(Gegenwind 159, Dezember 2001)

Alltäglicher Rassismus - ein Beispiel aus Lübeck

"... dass diese Nachbarn Rassisten sind"

Das Flüchtlingsforum in Lübeck unterhält eine Beratungsstelle für MigrantInnen. Die meisten Probleme drehen sich um Asylverfahren und die damit verbundenen Auseinandersetzungen mit Behörden und vor Gericht. Ein "Beratungsfall" fiel in diesem Jahr aus dem Rahmen: Majawa Tomas aus Angola hatte Probleme mit rassistischen Nachbarn. Wir besuchten sie und machten mit ihr folgendes Interview.

Gegenwind:

Du hast Probleme mit deinen Nachbarn, haben wir gehört. Wie lange existieren diese Probleme schon? Wann fingen sie an?

Majawa Tomas

Majawa Tomas:

Ich bin am 1. Oktober 2000 hier eingezogen, weil meine alte Wohnung zu klein war, und die Probleme fingen sofort an. Vorher wohnte ich in der Lindenstraße, da hatte ich keine Probleme. Vielleicht liegt das daran, dass dort fast nur Ausländer wohnen. Hier im Haus wohnt jetzt noch eine russische Familie, sonst nur Deutsche.

Gegenwind:

Kannst du beschreiben, wie diese Probleme anfingen?

Majawa Tomas:

Ich habe die Wohnung hier eingerichtet, und ein Bekannter half mir. Am zweiten Tag brachten wir Gardinenbretter an, dazu benutzten wir eine Bohrmaschine. Sofort klingelte es, und Nachbarn beschwerten sich, dass wir zu laut seien, das dürften wir so spät nicht mehr.

Gegenwind:

Wie spät war das denn?

Majawa Tomas:

Das war um 18 Uhr. Wir haben dann aufgehört und am nächsten Nachmittag weitergemacht. Wir bohrten um 16 Uhr, wieder klingelten die Nachbarn und beschwerten sich. Da ahnte ich schon, was das für Nachbarn waren.

Gegenwind:

Wie ging das dann weiter?

Majawa Tomas:

Die Nachbarn haben sich laufend beschwert, klingelten bis zu viermal am Tag. Mal waren die Kinder zu laut, mal waren sie angeblich mit schmutzigen Schuhen durch das Treppenhaus gelaufen, mal hatte ich angeblich das Treppenhaus nicht richtig sauber gemacht. Ich bekam ein neues Sofa und stellte das alte für ein paar Tage, bis zum Sperrmülltermin, auf den Balkon. Sofort gab es eine Beschwerde, das Sofa würde stinken, es käme Ungeziefer ins Haus.

Gegenwind:

Kamen die Nachbarn immer direkt zu dir?

Majawa Tomas:

Nicht immer, sie schrieben auch Briefe an die Wohnungsgesellschaft, die Bauhütte. Sie beschwerten sich, ich würde den ganzen Tag arbeiten und die Kinder alleine lassen. Klar arbeite ich den ganzen Tag - aber als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern bin ich den ganzen Tag Hausfrau. Ich lasse die Kinder auch mal alleine. Aber vormittags gehen sie zur Schule oder in den Kindergarten, und wenn ich nachmittags mal zu einer Behörde muss oder einkaufe, soll ich da immer alle vier Kinder mitnehmen?

Gegenwind:

Wie alt sind die Kinder denn?

Majawa Tomas:

Sie sind 4, 6, 9 und 11 Jahre alt. Die 11jährige kann schon mal für eine Stunde auf die anderen aufpassen, wenn ich einkaufe.

Gegenwind:

Wie reagierte die Wohnungsbaugesellschaft?

Majawa Tomas:

Sie schrieben mir Briefe. Darin stand, ich solle leiser sein, ich solle auf meine Kinder besser aufpassen - ich habe immer gesehen, dass das nicht stimmt, was in den Briefen steht, und sie deshalb gleich weggeschmissen.

Gegenwind:

Du hast nicht geantwortet?

Majawa Tomas:

Nein, die Briefe stimmten ja nicht. Ich habe sie sofort weggeschmissen. Dann kam aber ein Brief vom Rechtsanwalt der Bauhütte. Und dann habe ich mir Hilfe gesucht.

Gegenwind:

Wohin bist du gegangen?

Majawa Tomas:

Ich ging zum Flüchtlingsforum. Die kannte ich, weil sie mir beim Asylverfahren geholfen hatten. Ich komme aus Angola, der Asylantrag wurde abgelehnt, aber ich habe dann eine Aufenthaltsbefugnis nach der Altfallregelung bekommen. Ich war zuerst bei Leman, dann bei Heike, und die hat mit der Bauhütte telefoniert. Sie hat ihnen gesagt, dass das alles Lügen sind. Ich war dann mit einer deutschen Nachbarin bei der Bauhütte im Büro.

Gegenwind:

Du hattest also auch hier Unterstützung?

Majawa Tomas:

Ja. Meine Kinder haben mit den Kindern einer deutschen Nachbarin gespielt. Sie wohnen nicht hier im Haus, sondern auf der anderen Seite vom Spielplatz. Die Kinder sind dann auch zusammen hierher gekommen. Und diese Nachbarin, Frau Bonin, hat dann Anrufe von Leuten hier im Haus bekommen. Wieso sie ihre Kinder hier spielen lässt, die Wohnung wäre doch voller Ungeziefer, hier gäbe es überall Kakerlaken. Sie ist dann sofort zu mir gekommen, sie war wohl erschrocken. Sie hat dann aber meine Wohnung gesehen, und meine Wohnung sieht ganz normal aus. Sie hat mich dann unterstützt und ist mit mir zur Bauhütte gegangen, und wir haben dort erzählt, dass diese Nachbarn nur Rassisten sind.

Gegenwind:

Wieviele Nachbarn sind das denn?

Majawa Tomas:

Das sind vier Familien, aus vier Wohnungen hier im Haus kommen die Beschwerden.

Gegenwind:

Und diese Familien haben selbst Kinder, von denen man nie etwas hört?

Majawa Tomas:

Quatsch. Das sind auch ganz normale Kinder, die sind genauso laut wie alle anderen Kinder. Ich bin ganz zu Anfang auch mal hochgegangen, als die Kinder gerade vom Spielen gekommen war. Ich habe oben geklingelt, um zu sagen, dass ihre Kinder auch laut sind. Aber sie waren so aggressiv, dass ich lieber wieder gegangen bin. Ich hatte Angst, dass wir uns sonst schlagen, wenn ich darauf bestehe. Mein Bekannter hat mich dann auch beruhigt und mir gesagt, ich sollte das lieber ignorieren.

Gegenwind:

Haben sich die Nachbarn auch noch an andere gewandt?

Majawa Tomas:

Bestimmt. Ich weiß von einem anonymen Brief, der beim Jugendamt ankam. Da stand drin, dass ich mich nicht um meine Kinder kümmere, die Wohnung völlig dreckig wäre, ich ihnen kein Essen mache und sie mehr als 24 Stunden alleine lasse. Wie kann das sein? Sie gehen in den Kindergarten und in die Schule, ich bin nicht berufstätig. Ich bin zum Jugendamt hingegangen und habe gesagt, dass es Lügen sind. Sie sagten dann, das wäre erledigt. Ich habe gesagt, das ist nicht erledigt. In dem Brief stand, meine Wohnung wäre verdreckt und voller Ungeziefer, ich will, dass jemand vom Jugendamt meine Wohnung kontrolliert. Er ist dann auch gekommen, aber nach zwei Minuten wieder gegangen. Es war ja auch nichts.

Gegenwind:

Du hast die ständigen Beschwerden einfach so ausgehalten?

Majawa Tomas:

Ja. Es hat dann irgendwann aufgehört. Ich nehme an, die Bauhütte hat auch Briefe an meine Nachbarn geschickt. Aber es ist schon so, dass die Kinder hier im Haus nicht mit meinen Kindern spielen dürfen. Außerdem grüßt mich niemand, auch wenn ich den Nachbarn im Treppenhaus "Guten Tag" sage. Die Bauhütte hat mir geraten, jetzt auszuziehen. Ich wollte erst nicht. Ich wollte selbst entscheiden, wo ich wohne und wann ich ausziehe. Eigentlich müssten meine Nachbarn einen Brief kriegen, dass sie ausziehen sollen. Aber die Bauhütte hat mir eine Wohnung im Block gegenüber angeboten, das ist eine Vier-Zimmer-Wohnung, hier habe ich nur drei Zimmer, und die Wohnung ist nur wenig teurer. Deshalb ziehe ich jetzt dorthin um.

Das Interview führte Reinhard Pohl.

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