(Gegenwind 158, November 2001)

Anschläge: Der 11. September und die Folgen

Landtag sorgt für Sicherheit

Um die Sicherheit vor Terroranschlägen ging es auf der dreitägigen Oktober-Sitzung des schleswig-holsteinischen Landtages. Regierung und Opposition hatten Gesetzesvorschläge vorgelegt, die sich allerdings wenig unterschieden. Verabschiedet wurde letztlich ein Maßnahmenpaket im Wert von 10 Millionen Euro. Wo das Geld herkommen soll, ist noch nicht entschieden.

Mehr Polizei, mehr Verfassungsschutz, zusätzliche Stellen bei Staatsanwaltschaft und Richtern sowie die Einführung der präventiven Rasterfahndung sind nach Ansicht der Landtagsmehrheit die geeignete Antwort auf die Terroranschläge in New York. Verabschiedet wurden somit ausschließlich repressive Maßnahmen, ohne die Ursachen der Anschläge zu berücksichtigen.

„Der barbarische Anschlag auf die USA war ein Anschlag auf die gesamte freie Welt”, behauptete der innenpolitische Sprecher der CDU, der Landesvorsitzende Johann Wadephul. „Die Illusion einer »heilen Welt«, in der wir vermeintlich vor dem 11. September gelebt haben, ist geplatzt. Es gibt keine heile Welt! Es gibt Unheil, Angst und Krieg.” Und: „Wir in der freien Welt müssen alles tun, um unsere Freiheit zu verteidigen.” Anschließend stellte die CDU ausschließlich Anträge, die Freiheit einzuschränken: Außer der präventiven Rasterfahndung will die CDU die Schleierfahndung, d.h. ein Netz verdachtsunabhängiger Kontrollen von Autofahrern durchsetzen.

Die FDP, die kleinere Oppositionspartei, mochte dem nicht folgen. Zwar sprach sich Fraktionschef Wolfgang Kubicki für die meisten Vorschläge aus, aber: „Nicht, weil ich glaube, dass er (der Antrag) auch nur ansatzweise mit der Bekämpfung des Terrorismus etwas zu tun hat.” Denn: „Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht Menschen in ein Raster zwängen, in das sie nicht hineingehören. Timothy McVeigh, der in Oklahoma ein Gebäude in die Luft sprengte, war kein Moslem. (...) Mich hat es merkwürdig berührt, dass Ministerpräsidentin Simonis in der Pressekonferenz, in der sie Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung vorstellte, auch davon sprach, sie wolle es nicht dulden, wenn Lehrerinnen moslemischen Glaubens ein Kopftuch in der Schule tragen. (...) Führt das Tragen von Kopftüchern zum Terrorismus?” Die FDP wollte den meisten Vorschlägen zustimmen, weil sie auch ohne Anschlag in New York für die Aufstockung von Polizei und Justiz war.

SPD-Fraktionsvorsitzender Lothar Hay stellte sich nochmal ausdrücklich hinter die Entscheidung der USA, Afghanistan anzugreifen: „Kriege führen immer auch zu Toten unter der Zivilbevölkerung. Aber welche Alternative gäbe es zum derzeitigen Vorgehen? Für mich persönlich keine! Ich glaube, dass menschenverachtende Terroristen wie Bin Laden Verhandlungen jetzt nur als Zeichen von Schwäche werten würden.” Nicht erklären konnte er allerdings die Maßnahme, die AnwärterInnen-Stellen (das sind freie Lehrstellen) bei der Polizei um 100 zu erhöhen: Schon bisher gibt es mehr Stellenangebote als geeignete BewerberInnen. Die meisten BewerberInnen bei der Polizei scheitern an fehlender Bildung. „Wir (werden) für die 100 neu zu besetzenden Stellen um so intensiver werben müssen.”

Der Vorsitzende der kleinen Regierungsfraktion, Martin Hentschel von Bündnis 90/Die Grünen, äußerte sich kritisch zum Krieg: „Wenn es gelingt, die Taliban-Regierung zu stürzen, Bin Laden zu fangen und seine Camps zu schließen, dann ist das ein Gewinn an Sicherheit. Wenn es statt dessen gelingt, in großen Teilen der arabischen Welt die extremistischen islamistischen Organisationen zu stärken und den Hass auf die USA in weiten Teilen der Welt zu vergrößern, dann ist das kein Gewinn an Sicherheit.” Auch die vorgeschlagenen Gesetzesverschärfungen kommentierte er kritisch: „Was nützen Maßnahmen gegen arme illegale Flüchtlinge, wenn wir es mit Leuten zu tun haben, die wohlhabend, legal und gesetzestreu unter uns leben?” Er warnte vor der Einrichtung eines „Islamismus-Referats” beim Verfassungsschutz: „Stellen Sie sich bitte vor, welche Schlagzeilen es bei uns gäbe, wenn in Ägypten im Geheimdienst ein Christenreferat gegründet würde.”

Ähnlich kritisch äußerte sich Anke Spoorendonk, Sprecherin des SSW im Landtag: „Besonders erschreckend ist es für den SSW, dass jetzt Maßnahmen Hochkonjunktur haben, die wir bisher als untauglich für die Kriminalitätsbekämpfung oder schädlich für die freiheitlichen Grundrechte angesehen haben.” Und: „Eines möchten wir ganz sicher nicht: dass bei ausländischen und deutschen Bürgern unterschiedliche Rechtsmaßstäbe angewandt werden.”

Schleierfahndung und Kronzeugenregelung wurden vom Landtag abgelehnt. Schnell einig waren sich die Fraktionen über die verdachtsunabhängige Rasterfahndung, nicht aber über die genaue Ausgestaltung. Das Gesetz gilt jetzt befristet für fünf Jahre, dann soll die Regierung über Erfolge berichten. Die repressive Rasterfahndung, d.h. die Suche nach TäterInnen mithilfe von Datenabgleich, ist bereits Gesetz (verankert in der Strafprozessordnung auf Bundesebene), dafür gibt es vier Beamtenstellen. Beschlossen wurde jetzt auf Landesebene die vorbeugende Rasterfahndung nach Menschen, die noch nichts Verbotenes gemacht haben, zwölf zusätzliche Beamte werden dafür eingestellt, allerdings niemand für die anschließende Verwertung der gewonnenen Daten. D.h. in Zukunft ist es erlaubt, mit richterlicher Anordnung die Dateien von Universität, Ausländerbehörde, Krankenversicherung und anderen nach z.B. arabischen Studenten ohne Vorstrafen, aber mit Fluglizenz zu durchsuchen. Dem Gesetz nicht zugestimmt haben die drei SSW-Abgeordneten sowie Wolfgang Kubicki (FDP) und Konrad Nabel (SPD).

Der Verfassungsschutz erhält sechs zusätzliche Stellen und damit eine zweite Observationsgruppe, diese soll IslamistInnen beobachten. Bei der Polizei gibt es 100 weitere Ausbildungsplätze. Dazu werden jetzt für das Auswahlverfahren tausend neue BewerberInnen gesucht, durchschnittlich kommen aus 100 besetzten Ausbildungsstellen 65 fertige PolizistInnen raus. Sechs Stellen werden der Staatsanwaltschaft dazugegeben, und drei neue RichterInnen für Strafsachen werden bezahlt.

Das nötige Geld wird voraussichtlich zu einem Viertel (2,8 Millionen Euro) durch Kreditaufnahme finanziert, der Rest soll durch Kürzungen im Sozialbereich zusammengekratzt werden.

Insgesamt wird sich durch die Verabschiedung des „Sicherheitspaketes” nichts ändern. Die meisten Datensammlungen, die verglichen werden sollen, sind bisher nicht kompatibel. Die Polizei verfügt kaum über leistungsfähige Computer, es gibt dort keinen einzigen Internetanschluss für Fahndungszwecke. Einziges Ergebnis kann nur ein „Generalverdacht” gegen arabische Studenten oder Moschee-BesucherInnen sein.

In diese Kerbe schlagen auch alle Vorschläge auf Bundesebene. Da ist die Ausweisung von „Gewalt unterstützenden” Ausländern auf bloßen Verdacht hin, was sich nicht gegen Terroristen, sondern gegen Befreiungsbewegungen richtet. Da geht es um umfangreiche Datensammlungen bei Visumantrag oder Einreise als Flüchtling, was Deutschland im Wettbewerb um die „besten Köpfe” bei der Einwanderung nochmal weit zurückwirft. Da geht es um kompletten Datenaustausch zwischen Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit den Geheimdiensten, was dafür sorgt, dass Informationen von kurdischen, tschetschenischen oder algerischen Flüchtlingen für den Asylantrag auf schnellstem Wege an die Geheimdienste der Türkei, Russlands bzw. Algeriens weitergeleitet werden. Natürlich richtet sich keine der Maßnahmen gegen den Staatsterrorismus von Verbündeten.

Alles im allem wird der Terrorismus in der Welt eher gefördert.

Reinhard Pohl

(Alle Zitate stammen aus den Redemanuskripten der RednerInnen, da das Protokoll der Landtagsdebatte noch nicht vorlag.)

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