Annahmen etwa durch Gutachten zur Strukturwirksamkeit zu untermauern. Klar zu beziffern sind eigentlich nur die Verluste an Arbeitsplätzen z.B. in der Landwirtschaft und im Fährgewerbe (s. auch 5.3). Mittelbar besteht bei uns auch die Befürchtung, dass auch das produzierende Gewerbe in unserer Region durch den verstärkten Transitverkehr sogar leidet. Schon jetzt ist der Anteil an Konsumgütern, die in der Region produziert werden rückläufig. Verfolgt man außerdem die Entwicklung der in den letzten Jahren von vielen Gemeinden ausgewiesenen Gewerbegebiete, wird deutlich, dass eine Autobahnanbindung nur einer von vielen Standortfaktoren ist, die zu einer Ansiedlung von Betrieben gehört. Sie allein bringt noch keine Betriebe in die Region.
Wirtschaftsfachleute kommen im Gegenteil zu dem Schluss, dass eine zusätzliche Autobahn in dicht besiedelten Räumen eher dazu führt, dass Gewerbe abwandert bzw. angesiedeltes Gewerbe behindert wird. Die negativen Auswirkungen auf den Naherholungstourismus, der sich in Schleswig-Holstein stark entwickelt und immer mehr Arbeitsplätze schafft, sind durch die Zerschneidungswirkungen und Lärmauswirkungen der A20 erheblich.
Auch das Aachener Gutachten [12] bewertet den Nutzen der A20 sehr zurückhaltend. Danach ergeben sich die Nutzenelemente des Projektes aus der Saldierung von Belastungszu- und -abnahmen bei einer Variante gegenüber dem Prognose-Nullfall. Weiter wörtlich: "Dabei ist zu bedenken, dass die so ermittelten Nutzen weit unterhalb jeder Fehlergrenze liegen und somit nicht signifikant sind. Sie dürfen deshalb als Zahlenaussagen nicht verwendet werden; sie geben bestenfalls Tendenzen an. Im vorliegenden Fall liegen diese Änderungen und damit die Nutzenelemente teilweise weit unterhalb von 0,5 Prozent." An dieser Berechnung hat sich seither nichts geändert.
Viele der landschaftlich wertvollen Bereiche des Planungsraums, etwa die Elbmarschen von Wedel bis Glückstadt, oder die Gebiete um den Segeberger Forst, sind wichtige Naherholungsziele in der Metropolregion Hamburg. Gegenwärtig wird vielerorts sogar an Tourismuskonzepten gearbeitet, welche auch Arbeitsplätze schaffen sollen. Durch den Bau der A20 würden weite Gebiete für die Naherholung entwertet, Arbeitsplätze gefährdet oder ihr Entstehen verhindert. Durch weitere Anfahrtswege für Naherholungszwecke wird außerdem zusätzlicher Verkehr induziert.
Wirtschafts- und verkehrspolitisch sollten regionale Gegebenheiten wieder verstärkt Berücksichtigung finden, um Transporte zu minimieren. Dies sollte im Rahmen der zukünftigen Wirtschaftsförderung stärker beachtet werden. Erste Ansätze zum Umdenken in der Verkehrspolitik sind an den Bestrebungen der Bundesregierung zu Einführung von "Road-Pricing" zu erkennen. Sinnvoll sind insbesondere die Überlegungen des Bundesverkehrsministers Bodewig, eine höhere Maut für leere LKW einzuführen. Es erscheint uns wichtig, Verkehrsströme durch Verteuerung des Transports zu steuern, um auch die durch ihn entstehenden Schäden, nicht nur an den Straßen, sondern auch an der Umwelt, abzubilden.

4. Naturschutzbelange

Die Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung im Hamburger Umland erfolgt auf Siedlungsachsen sternförmig um das Zentralgebiet der Hansestadt [13]. Die Naturschutzplanung hat sich in Jahrzehnten auf die sich aus diesem Entwicklungskonzept ergebenden Vorgaben für die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung eingestellt. Auf dieser Basis ist unter erheblichen Kosten und nach langer Zeitdauer ein landesweites Biotopverbundsystem entstanden bzw. wird weiter entwickelt.
Die vorliegende A20-Planung durchbricht nun diese jahrzehntelang geltende Planung und die daraus entstandene Entwicklung. Sämtliche vorgeschlagenen Trassen laufen genau quer zu den Entwicklungsachsen und ignorieren die gesamte Siedlungs- und Naturraumwirklichkeit. Die Folge: Fast alle Naturschutz-, Vogelschutz- und FFH-Gebiete in diesem Raum werden überplant und durchschnitten. Hinzu kommt, dass einige der in der sog. "Sonnenliste" der Naturschutzverbände genannten potenziellen FFH-Gebiete im Rahmen der A20-Planungen nicht einmal benannt werden, obwohl gerichtlich festgestellt wurde, dass sie wie tatsächliche FFH-Gebiete behandelt werden müssten.

Straße

Der Bau der A20 in Schleswig-Holstein wäre also ein ungeheuer schwerwiegender Eingriff in den gesamten Natur- und Flächenhaushalt des Landes. Losgelöst von der Frage, welche der Varianten oder Untervarianten tatsächlich für eine Linienfindung bevorzugt würden, träfe eine Trasse in allen Gebieten auf vielfältige Konfliktschwerpunkte. Von der Hörner Au-Niederung im Bereich der Varianten I und I.1 über die Krückauniederung und das NSG Pagensand im Bereich der Trasse II, der Seestermüher Marsch mit Eschallen bis hin zum Himmelmoor, dem Tävsmoor und dem NSG Haseldorfer Binnenelbe, die die Variante III durchqueren müsste - Beispiele finden sich reichlich. Die naturschutzfachlichen Konfliktschwerpunkte sind so zahlreich, dass im Rahmen der Scoping-Termine zur UVS I im Mai 2000 aufgrund schwerwiegender Kritik aus den Verbänden, Gemeinden und Kreisbehörden sogar noch einige wichtige Gebiete nachgemeldet und eine zweite Umweltverträglichkeitsstudie (UVS II) durchgeführt werden mussten.
Die A20 würde - wohl aufgrund der niedrigen Grundstückspreise und durch die Notwendigkeit, Abstände zu den besiedelten Bereichen zu wahren - größtenteils direkt durch bisher unverbaute und häufig ökologisch sehr wertvolle Gebiete geführt werden. Die damit einhergehende Entwässerung von vielen Feuchtgebieten würde die Lebensgrundlagen von dort angepassten Arten zerstören und den Charakter der Gebiete nachhaltig verändern.
Die Zerschneidung bisher unverbauter Bereiche würde in das auf Landesebene mühsam errichtete Biotopverbundsystem unüberbrückbare Lücken schlagen. Schleswig-Holstein hat im Rahmen der Gebietsanmeldung für die FFH-Richtlinie aus Sicht EU-Kommission und der Naturschutzverbände ohnehin viel zu wenige Gebiete vorgeschlagen und überplant diese nun zum Teil noch durch das Vorhaben A20.

5. Schutzgut Mensch/Beeinträchtigungen im Wohnumfeld

Durch die A20 entstünden vielfältige Belastungen für das Wohnumfeld der betroffenen Bürger/-innen die ohne den Bau nicht in diesem Ausmaß oder in dieser Höhe entstünden.

5.1 Lärmbelastungen

Die A20 würde einen 5 Kilometer breiten Lärmkorridor quer durch Schleswig-Holstein darstellen, der bei einer Streckenlänge von mindestens 110 Kilometer in etwa 55000 Hektar Siedlungsgebiet verlärmen würde. Es würden Zigtausende von Bürgern/-innen betroffen, und zum Teil mit gesundheitsschädlichen Lärmkonzentrationen überzogen. Die A20 würde an einige Orte so eng herangeführt werden müssen, dass heute übliche Abstände für Wohnbebauung deutlich unterschritten würden. Auch Lärmschutzmaßnahmen lösen das Problem nicht, da diese nur eine engräumig begrenzte Wirkung haben, die sich bereits nach wenigen hundert Metern verliert und die durch die in SH häufig herrschenden Inversionswetterlagen leicht negiert werden wird. Dazu kommen diejenigen Streckenabschnitte, die aus verschiedensten Gründen aufgeständert verlaufen sollen und somit eine wesentlich weiter tragende Verlärmung der Umwelt verursachen.

5.2 Zerschneidung von Siedlungsgebieten

Die A20 teilt einen Siedlungsraum, der in dieser Hinsicht bereits sehr stark vorbelastet ist, was jüngst auch wissenschaftlich bestätigt wurde [14]. Es wurde gleichzeitig nachgewiesen, dass Schleswig-Holstein gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen zu den Bundesländern zählt, in denen der geringste Anteil der Flächen als unzerschnitten und somit verkehrsarm gelten kann (9,5 Prozent). Mecklenburg-Vorpommern verfügt dagegen über einen Anteil von 53 Prozent.
In der Praxis zerschneidet die A20 eine Reihe von Ortschaften und vor allem die landwirtschaftlich genutzten Flächen derart, dass sich für die heute noch intakten landwirtschaftlichen Betriebe aufgrund der längeren Wege zwischen den Flächen nach dem Bau die Existenzfrage stellt. Viele Flächen würden im Zuschnitt unrentabel und Ersatzflächen wäre wohl kaum für alle Betriebe zu bekommen. Um die unter 4. beschriebenen negativen Auswirkungen auf den Naturhaushalt auszugleichen würde eine enorme Menge an Ausgleichsflächen benötigt, so dass zusätzlich bisher landwirtschaftlich genutzte Flächen durch Ausgleich beansprucht würden. Als Folge dürften weitere Betriebe ihre Existenzgrundlage verlieren. Den verbleibenden Landwirten wird die Bearbeitung ihrer Flächen durch massive Zerschneidungseffekte und die daraus resultierenden ungünstigeren Verkehrsführungen erheblich erschwert. Um vormals benachbarte Flächen bearbeiten zu können, würden in extremen Fällen Umwege von mehreren Kilometern notwendig.
Besonders hart träfe es die im Bereich der vorgesehenen Querungen von A1, A7 und A23 gelegenen Orte. Sie würden seit 1974 bereits zum zweiten Mal von einer für die Gemeinden kaum zu überbrückenden Autobahn zerschnitten oder würden eng von den vorgesehenen Kreuzungsbauwerken umschlossen. Was dies in der Praxis bedeutet, lässt sich in der Gemeinde Hamberge bei Lübeck zur Zeit beobachten.

6. Verfahrensrechtliche Aspekte

Das Projekt "Nord-West-Umfahrung Hamburgs mit westlicher Elbquerung" ist im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 1992 als vordringlicher Bedarf eingestuft. Die Landesregierungen Schleswig-Holstein und Niedersachsen betreiben derzeit detaillierte Planungen zur Weiterführung der A20 westlich von Lübeck, mit Untersuchung von 4 Trassenvarianten und zahlreichen Untervarianten. Für das Frühjahr 2002 ist ein Variantenvorschlag der planenden Projektgruppe des Wirtschaftsministeriums Schleswig-Holsteins an die Entscheidungsträger vorgesehen.
Parallel zu den A20-Planungen findet die seit langem andauernde Überarbeitung des BVWP statt, wobei dieser wohl erst im Jahre 2003 verabschiedet werden wird. Danach wird im Bundestag der neue Bedarfsplan bzw. der neue 5-Jahresplan verabschiedet. Im Rahmen der Modernisierung der Bewertungsmethodik sollen alle Projekte inklusive der A20 u.a. durch eine neue Nutzen-Kosten-Analyse überprüft werden [15]. Vor dem Hintergrund, dass die Neufassung des BVWP voraussichtlich 11 Jahre nach der Vorgängerplanung beschlossen werden wird erscheint dies sehr angebracht. Die 1992 zugrunde gelegten Daten, anhand derer seinerzeit die verkehrliche Notwendigkeit festgestellt wurde, sind nach diesem Zeitraum überholt und müssen komplett neu ermittelt werden. 1992 votierten die Landesregierungen Schleswig-Holsteins und Niedersachsens im Bundesrat noch für eine Einstufung der A20 in den "weiteren Bedarf". Die Bundesregierung korrigierte diese Entscheidung und stufte das Projekt in den vordringlichen Bedarf ein, weil sie der A20 eine wichtige Funktion für die Entlastung des Elbtunnels im Zuge der A7 [16] beimaß. Wie wir heute wissen, wird die A20 diese Funktion aus o.g. Gründen (s. Punkt 1.3) kaum erfüllen - ein Argument mehr für die kritische Überprüfung der damaligen Entscheidung.

Für das Aktionsbündnis
Helge Margelowsky


Anmerkungen:
1 Quelle: Verkehrswirtschaftliche Untersuchung Großräumige Umfahrung der Metropolregion Hamburg 2/1998 und Ergänzungsgutachten Planco Consulting 6/2000
2 Quelle: Verkehrswirtschaftliche Untersuchung Großräumige Umfahrung der Metropolregion Hamburg 2/1998 (leider in diesem wichtigen Punkt noch immer nicht aktualisiert)
3 Quelle: Verkehrsentwicklungsplanung Hamburg - Leitlinien und Handlungskonzept für eine an Arbeit und Umwelt orientierte Verkehrspolitik in Hamburg, S.18
4 Quelle: BVM/Verkehr in Zahlen 2000
5 Quelle: Mehr Autos - weniger Emissionen, Szenarien des PKW-Bestands und der Neuzulassungen in Deutschland bis zum Jahr 2020 v. Sept. 1999 (Shell-Studie)
6 Grundlage: bundesweite Recherchen des internationalen Transporteurs Gerd H.J. Meyer 2000 / 2001
7 Quelle: VWU für eine großräumige Umfahrung der Metropolregion Hamburg, Ergänzungsgutachten, Planco-Consulting, Juni 2000, S.9
8 Meldung des Landes SH vom 14.03.2000 gem. Schreiben S 10/20.70.62/191Va 99 v. 05.01.2000
9 vgl. Aachener Gutachten zur NW-Umfahrung Hamburgs, Feb. 1992
10 vgl. VWU für eine großräumige Umfahrung der Metropolregion Hamburg, Ergänzungsgutachten, Planco-Consulting, Juni 2000, S.9
11 So geäußert im Rahmen einer öffentlichen SPD-Veranstaltung am 28.05.01 in Horst / Holstein
12 vgl. Aachener Gutachten zur NW-Umfahrung Hamburgs, Feb. 1992, Kurzfassung S. 54
13 Regionalplan Schleswig-Holstein, Neufassung 1996
14 Unzerschnittene verkehrsarme Räume in Deutschland 1999, Natur und Landschaft, 76 Jg. (2001) Heft 11
15 Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans, Natur und Landschaft, 76 Jg. (2001) Heft 8
16 Bundestagsdrucksache 12/3480 v. 22.10.1992, Entwuf zur 4. Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes

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