(Gegenwind 161, Februar 2002)

Abschiebungen kurdischer Flüchtlinge

"... dass sich das niemals in meinem Leben wiederholt"

Kein Regierungswechsel auf Landes- oder Bundesebene hat etwas daran geändert: Weiterhin werden politisch verfolgte Kurdinnen und Kurden aus Deutschland in die Türkei abgeschoben. Auch der in Oldenburg/Ostholstein lebende Hulusi Selcuk soll jetzt ausgewiesen werden.

Gegenwind:

Warum sind Sie aus der Türkei geflohen?

Hulusi Selcuk:

In der Türkei gab es einen schrecklichen Krieg zwischen dem Staat und der PKK. Viele, die die PKK unterstützen, wurden verfolgt gefangen genommen und gefoltert oder mindestens bedroht. Wir lebten in einem kleinen Dorf im Südosten der Türkei, als Zivilisten zwischen beiden Seiten. Dort hatten wir keine Chance, denn wir haben die kurdische Seite unterstützt. Ich war ständig unter Druck und wurde auch mehrmals verhaftet. Deswegen bin ich aus der Türkei geflohen.

Gegenwind:

Welches Dorf war das, wie groß war es?

Hulusi Selcuk:

Das Dorf heißt Baslama, bestand aus ungefähr 150 Häusern, dort lebten 1500 Einwohner.

Gegenwind:

Was hat die türkische Armee in diesem Dorf gemacht?

Hulusi Selcuk:

Anfang 1988 wurde vor dem Dorf eine Militärwache gebaut, die wurde zu einem Stützpunkt mit 1000 Soldaten ausgebaut. Täglich wurden die Einwohner schikaniert und häufig auch festgenommen, manchmal nur "zum Spaß". Sie wollten, dass wir mit der Armee zusammenarbeiten, wir sollten auf türkischer Seite als Miliz, als "Dorfschützer" mitmachen. Wenn es militärische Kämpfe zwischen der Armee und der PKK gab, wurden die Einwohner und auch Leute aus der Umgebung auf dem Dorfplatz zusammengetrieben, geschlagen und bedroht, auch gefoltert. Sie haben uns ständig beschimpft. Unter dem ständigen Druck haben wir auch psychisch sehr gelitten. Das ist eine Methode der türkischen Regierung, die Leute psychisch fertig zu machen. Seit 1990 gab es eine Art Embargo gegen alle Dörfer unseres Kreises, ungefähr 90 Dörfer, es gab Listen, was wir einkaufen dürfen und was nicht. Alle Fahrten und Einkäufe wurden kontrolliert. Es war verboten, das Dorf ohne Grund zu verlassen, insbesondere durften wir im Sommer nicht in die Berge gehen. Das hatten wir bis dahin immer gemacht, wenn es sehr heiß war. Dann gab es eine Ausgangssperre, täglich ab 18 Uhr durften wir nicht mehr nach draußen, selbst Kranke durften nicht zum Arzt. Wir durften auch keine befreundete Familie besuchen. Das Leben dort wurde so schrecklich, ich weiß gar nicht, ob ich das jetzt alles beschreiben kann. Auch was wir tagsüber öffentlich erdulden mussten, kann ich gar nicht schildern, es gab sehr viele versteckte Demütigungen. Vieles ist nie veröffentlicht worden, wir konnten uns ja auch nicht an Abgeordnete oder Organisationen wie den türkischen Menschenrechtsverein wenden. Und hier, in Deutschland, dürfen wir alles erzählen, aber hier glaubt man uns nicht.

Hulusi Selcuk

Gegenwind:

Haben Sie versucht, im Westen der Türkei zu leben?

Hulusi Selcuk:

Das habe ich 1994 und 1995 versucht, das ging auch nicht. 1994 kamen wir nach Istanbul, weil ich auch in Kurdistan sehr bekannt war inzwischen. Doch man sieht uns an, dass wir aus dem Osten kommen. Und wenn man auf der Arbeitsstelle oder auf der Straße kurdisch spricht, wird man wieder bedroht und verfolgt. Die Situation, die wir aus Kurdistan kannten, haben wir auch in der Westtürkei wieder erlebt. Wenn wir protestiert haben, wenn wir sagten, wir sind Kurden, wir wollen diese Gewalt nicht länger ertragen, wir sind Menschen und wollen auch leben, dann wurden wir bei der Polizei angezeigt, man sagte uns, wir seien Terroristen. Ein anderes Beispiel: Ich war einmal krank und ging zum Arzt, der Arzt sah meinen Ausweis und sagte sofort: "Sie sind Terrorist, Sie unterstützen die PKK, Sie kommen zuletzt dran, Sie stören uns hier", und er hat mich nicht drangenommen und nicht untersucht, sondern wieder weggeschickt. Das war in Istanbul.

Gegenwind:

Sie sprechen von "wir". Wie groß ist Ihre Familie?

Hulusi Selcuk:

Meine Frau kommt aus dem gleichen Dorf, wir sind seit 1986 verheiratet. 1988 kam unsere Tochter zu Welt, und das zweite Kind ist 1991 geboren.

Gegenwind:

Wann kamen Sie nach Deutschland?

Hulusi Selcuk:

Ich kam 1995 nach Deutschland, wir kamen nach Hamburg zum älteren Bruder meiner Frau. Wir haben zwei Wochen bei ihm gelebt, und dann haben wir einen Asylantrag gestellt.

Gegenwind:

Wie war das Asylverfahren? Wurden Sie fair behandelt?

Hulusi Selcuk:

Der Anhörer hat uns mit Interesse befragt, er hat besonders nach dem gefragt, was wir erlebt haben. Mit der Anhörung war ich zufrieden. Die übrigen Behörden waren normal, sie haben uns nicht besonders schlecht behandelt. Wir haben uns auch freundlich und friedlich verhalten, haben nie irgendwelche Straftaten begangen. Wo ich mit meiner Familie lebe, haben wir normalen und freundlichen Kontakt mit den Nachbarn. Die Kinder sind in der Schule mit den Lehrer sehr zufrieden, die sind alle sehr nett. Mit Ärzten hatten wir noch nie Probleme, wenn wir krank sind, werden wir untersucht und behandelt. Schlecht war es beim Verwaltungsgericht. Der Richter war nicht nett, er hat uns nicht zugehört. Er hat uns nicht ernst genommen. Wir sind als vierköpfige Familie seit fast sieben Jahren in Deutschland, das hat den Richter überhaupt nicht interessiert. Er wollte mein Asylverfahren so schnell wie möglich zu Ende bringen, mich ablehnen. Er hat nur mich gefragt, meiner Frau und den Kindern hat er gar nicht zugehört, auch nichts gefragt. Wie wir leben, was wir machen, hat ihn nicht interessiert. Das war sehr schwer für unsere ganze Familie. In der Türkei hatten wir gehört, dass es hier in Deutschland Demokratie gibt und eine gerechte Justiz, aber der Richter war gnadenlos.

Gegenwind:

Sie sind im Dezember abgelehnt worden und sollen im Januar ausreisen. Wie geht es Ihnen jetzt?

Hulusi Selcuk:

Wir sind leider überhaupt nicht gesund, besonders meine Frau. Sie hat seit vier Jahren eine chronische Krankheit. Ich hatte im letzten Jahr Hepatitis B, ich wurde sechs Monate lang in Lübeck behandelt. Den Kindern geht es gut, sie sind auch in der Schule sehr gut, bringen fast nur Einsen und Zweien nach Hause. Ich habe Arbeit und verdienen genug, dass die ganze Familie seit fast einem Jahr keinen Pfennig Sozialhilfe mehr bekommt. Aber ich arbeite nicht nur, ich bin auch politisch aktiv.

Gegenwind:

Sie sollen jetzt in die Türkei zurückkehren. Was denken Sie, wie es Ihnen dort ergeht?

Hulusi Selcuk:

Seit 1994 habe ich in der Türkei illegal gelebt, weil ich gesucht werde. Das war wegen meiner politischen Aktivitäten, es gab auch Verfahren vor dem Staatssicherheitsgericht. Vorher war ich schon zweimal in Haft. Was sie jetzt machen, falls ich abgeschoben werde, weiß ich nicht. Es kann sein, dass sie mich gleich umbringen, es kann auch sein, dass sie mich nur kurz kontrollieren und sechs Monate später verhaften. Vielleicht lassen sie mich auch nach vier Wochen einfach verschwinden, ich weiß, dass das anderen passiert ist. Aber ich erinnere mich daran, was sie mir damals getan haben. Ich will, dass sich das niemals in meinem Leben wiederholt.

Interview: Reinhard Pohl

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