(Gegenwind 161, Februar 2002)

Vom spießigen Alt-Herren-Club zur "revolutionären" Speerspitze der Bewegung...

Kieler Nazi-Szene: Mélange aus NPD und "Freien Nationalisten"

Während mancherorts mit dem laufenden Verbotsverfahren gegen die NPD die Hoffnung verknüpft wird, dadurch würden die Aktivitäten und Organisierungsmöglichkeiten der rechtsextremen Szene eingedämmt, ist die NPD in Schleswig-Holstein, insbesondere der NPD-Kreisverband Kiel-Plön, in den letzten zwölf Monaten besonders aktiv und befindet sich in der aktiven Aufbau- und Rekrutierungsphase. Dabei geht diese Entwicklung vor allem in Kiel eng einher mit dem zunehmenden Einfluss der "Freien Nationalisten" und "Kameradschaften".

Als im September 1998 die NPD-Schleswig-Holstein anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl eine öffentliche Wahlkampfveranstaltung in der Kieler Innenstadt durchzuführen versuchte, war das für Kiel ein bislang ungewohntes Szenario: Muster-Glatzen im entsprechenden Outfit verteilten NPD-Propagandamaterial, Ingo Stawitz (damals noch anerkannter Landesvorsitzender der NPD) bemühte sich um rassistische Hetz-Tiraden und eine Ordnertruppe sollte dafür sorgen, dass die Kundgebung störungsfrei über die Bühne liefe. Dank des prompten Eingreifens von eilig mobilisierten AntifaschistInnen musste die Veranstaltung jedoch schon nach einer halben Stunde abgebrochen werden und die Nazis mussten kleinlaut von dannen ziehen. Dennoch war dies nach Jahren wieder die erste größere öffentliche Veranstaltung von Neonazis in Kiel, wenn auch mit zahlreicher Unterstützung aus Schleswig-Holstein und Hamburg.

Die Kieler Jungfascho-Szene schien bis dato weitgehend unorganisiert und trat fast gar nicht öffentlich in Erscheinung. Zu dieser Kundgebung waren allerdings etliche örtliche Nazis wieder aus der Versenkung aufgetaucht, nachdem sie zuletzt besonders Anfang der neunziger Jahre durch diverse Gewaltdelikte von sich Reden gemacht hatten, wie zum Beispiel Kai-Luwig Höllriegl oder Mario Hermann aus Kiel. Beide traten bei der NPD-Kundgebung äußerst (ge-)wichtig als Ordner auf. Organisiert wurde der Ordnerdienst von Peter Borchert, ebenfalls einschlägig bekannter Kieler, der erst kurze Zeit zuvor aus dem Knast entlassen worden war, wo er insgesamt über sechs Jahre seines Lebens hatte verbringen dürfen. Unterstützt wurde der Ordnerdienst von Kameraden aus Hamburg und Schleswig-Holstein, die wie Peter Borchert dem Spektrum der "Freien Nationalisten" zuzuordnen waren.

Schon kurz nach der missglückten Kundgebung wurde deutlich, daß sich in Kiel wieder eine aktive und zunehmend organisiertere Nazistruktur bildete, innerhalb derer Peter Borchert eine wichtige Rolle spielt. Dank seiner guten Kontakte zu führenden Kadern der "Freien Nationalisten" wie Christian Worch und Thomas "Steiner" Wulff aus Hamburg oder Jan Steffen Holthusen, Mitarbeiter der inzwischen verbotenen Nazi-Postille "Hamburger Sturm", aber auch zum Neumünsteraner Nazi-Treff "Club 88" oder zu Aktivisten der ebenfalls inzwischen verbotenen "Blood &Honour"-Musikszene, sorgte er für eine rasche Anbindung an die landesweiten Neonazi-Strukturen. Insbesondere die seit 1998 immer häufiger stattfindenden Aufmärsche von Neonazis in der BRD haben zu einer Festigung der Strukturen auch in Schleswig-Holstein beigetragen. So fand denn auch kaum ein Aufmarsch ohne die Kieler Kameradschaft um Peter Borchert statt. Dabei übernahmen die Kieler oftmals den Ordnerdienst und Borchert fungierte als Koordinator der Sicherheitstruppe.

Das erste große Ereignis in Kiel selbst war der Aufmarsch gegen die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht am 30. Januar 1999, zu der knapp 1000 Nazis aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. Da in Kiel ein recht breit angelegtes Bündnis gegen den Nazi-Aufmarsch aktiv wurde, versuchten vier ganz mutige NPD-Mitglieder spät abends ein vermeintliches Treffen des Antifa-Bündnisses in einem linken Kulturzentrum auszuspionieren. Allerdings wurden sie dabei ertappt und des Geländes verwiesen und kurz danach von der Polizei festgenommen, da sie u.a. mit einer Gaspistole um sich geschossen hatten und Bewohner des Hauses mit Messer und Knüppel bedroht hatten.

Mit dabei war der damalige NPD-Kreisvorsitzende Gunnar Fragel aus Kiel, der auch zur Landtagswahl 2000 für die NPD kandidierte. Des weiteren Roland Siegfried Fischer, der bei seiner Vernehmung damit prahlte, eine Anti-Antifaliste mit 40 Adressen aus der Kieler linken Szene erstellt zu haben und Peter von der Born, der ebenfalls zur Stammbelegschaft der Kieler Kameradschaft gehört und sich inzwischen zum Kieler NPD-Cheforganisator gemausert hat. Der allermutigste Anti-Antifa-Aktivist bei dieser Aktion, Patrick Thiele, ballerte sich vor lauter Schreck den Weg mit seiner Gasknarre frei. Auch er ist seit einigen Jahren Mitglied der NPD, pflegt aber wie von der Born beste Kontakte zu den Strukturen der "Freien Nationalisten". Vor allem Peter von der Born und Patrick Thiele gehören von Anfang an zum festen Kern der Kieler Naziszene und werden von Peter Borchert protegiert.

Seit dem Aufmarsch am 30. Januar 1999 in Kiel fielen sie zunächst durch das Verteilen von NPD-Propagandamaterial in der Kieler Innenstadt auf und durch die Teilnahme an diversen Nazi-Aufmärschen. Zum anderen versuchten sich die Kieler Nazis häufiger als Anti-Antifa-Aktivisten. Beim Prozess gegen Safwan Eid (wegen des Brandes in der Lübecker Flüchtlingsunterkunft von 1996) erschienen zum Prozessauftakt Peter Borchert, Patrick Thiele und Mario Hermann aus Kiel sowie Jan Steffen Holthusen, um antifaschistische ProzessbeobachterInnen zu fotografieren; wiederholt wurden Kieler Neonazis zudem in den letzten Monaten dabei beobachtet, wie sie Läden oder Kneipen fotografierten, die von ihnen wohl in irgendeiner Form der "Linken" zugerechnet werden.

Beteiligten sich die Kieler Neonazis insbesondere im Herbst und Winter 2000 noch an der Kampagne der NPD gegen das bevorstehende Verbotsverfahren, wurden im Frühjahr auch mal selbst gefertigte Flugblätter verteilt. Die Situation eskalierte im Mai und Juni 2001, als es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen größeren Gruppen von AntifaschistInnen und Neonazis gab, die sich Unterstützung von außerhalb organisiert hatten. Bei solchen Verteilaktionen war von den Neonazis gezielt Gewalt gegen AntifaschistInnen angewandt worden, um diese einzuschüchtern und von weiteren Protesten abzuhalten. Im zweiten Halbjahr 2001 zeigten sich die Kieler Neonazis deutlich seltener in der Stadt; inzwischen werden bei den - entgegen allen großmäuligen Ankündigungen, man werde sich auch in der "Frontstadt Kiel" auf der Straße durchsetzen - selten gewordenen Flugblattverteilungen in der Kieler Innenstadt vor allem Materialien der sog. "Freien Nationalisten" um das Hamburger "Aktionsbüro Norddeutschland" verteilt. Der Rückgang der öffentlichen Auftritte darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kieler Neonazis weiterhin ihre Strukturen ausbauen und neuen Anhang rekrutieren, z.B. bei Fußballspielen. Es finden nach wie vor sog. "Kameradschaftsabende" statt, zu denen ausdrücklich NPD-Mitglieder und die Kieler Kameradschaft eingeladen sind. Und nach wie vor existieren auch - trotz gelegentlicher Rückschläge, wie etwa der gescheiterten Versuche, im Puff-Viertel Nazi-Konzerte durchzuführen - gute Kontakte ins Rotlicht-Milieu.

Enough is Enough

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